Grüne nachdem Brandanschlag – „Solidarität ist ein Gefühl – und dies teilen wir nicht mit dieser AfD“
Nach dem Anschlag auf das Auto von AfD-Politiker Bernd Baumann nutzte seine Partei das Debattenanmelderecht im Hamburger Parlament für eine Offensive. Die anderen Fraktionen entschieden sich zu schwiegen – und erlebten, wie riskant diese Strategie sein kann.
Solidarität ist ein Gefühl – und das teilen wir nicht mit der AfD.“ Mit diesem Satz beendete die Fraktionschefin der Hamburger Grünen Sina Imhof am Mittwoch eine Debatte, die so ungewöhnlich war, dass sie selbst erfahrene Parlamentarier ratlos zurückgelassen haben dürfte. 90 Minuten lang hatte die AfD das Rednerpult in der Aktuellen Stunde der Hamburgischen Bürgerschaft an diesem Mittwoch fast für sich allein. Die anderen Fraktionen schwiegen viel – und zahlten dafür einen hohen Preis.
Ausgangspunkt war der Brandanschlag auf das Auto des AfD-Bundestagsabgeordneten Bernd Baumann am 3. November im Hamburger Westen. Die Bilder des ausgebrannten Wagens schafften es an diesem Tag bundesweit in die Nachrichten. Eine linksradikale Gruppierung bekannte sich zu dem Anschlag. Die Hamburger Polizei hält ein entsprechendes Bekennerschreiben für authentisch. Der Staatsschutz ermittelt.
Was aus Sicht der Hamburger AfD nach dem Vorfall aber ausblieb, ist Empörung über die Tat bei SPD und Grünen in der Hansestadt, die gemeinsam die Regierung stellen. Auch von CDU und Linken fehlten nach Darstellung der AfD klare Bekenntnisse dazu, dass politische Gewalt – auch gegen die AfD – verurteilt werde.
Aus dieser Gemengelage heraus nutzte die AfD ihr Recht das erste Thema in der Aktuellen Stunde anzumelden. Die Debattenanmeldung trug den Titel „Linker Terror gegen Politiker – wir beklagen das Schweigen von Senat und Bürgerschaftspräsidium“. Was im Parlament folgte, war eine rhetorische Offensive – mit Opferinszenierung und angedeuteten NS-Vergleichen, übertragen in einem eigens eingerichteten Livestream auf YouTube.
„Erinnert an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte“
Eine Passage als Beispiel: Sie stammt vom Fraktionsvorsitzenden Dirk Nockemann aus dessen Eingangsrede. Er fragte etwa, warum sich Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) nicht zu dem Brandanschlag in seiner Stadt geäußert habe, oder warum Innensenator Andy Grote sich nicht eingeschaltet habe. Das Schweigen zu Angriffen auf die AfD, so sagte Nockemann, „wird von vielen Menschen im Land als Zustimmung verstanden, als unverhohlenes Goutieren von roher Gewalt gegen die AfD.“ Und dieses Gutheißen, weil es „ja gegen die vermeintlich Richtigen geht, erinnert an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte.“
Die übrigen Parteien hielten sich zurück. Ihre Strategie: nicht befeuern, nicht eskalieren. Doch das Schweigen wirkte nicht, wie erhofft. Als Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) nach nur einer Replik auf Nockemann schon zum zweiten von vier angemeldeten Themen der Aktuellen Stunde übergehen wollte, meldete sich Krzysztof Walczak, der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, zu Wort. Vermutlich tat er das aus Kalkül, aber auch eine spontane Reaktion auf die Rede von Isabella Vertés-Schütter wäre möglich.
