Haiti: Hunderte fliehen vor Bandengewalt aus Stadtteilen von Port-au-Prince

Nach der Übernahme eines Stadtteils von Port-au-Prince durch gewalttätige Banden haben sich in Teilen der Hauptstadt Haitis am Donnerstag panikartige Szenen abgespielt. Aus Furcht, dass ihre Nachbarschaften als Nächstes dran sein würden, versuchten Hunderte Familien, aus den Gegenden Delmas 30, Nazon und Christ-Roi zu fliehen, wie ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP beobachtete. Viele verließen demnach ihre Bezirke zu Fuß, auf Motorrädern oder in Autos, trugen Kleidung, wichtige Dokumente und teils auch Möbel mit sich.

Am Mittwoch war der Stadtteil Solino unter die Kontrolle des Bandenzusammenschlusses Viv Ansanm geraten. Das Bündnis hatte sich im Februar gebildet und auf den Sturz des früheren Regierungschefs Haitis, Ariel Henry, hingearbeitet. Henry trat im April von seinem Posten zurück.

„Ich habe in Solino gelebt. Ich kann dort nicht mehr wohnen. Die Kriminellen haben mich aus meinem Zuhause gejagt“, sagte nahe dem Bezirk Nazon eine Frau namens Marjorie, die einige Habseligkeiten auf dem Kopf trug. „Ich kann nirgendwo hin. Ich werde auf der Straße leben.“

Port-au-Prince steckt seit Montag in einer neuen Welle der Gewalt durch Viv Ansanm. Am Montag war der Geschäftsmann Alix Didier Fils-Aimé als neuer Regierungschef Haitis vereidigt worden. Er löste Garry Conille ab, der vom Übergangsrat entlassen worden war. Fils-Aimé hat versprochen, die Sicherheit in dem Inselstaat wiederherzustellen.

Hunderte Bewohner Haitis haben in der Zwischenzeit Zuflucht im Büro für den Schutz der Bürger (OPC) in der Nachbarschaft Bourdon gesucht, das in eine Art Unterkunft für aus ihrem Zuhause vertriebene Haitianer verwandelt wurde. Avenel floh mit seiner Frau und ihren drei Kindern aus Solino in die Unterkunft. „Mein ältester Sohn wurde im letzten März in Delmas von Banden getötet. Sie haben mein Haus angezündet“, sagte er.

Haiti steckt seit Jahren in einer schweren Krise, zu der neben Bandengewalt auch politische Instabilität und wirtschaftliche Not beitragen. Angesichts der jüngsten Gewaltwelle strich die US-Flugverkehrsbehörde alle kommerziellen Flüge aus den USA nach Port-au-Prince.