Gewalt in Amsterdam: Die Kriege im Nahen Osten schwappen nachdem Westeuropa
Die Angriffe auf israelische Fußballfans in Amsterdam haben zu einem Diskurs geführt, der den Ereignissen nur in Maßen gerecht wird. Zugleich zeigt sich, dass die Ereignisse in Gaza und im Libanon auf europäische Metropolen übergreifen
Die Bilder der Ereignisse gingen um die Welt: Attacken auf israelische Fußball-Fans im Zentrum Amsterdams, die aggressive Suche nach Menschen mit israelischem Pass, Jagdszenen in nächtlichen Straßen, das Verprügeln Wehrloser. „Wir gehen auf Judenjagd, Junge“, tönt ein Mann zuvor in einem Social-Media-Video. Dass am selben Abend in der niederländischen Hauptstadt der Opfer des Pogroms vom 9. November 1938 in Deutschland gedacht wurde, hat die fatale Symbolik der Geschehnisse verstärkt.
Viel wurde seither über Hintergründe diskutiert. Die penetrante Instrumentalisierung der Vorfälle durch den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders für die migrationsfeindliche Agenda seiner Freiheitspartei sorgt für manchen Reflex, die Ausschreitungen zu relativieren. Noch mehr gilt dies für das gutdokumentierte martialische Auftreten mancher Anhänger von Maccabi Tel Aviv, für ihre rassistischen Parolen gegen Araber, die kriegsverherrlichenden Lieder über getötete Kinder im Gazastreifen. Haben es sich, so meinen Beobachter nicht nur in den Niederlanden, solche Fans nicht selbst zuzuschreiben, wenn sie durch die Stadt gejagt werden?
Offenbar wird, wie sehr gewalttätig Empathielosigkeit nach mehr als einem Jahr Nahostkrieg um sich greift
Insofern ist das, was in jener Nacht in Amsterdam passierte, Fanal in dreifacher Hinsicht. Es hat sich gezeigt, wie gewalttätig chauvinistische Empathielosigkeit nach mehr als einem Jahr Nahostkrieg um sich greift – auch oder gerade in europäischen Metropolen. Zweitens ist da ein von Verkürzungen und Gleichsetzungen geprägter gesellschaftlicher Diskurs, dem vielfach das analytische Vermögen fehlt, die Ereignisse einzuordnen. Das Verhalten mancher Maccabi-Fans ist nicht nur mit dem Gebaren des Hooliganismus zu erklären. Doch ist das weder eine Rechtfertigung für den Gewaltausbruch gegenüber Israelis, noch steht beides auf einer gleichen Stufe.
Daraus ergibt sich der dritte und wesentlichste Punkt: In jener Nacht wurden jüdische Menschen stundenlang von einem Mob durch die Straßen einer europäischen Großstadt gejagt. Selbst wenn es die stetige Normalisierung eines öffentlichen Antisemitismus gibt, ist das ein Dammbruch. Unter Jüdinnen und Juden in Amsterdam ist die Angst dieser Tage mit Händen zu greifen. Und nicht nur dort. In Antwerpen wurden am Wochenende sechs Personen verhaftet. Sie sollen für Aufrufe in sozialen Medien verantwortlich sein, im jüdischen Viertel der Stadt nach Amsterdamer Vorbild Gewalttaten zu begehen.
In anderen europäischen Städten werden Vorkehrungen getroffen, dass sich Amsterdam nicht wiederholt. Wenn das israelische Fußballteam der Männer Mitte der Woche in Frankreich antritt, wird Paris zum Hochrisiko-Gebiet.