Halbinsel Darß: „So ist er, der Kapitalismus“

Wäre das Regenbogencamp auf dem Darß nur irgendein Zeltplatz, die ganze Aufregung wäre nicht zu verstehen. Dass das Fernsehen und Zeitungen bis hinunter nach München berichten, sich ein Landesminister persönlich einschaltet, sich zwei Landgerichte und der Petitionsausschuss des Landtages in Schwerin mit dem Fall befassen – alles nur, weil ein paar Dauercampern die Stellplätze im FKK-Bereich gestrichen wurden?

Das Regenbogencamp ist nicht irgendein Zeltplatz. Es galt schon in der DDR als Sehnsuchtsort für Camper und zählt heute zu den schönsten Plätzen in Deutschland. Was, so ehrlich muss man sein, eher nicht am hervorragenden Zustand seiner Duschen, Einkaufsmöglichkeiten und Freizeitangebote liegt. Sondern daran, dass man hier darf, was sonst verboten ist: in den Dünen zelten, mit Blick aufs Meer.

Wenn die Presse seit Wochen in allen Details über einen längst völlig unübersichtlichen Pachtstreit zwischen dem Land Mecklenburg-Vorpommern und dem Zeltplatzbetreiber berichtet, geht es daher nie nur um ein paar Meter feinsten weißen Ostseestrand, der woanders längst von neu gebauten Hotels und Promenaden dominiert wird, sondern auch darum, wem diese letzte Nische gehören soll – dem Naturschutz, der Tourismuswirtschaft oder ein paar Campern ohne Badehose. Also: Was sagen die Leute eigentlich dazu, dass man ihnen ihre Düne nimmt?

„Ich habe unseren Stellplatz gar nicht mehr wiedergefunden“, sagt Dagmar Burdack, 62, aus Leipzig. „Es ist alles zugewachsen.“

Zusammen mit ihrer Freundin ist sie ans Ende des Zeltplatzes gelaufen, dorthin, wo sie und ihre Familien 30 Sommer lang Urlaub gemacht haben. Sie waren Dauercamper im FKK-Bereich. Standen sie morgens auf, sind sie so, wie sie waren, die Dünen hinunter zum Strand und in die Ostsee gesprungen. Die Leute in den Wohnanhängern um sie herum kannten sie seit Ewigkeiten. Im Herbst 2022 haben sie alle die Kündigung bekommen. Sie hatten nur drei Wochen Zeit, die Dünen zu räumen und alles abzubauen, womit sie sich über die Jahre eingerichtet hatten.



Prerow

Mecklenburg-

Vorpommern

ZEIT-GRAFIK

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„Wir haben nur geheult“, sagt Burdack. „Jetzt sind alle auseinandergerissen“, ergänzt ihre Freundin, die innerhalb des Platzes umgezogen ist und ihren Namen nicht nennen will, weil sie Angst hat, im nächsten Jahr keinen Stellplatz mehr zu bekommen, wenn sie etwas Kritisches sagt.

Den Campingplatz hinter dem Örtchen Prerow gibt es seit den Fünfzigerjahren. Es war schon in der DDR nicht einfach, an einen der Zeltscheine zu kommen. Nach dem Mauerfall wurde das Gelände Teil des neu gegründeten Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft. Die Camper bekamen eine Art kulturellen Bestandsschutz. Dass der Mensch im Einklang mit der Umwelt leben sollte, musste man ihnen, die sich nicht einmal beim Volleyballspielen etwas anziehen wollten, nicht erklären.

Pächter des Platzes wurde ein Unternehmer aus Kiel, der eine Firma aufbaute, die inzwischen eine Aktiengesellschaft ist. Bald kamen so viele Camper, dass er im Sommer kaum wusste, wohin mit ihnen, bis ihm das Land Mecklenburg-Vorpommern, dem heute ein Großteil der Fläche gehört, vergangenes Jahr den Vertrag kündigte und sich für einen neuen Betreiber entschied. Seitdem weigert er sich zu gehen und errichtet symbolisch schwarz-rot-gelbe Grenzpfähle auf dem Platz. Das Land antwortete mit einer Räumungsklage. Am 3. Juni ist der Termin vor dem Landgericht Stralsund. Doch egal, wie es ausgeht, die Dauercamper bekommen ihre Düne nicht zurück. Der Nationalpark will die Zahl der Stellplätze reduzieren.“Warum muss ein Stück Natur von einer Aktiengesellschaft bewirtschaftet werden?“, sagt Eberhard Wusterhaus, der braun gebrannt vor seinem Camper sitzt. „Aber so ist er, der Kapitalismus.“

„Der politische Schaden ist immens“, sagt Peer Globisch, ein Versicherungsmakler aus Berlin, der den Widerstand der Camper anführt, am Telefon. Globisch hat eine Petition ins Netz gestellt, in der er die Rückkehr auf die Düne fordert und die 7.000 Menschen unterschrieben haben. Er hat den Landesumweltminister Till Backhaus auf den Platz geholt und sich um ein Gutachten gekümmert, das den Campern bescheinigt, dass sie keineswegs die Natur zerstören, wenn sie auf den Dünen zelten, sondern sie davor schützen, zu schnell zuzuwachsen. Natürlich habe es über die Jahre Leute gegeben, die Zäune um ihre Stellplätze errichtet und Betonplatten verlegt haben. Aber das seien keine FKKler gewesen, sondern Leute vom Textilstrand. „Das sind einfach andere Menschen im Textilbereich“, sagt Globisch. Nach der Räumung ist er auf einen anderen Stellplatz umgezogen, lange nicht so schön wie der alte. Nun steht er da eingezwängt zwischen anderen, auf einem viereckigen Stück Ostseestrand, für knapp 4.000 Euro im Jahr. „Wie in Marzahn“, sagt er und meint es ironisch.