Großbaustelle jener Bahn: Stuttgart 21 versinkt im Chaos

Das offizielle Statement der Deutschen Bahn kam am Mittwoch um 12 Uhr 30. Davor hatten schon Gerüchte die Runde gemacht: Stuttgart 21 wird abermals verschoben. Von „maximaler Transparenz“ war da in zwei dürren Absätzen die Rede und von „Terminrisiken“, die sich in einer „so bisher nicht vorhersehbaren Dimension“ erhärtet hätten. Die „Terminrisiken“ immerhin sind nun ausgeräumt. Vorsichtshalber hat die Deutsche Bahn gar keinen neuen Termin für eine Eröffnung ihres 13 Milliarden Euro teuren Infrastrukturprojekts mehr genannt. So lässt sich unbeschwerter planen.
Ohnehin befindet sich der Staatskonzern gerade in einer großen Umbruchphase nach einem abrupten Wechsel an der Spitze des Unternehmens. Der wegen schlechter Pünktlichkeitswerte zuletzt stark in der Kritik geratene Bahnchef Richard Lutz wurde im Oktober von seiner Vorstandskollegin Evelyn Palla ersetzt, die nun den Konzern „vom Kopf auf die Beine“ stellen möchte. Seitdem hat es schon etliche Führungswechsel im Management gegeben. Der Posten des Infrastrukturvorstandes ist völlig gestrichen worden.
Letztes bisschen Vertrauen verspielt
Völlig unvorbereitet dürfte die Nachricht niemanden getroffen haben, deshalb reagierten Beteiligte auch mit einer Mischung aus Langmut und Abgeklärtheit. Eine termingerechte Eröffnung Ende 2026, so darf man das interpretieren, wäre wohl die größere Überraschung gewesen. Schon im September hatte das Bahnmanagement erst den Aufsichtsrat und im Oktober dann den Lenkungskreis darüber informiert, dass ebenjene Terminrisiken für das Pilotprojekt Digitaler Knoten Stuttgart (DKS) und Stuttgart 21 bestünden, die nun diese unvorhersehbaren Dimensionen angenommen hätten.
Die Betroffenen vor Ort dagegen reagierten empfindlicher. Ein „Schwarzer Tag für Stuttgart und für Bahnfahrer“, titelte die „Stuttgarter Nachrichten“. Der Chef des Fahrgastverbands Pro Bahn, Detlef Neuß, nannte es eine „Riesenblamage“. Auch der Verkehrsminister von Baden-Württemberg, Winfried Hermann (Grüne), sprach von einer „fatalen Nachricht“. Die Fahrgäste ächzten seit Jahren unter den Folgen der Großbaustelle, und es sei kein Ende des angeblich „bestgeplanten“ Bauprojekts absehbar: „Das letzte bisschen Vertrauen in die Bahn wird mit dieser Ankündigung verspielt.“ Auch der neuen Bahnchefin machte er schwere Vorwürfe: „Noch vor einem Monat hat uns die Bahn den Eröffnungstermin im nächsten Jahr bestätigt – auch auf Rückfragen. Diese Zusagen waren offensichtlich windig oder falsch. Wir fühlen uns getäuscht.“
Probleme mit Projektpartner Hitachi
Hermann forderte „echte Transparenz“ von Palla: „Wir wollen keine neuen Termine ohne Substanz. Wir erwarten Ehrlichkeit statt weiterer Vertröstungen.“ Dem Lenkungskreis soll nach seinen Vorstellungen ein weiteres Gremium hinzugefügt werden. Nun sei ein „Sonderlenkungskreis“ zu Stuttgart 21 dringend erforderlich.
Technische Schwierigkeiten gibt es am digitalen Knoten Stuttgart schon länger, schließlich ist es ein technisch anspruchsvolles Pilotprojekt, das auf der Welt Ausnahmecharakter hat. Mit ihm wird die gesamte Leit- und Sicherungstechnik der Bahn im Großraum Stuttgart digitalisiert. Nun gibt es Probleme mit der Zulassung und Freigabe von Technik des japanischen Konzerns Hitachi, einem zentralen Projektpartner der Bahn beim digitalen Knoten.
Diese Schwierigkeiten reichen weit zurück in eine Zeit, als Hitachi das mit der Aufgabe ursprünglich betraute Unternehmen Thales/GTS übernommen hatte. Die Fusion gestaltete sich schwierig. Auch die technischen Anforderungen sind enorm. Diese beeinträchtigen nicht nur die Digitalisierung des hochbelasteten Verkehrsknotens in Stuttgart, sondern auch seit geraumer Zeit die Region um Köln. Nach dem Einbau eines digitalen Stellwerks kommt es immer wieder zu großen Schwierigkeiten zwischen der neuen Technik von Hitachi und dem Zughersteller Siemens.
Schon Ende 2023 sollte ein erster Teil eines digitalen Stellwerks in Betrieb genommen werden, Anfang 2024 dann eine mit ETCS ausgerüstete Teilstrecke. Doch daraus wurde nichts. Deshalb richtete die Bahn schon vor einiger Zeit mehrere Arbeitsgruppen ein, um die Probleme zwischen den Bahnplanern und Hitachi zu lösen. Zu dem System gehören etwa 3500 „Feldelemente“, also Weichen, Signale oder die gelben „Balisen“ im Gleisbett. Diese Elemente müssen digital angesteuert und – was die größeren Probleme schafft – vorher von privaten Firmen sowie dem Eisenbahn-Bundesamt zertifiziert werden.
Die Planungen für Stuttgart 21, die einen neuen Hauptbahnhof, weitere Haltestellen sowie eine Reihe neuer Strecken im Raum Stuttgart vorsehen, sind inzwischen Jahrzehnte alt. Zu Baubeginn war die Inbetriebnahme für das Jahresende 2019 anvisiert worden. Im Juli dieses Jahres hatte die DB mitgeteilt, von Dezember 2026 an sollten der Fernverkehr und Teile des Regionalverkehrs über den neuen Bahnhof fahren. Ein Teil des Regionalverkehrs solle dagegen bis Sommer 2027 weiter zu dem alten oberirdischen Kopfbahnhof fahren. Schon die stufenweise Inbetriebnahme hat in der Region für Ärger gesorgt. Allerdings haben sich inzwischen Menschen und auch das Land mit entsprechenden Fahrplanüberlegungen und Zugbestellungen eingestellt.