Großbritannien: Premier Starmer will Rauheit gegen rechtsextreme Täter zeigen

Für Nicht-Weiße in diesem Land waren es furchteinflößende Tage. In vielen Städten hatte sich ein gewalttätiger Mob zusammengerauft, es flogen Brandsätze auf Asylunterkünfte und Ziegelsteine auf Moscheen. Die Ausschreitungen trafen Linienbusse und Quartierläden, in Liverpool brannte eine Gemeindebibliothek aus. Menschen aus ethnischen Minderheiten wurden auf offener Straße zusammengeschlagen. Es handelte sich um die schlimmsten rechtsextremen Krawalle seit Jahrzehnten. Das Land ist erschüttert – aber wer zuvor genau hingeschaut hat, dem konnte nicht verborgen bleiben, dass es Alarmzeichen seit Längerem gab.

Alles begann nach einer Messerattacke im nordenglischen Southport Anfang vergangener Woche. Ein 17-jähriger Angreifer betrat ein Gemeindezentrum, in dem gerade eine Kindertanzstunde stattfand, und begann auf die Kinder einzustechen. Drei Mädchen im Alter von sechs bis neun wurden getötet. Am Abend des folgenden Tages begann der erste Protest in Southport, der schnell in Gewalt ausartete. Doch wäre es irreführend, die Tragödie von Southport als „Auslöser“ dieses Aufruhrs zu bezeichnen. Wer randalieren wollte, wartete auf einen Vorwand, um randalieren zu können. In den sozialen Medien kursierte schnell die Desinformation, dass der Angreifer von Southport ein muslimischer Migrant gewesen sei. Das genügte als Anstoß, um mit islamophoben und migrationsfeindlichen Parolen die Stimmung in den sozialen Medien anzuheizen und bald auf der Straße Hass zu schüren.

Robert Jenrick will Tory-Chef werden – was er sagt

Als längst bekannt war, dass der mutmaßliche Täter von Southport in Wales aufwuchs, und die Polizei erklärt hatte, ein islamistischer Hintergrund sei unwahrscheinlich, nahmen die Krawalle trotzdem weiter Fahrt auf. Sie sprangen auf unzählige Städte über, von London bis Hull, Liverpool bis Leeds. Britische Politiker haben sich in den vergangenen Tagen bemüht, entgrenzte Rabauken für die Exzesse verantwortlich zu machen. Es seien „Schwachköpfe“, wie der Tory-Abgeordnete Robert Jenrick befand. Aber eine solche Diktion vernebelt die Tatsache, dass die Proteste sehr ziel- und durchaus politisch ausgerichtet sind: Man hat es nicht mit Rowdys zu tun, die nur aus Lust am Tumult randalieren, sondern mit Überzeugungstätern, getrieben vom Hass auf Migranten, Muslime und multikulturelle Milieus. Wie die antirassistische Kampagne „Hope not hate“ jüngst festhielt: „Die radikale Rechte blüht auf.“ Nachdem sie über mehrere Jahre gewachsen sei, habe sie sich 2023 als „voll entwickelte rechtsextreme Bewegung“ etablieren können. Nur zwei Tage vor dem Messerangriff in Southport beispielsweise zogen mehr als 20.000 Rechtsextreme durch London, es war der größte Protestmarsch seit Jahren.

Wenn sich derzeit Politiker bis tief in die Konservative Partei hinein über eine teilweise außer Kontrolle geratene Situation empören, unterschlagen sie Entscheidendes: Der Boden, auf dem der Extremismus gedeihen konnte, wurde in den zurückliegenden Jahren gerade von den Torys bereitet. In ihrem verzweifelten Versuch, den Vormarsch von Nigel Farages Rechts-außen-Partei Reform UK zu stoppen, fanden die Konservativen Gefallen an extremen Formen der Migrationsabwehr. Die ehemalige Innenministerin Suella Braverman warnte vor einer „Invasion unserer Südküste“, der bereits erwähnte Robert Jenrick, der nächster Tory-Chef werden will, meinte vor Monaten: „Man kann das Land nicht auf der Grundlage britischer Werte wiederaufbauen, wenn man nicht die Ära der Massenimmigration beendet.“ Man erinnert sich auch an das wichtigste Versprechen von Ex-Premier Rishi Sunak: „Stoppt die Boote“, sprich: die Flüchtlingsboote über den Ärmelkanal. Es ist ein Slogan, der gerade immer wieder intoniert wurde auf Straßen in England und Nordirland – die Meute musste ihn nur vom ausgeschiedenen Regierungschef übernehmen.

Auch Britanniens rechtslastige Medien haben ihr Bestes getan, um die Leute aufzustacheln, etwa der Fernsehsender GB News. Bis auf wenige Ausnahmen sind dessen Moderatoren erkennbar rechtslastig und voreingenommen. Sie haben sich den Kampf gegen „Wokeismus“ auf die Fahnen geschrieben, schimpfen über Einwanderung und warnen vor einer islamistischen Unterwanderung der britischen Politik. Nigel Farage hat als Chef von Reform UK eine eigene Sendung (er gab sie auf, um sich ins Parlament wählen zu lassen, dürfte allerdings bald wieder vor den Kameras sitzen).

Auch in Magazinen wie dem Spectator oder Zeitungen wie dem Daily Telegraph und der Daily Mail lassen Kolumnisten ihrer Islamophobie und Migrationsfeindlichkeit freien Lauf. „Hope not hate“ vermerkt, solche Publikationen seien Teil eines „rechten Ökosystems“ aus Politik und Medien, das immer einflussreicher werde. Jüngstes Beispiel war die Schlagzeile des Daily Telegraph Anfang der Woche: „Rechtsextreme und Muslime geraten in Krawallen aneinander!“ Eine erschreckende Verdrehung der Tatsachen, die den Opfern eine Mitschuld daran gibt, dass sie angegriffen werden.

Für Premierminister Keir Starmer sind die Krawalle die erste große Krise seiner noch jungen Regierungszeit. Er hat harte Strafen für die Randalierer und eine aufgestockte Polizeipräsenz in manchen Orten angekündigt, um Gewalt schneller eindämmen zu können. Alles nachvollziehbar – um jedoch das Gift einer rechtsextremen Radikalisierung aus der britischen Gesellschaft zu entfernen, wird die Labour-Regierung bis zu den Wurzeln dieser Polarisierung vordringen müssen.

Was Starmer bisher von sich gab, stimmt nicht gerade zuversichtlich. Auch Labour gibt sich in der Migrationsfrage hart und ist von dem Bemühen beseelt, dem Vorwurf von rechts zu begegnen, man räume einem besseren Schutz der britischen Grenzen nicht die nötige Priorität ein. So hat Innenministerin Yvette Cooper eine schnellere Abwicklung von Asylverfahren angekündigt. Auch soll der Grenzschutz gestärkt werden, und Menschen, die sich „illegal im Land befinden“, müssten zügiger in sichere Drittländer abgeschoben werden. Das ist keine erfolgversprechende Agenda, um einem Rechtsradikalismus Einhalt zu gebieten, wie er sich im Augenblick des Aufruhrs soeben gezeigt hat. Er wird nur weiter legitimiert, was seinen Frontleuten die Möglichkeit eröffnet, die Debatte in ihrem Sinne zu steuern.

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