Grüne und Linke : Wer ist die beste Opposition im Land?

Vom „vielleicht erfolgreichsten Jahr in unserer Geschichte“, spricht Linken-Chefin Ines Schwerdtner. Zweifellos zählt ihre Partei 2025 zu den großen Gewinnern: Im Januar noch drohte die Linke – geschwächt vom Abgang Sahra Wagenknechts – laut Umfragen mit drei bis vier Prozent aus dem Bundestag zu fliegen. Aber auch dank ihres lauten Widerstands gegen einen von Union und AfD gemeinsam verabschiedeten Fünf-Punkte-Plan zur Migration setzte eine der spektakulärsten Aufholjagden der jüngeren Parteigeschichte ein.

Binnen kurzer Zeit verdoppelte die Linke ihre Zustimmungswerte – auf 8,8 Prozent bei der Wahl am 23. Februar. Und der Hype hält an: Seit März liegt sie in den bundesweiten Umfragen stabil bei über 10 Prozent. Inzwischen hat sie 120.000 Mitglieder und damit mehr als zweimal so viele wie 2024, als Wagenknecht die Partei verließ. Viele junge Westdeutsche sind in die zuletzt ergraute, frühere Ostpartei eingetreten. Ihr Idol, Fraktionschefin und TikTok-Star Heidi Reichinnek, gehört laut Rankings zu den beliebtesten Politikerinnen und Politikern des Landes. Und obwohl die CDU auch wegen ihres Unvereinbarkeitsbeschlusses zur Linken demonstrativ auf Abstand bleibt, kommt selbst Friedrich Merz an deren 64 Abgeordneten nicht vollständig vorbei, wenn er wichtige Vorhaben beschließen will.

Die Grünen hingegen haben 2025 Macht und Ansehen verloren. Die Ampel-Zeit endete für sie im Frühsommer mit dem Abgang der beiden langjährigen Führungsfiguren Annalena Baerbock und Robert Habeck. Verschiedene Politikerinnen ringen seither um Einfluss bei schlagartig zurückgegangenem Medieninteresse. Es gibt viele neue Spitzengrüne, aber weder die Parteichefs Felix Banaszak und Franziska Brantner noch die Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann und Katharina Dröge sind in der Öffentlichkeit besonders bekannt oder populär. 

Wie staatstragend muss Opposition heutzutage sein?

Schon bemerkenswert: Viele Jahre lang wähnten sich die Grünen als neuer Meinungsführer im linken Lager, von einem „ökologischen Zeitalter“ war die Rede, von grüner Hegemonie, von einer neuen Volkspartei. Die Ablösung der SPD erschien zu Beginn der 2020er-Jahre bei Umfragewerten um die 20 Prozent nicht abwegig. Doch diese Phase des Höhenflugs ist vorbei: Die neue Konkurrenz kommt jetzt von links. Sehr zum Ärger der Grünen haben sie viele Jungwähler an die Linke verloren. Bei den unter 30-Jährigen ist die Linke laut Umfragen mit Abstand die stärkste Kraft, auch in Großstädten wie Berlin ist sie an den Grünen vorbeigezogen.  

So ist die Konkurrenz zwischen beiden Parteien wieder gewachsen: Es geht um die Vorherrschaft im linken Lager und zunehmend auch um die Frage, wie angemessene Oppositionsarbeit aussieht – in Zeiten, in denen die in weiten Teilen rechtsextreme AfD triumphiert und oft den Diskurs bestimmt. Die AfD hat ihren radikalen, verächtlichen Sound und viele Forderungen, die sich kaum finanzieren oder rechtlich umsetzen lassen. Welchen Stil sollte man dem entgegensetzen? Wie staatstragend und verantwortungsbewusst muss eine Opposition heutzutage sein, wenn die andere Opposition das politische System grundsätzlich infrage stellt?

Linke und Grüne entwickeln hier unterschiedliche Strategien, die sich zuletzt im Bundestag beobachten ließen: Mitte Dezember, eigentlich ging es an diesem Tag um die Rentenpolitik der Bundesregierung. Aber daneben lieferten sich Grüne und Linke eine harte Kontroverse – eben um das richtige Oppositionsverständnis in diesen schwierigen Zeiten. „Sie enden hier heute als Mehrheitsbeschafferinnen für Friedrich Merz“, warf der grüne Fraktionsvize Andreas Audretsch den Linken vor. „Das ist peinlich, das ist scheinheilig – und das ist eine absolute Schande“. Reichinnek hielt den Grünen dagegen vor, sich nicht um die Nöte der Rentnerinnen zu scheren. 

Unter Wagenknecht hätten sie mit „Nein“ gestimmt

Spannend daran war ein gewisser Rollenwechsel zwischen den beiden linken Parteien: Die einst so staatstragenden Grünen stimmten wie die AfD (wenn auch aus anderen Gründen) gegen das Paket, die Linke enthielt sich – auch um zu verhindern, dass das Rentenpaket am Widerstand der Jungen Union scheitert. 