Die SPD-Abgeordnete hatte als einzige Abgeordnete auf Nockemann mit einer Rede geantwortet. Üblich sind Redebeiträge aller Fraktion sowie der fraktionslosen Abgeordneten. Eine Runde dauert selten weniger als 35 Minuten, meist gibt es drei. Doch nach Vertés-Schütter meldete sich niemand. Und so blieb im Raum hängen, was die SPD-Politikerin gesagt und Walczak offensichtlich erzürnt hatte. Sie hatte in ihrer Rede zwar Anschläge auf Politiker und auch auf deren Eigentum klar verurteilt. Was folgte war jedoch ein großes „Aber“. Sätze wie: „Es ist die AfD, die den Boden für Hass und Hetze bereitet, die in Anfeindungen, Bedrohungen und schließlich Gewalt mündet“ nutzte diese als Einladung.
Ein Redner der AfD nach dem anderen trat ans Pult. Am Ende kamen sieben der neun Abgeordneten der Fraktion in zwölf Redebeiträgen zu Wort. Erst spät gaben Grüne, CDU und Linke ihre Strategie des Schweigens auf und schickten ihrerseits Abgeordnete an Rednerpult.
Warnung vor einer Spirale, die jeden treffen kann
Den Anfang machte Dietrich Wersich (CDU). Der frühere Sozialsenator und kurzzeitig Zweite Bürgermeister setzte einen klugen Kontrapunkt – auch zu Vertés-Schütter. Es gab kein „Ja-aber“ in seiner Argumentation. Er begann nicht mit der AfD, sondern mit einem Grundsatz: In einer freiheitlichen, pluralen Demokratie gebe es „keine Rechtfertigung für Gewalt in der politischen Auseinandersetzung, weder gegen Sachen noch gegen Menschen“.
Danach nahm er den Kern der AfD Anmeldung ins Visier. Der Vorwurf, Senat und Bürgerschaft sprächen der Gewalt das Wort indem sie schwiegen, sei „absurd“; wer Verfassungsorgane in die Nähe von Tätern rücke, „diskreditiert den Rechtsstaat“ und drehe an einer Spirale, die am Ende „jede und jeden treffen kann“. Wersich machte damit zweierlei: Er entzog der AfD das Deutungsmonopol über die moralische Empörung – und er markierte eine Grenze zwischen legitimer Kritik und Delegitimierung staatlicher Institutionen.
Es folgten später noch Linken- und SPD-Abgeordnete. Doch die AfD mit ihren Rednern sorgte für ein asymmetrisches Bild der Abgeordneten, die sich aktiv an der Debatte beteiligten.
Umso wichtiger war, dass es Sina Imhof zum Abschluss gelang, noch einmal Worte zu finden, die nachklingen. Sie sprach nicht über das Thema der AfD-Anmeldung, sondern reflektierte die Debatte auf der Meta-Ebene. Sie richtete ihre Rede ausdrücklich auch an die Gäste im Saal, benannte die Widersprüche, die zuvor im Akkord über das Pult gewandert waren – die Selbstbeschreibung der AfD als Opfer verbunden mit gleichzeitigen Angriffen auf Medien, Präsidium und Senat.
Vor allem aber trennte sie zwei Ebenen, die in der Stunde fortwährend verschoben wurden: Rechtsstaat, Verurteilung und Mitgefühl. Ermittlungen seien Aufgabe von Polizei und Staatsanwaltschaft; verurteilt hätten alle Parteien regelmäßig und öffentlich Angriffe auf Politiker auch anderer Parteien. „Solidarität“ hingegen setze geteilte Werte voraus. Ihr Schlusssatz war deshalb nicht Kältepose, sondern Klarstellung, was politische Gemeinschaft in einer liberalen Demokratie ausmacht – und was nicht: „Wir teilen nicht dieselben Werte, nicht dieselbe Haltung und nicht dieselben Ziele.“
Die Aktuelle Stunde hat gezeigt, wie riskant Zurückhaltung sein kann. Wer die Bühne räumt, überlässt sie denen, die bleiben – und er muss dann damit klarkommen, wofür sie sie nutzen.
Source: welt.de