Bei der Linken gilt diese Strategie der gemeinsamen Enthaltung als Coup. Früher – als Sahra Wagenknecht noch Fraktionsvorsitzende war – hätten sie vermutlich ebenfalls mit „Nein“ gestimmt. Denn die schwarz-roten Pläne zur Rente gehen der Partei der sozialen Gerechtigkeit natürlich nicht weit genug. Allerdings drohte bei einem Scheitern der schwarz-roten Pläne auch ein Absinken des aktuellen Rentenniveaus. Die Linke stellt aus ihrer Sicht mit ihrer Enthaltung zweierlei sicher: Sie kann nun den vielen älteren Wählerinnen glaubhaft sagen, sie habe ihre Renten gesichert – anders als AfD oder Grüne. Und zweitens machte die Linke sich geschickt zum Gesprächsthema und Machtfaktor: Da Friedrich Merz auf keinen Fall von Stimmen der Linken abhängig sein wollte, erhöhte er kurz vor der Abstimmung den Druck auf seine parteiinternen Widersacher und forderte eine Kanzlermehrheit. Es wirkte zumindest kurzzeitig so, als trieben die Linken den Kanzler vor sich her. 

Im Gespräch sein, relevant sein und dabei auch etwas tun, das man inhaltlich gut vertreten kann – so lässt sich die linke Strategie zusammenfassen. „Ich bin stolz, dass meine Fraktion sich da nicht hat irritieren lassen und diese reife Entscheidung getroffen hat“, sagt Bodo Ramelow, der als früherer Ministerpräsident von Thüringen die Realpolitik gut kennt. Aber auch seine langjährige Erfahrung als Oppositionspolitiker habe ihn gelehrt: Jemand, der immer Nein sage, würde oft weniger ernst genommen als Oppositionspolitiker, die entlang klarer Prinzipien mitgestalten. 

„Reife Opposition“, das gefällt manchen Linken

Die ehemalige Parteichefin Janine Wissler, inzwischen Vizevorsitzende der Fraktion, formuliert ihre persönliche Herangehensweise an Oppositionspolitik so: „Alles, was das Leben der Menschen real verbessert, halten wir für unterstützenswert. Auch wenn es nur ein kleiner Schritt sein mag, darf es nicht an der Linken scheitern.“ 

Als „reife“ Opposition, so sehen sich die Linken gern, zumindest ein Teil von ihnen. Auch im Regierungslager wird das so wahrgenommen. Ein Spitzenpolitiker der SPD nennt die Linken anerkennend „abgezockt“ und „einflussreich“, im Vergleich zu den Grünen seien sie die eindeutig „clevere Opposition“.  

Schließlich war es nicht das erste Mal, dass sie Merz in den vergangenen Monaten aus der Patsche halfen. Schon am Tag, an dem Merz im ersten Wahlgang scheiterte, half ausgerechnet die Linke mit ihren Stimmen, die nötige Zweidrittelmehrheit für eine sofortige zweite Abstimmung zu erreichen. Auch bei der Wahl der Verfassungsrichter war Merz für eine Zweidrittelmehrheit auf die Stimmen der Linken angewiesen: Die Fraktionsführung hatte die Abstimmung freigegeben, weil vor allem die älteren Abgeordneten um Ramelow vor einer Beschädigung des Verfassungsgerichts gewarnt hatten. Der konservative CDU-Kandidat Günter Spinner wurde zum Verfassungsrichter gewählt, auch mit den Stimmen einiger Linker. Und das, obwohl Teile der Parteiführung dafür plädierten, geschlossen „Nein“ zu Spinner zu sagen – auch weil man noch sauer über den Umgang der Union mit der linken Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf einige Monate zuvor war. 

Der konziliante Umgang der Linken mit Merz und seinen Leuten ist keinesfalls unumstritten in der Partei. Auch weil die CDU sich beharrlich weigert, offiziell mit den Linken zu sprechen. Schon dass man Merz am ersten Kanzlertag nicht länger hat zappeln lassen, hat nicht allen gefallen. An der Rentenabstimmung nahmen mehrere linke Abgeordnete gar nicht teil, was als stummer Protest gegen die Vorgabe der Enthaltung gewertet wurde. Auch das Vorgehen bei der Wahl der Verfassungsrichter stieß intern auf Kritik.  

Als zahme Mehrheitsbeschafferinnen wollen die Linken jedenfalls nicht wahrgenommen werden. Parteichefin Ines Schwerdtner sagt im Gespräch mit der ZEIT: „Wir entscheiden von Fall zu Fall und immer an der Sachlage orientiert.“ Friedrich Merz bleibe der Gegner, nicht der Partner ihrer Partei.