Geplante EU-Zölle uff E-Autos aus China: Jetzt kommt dieser Auto-Handelskrieg
Gut 200 Kilometer südlich von Amsterdam, in Brüssel, werden die Neuankömmlinge aus Fernost allerdings weniger freundlich empfangen. Die Brüsseler EU-Kommission betrachtet die aufstrebenden chinesischen Elektroautobauer als Bedrohung für Europas Autoindustrie und will aus China importierte Elektrofahrzeuge mit Zöllen belegen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wirft China vor, heimischen Herstellern mit hohen Subventionen unfaire Wettbewerbsvorteile bei ihrer Exportoffensive nach Europa zu verschaffen. Die Chinesen sind technologisch führend bei Elektroantrieben. Sie könnten, so die Befürchtung, mit billigen Autos den Markt in Europa aufrollen.
Von der Leyen scheint zur offenen Konfrontation mit der asiatischen Wirtschaftssupermacht bereit. Fachleute sprechen vom bislang größten europäisch-chinesischen Handelskonflikt, der sich da anbahnt – und inzwischen wird es brenzlig. Der Zeitplan der EU-Kommission sieht vor, die Beteiligten bis zum 5. Juni über die Höhe der Sonderzölle zu informieren, unmittelbar vor den Wahlen zum EU-Parlament. Die Strafzahlungen würden dann im Juli wirksam.
Brüssel meint es ernst
Der Fall ist hochpolitisch. Der Streit um die Elektroautos ist Teil des geopolitischen Systemkonflikts zwischen dem Westen und China. Von der Leyen setzte ein Ausrufezeichen hinter ihren Vorstoß, indem sie die Subventionsermittlungen im Herbst im Rahmen ihrer jährlichen Rede zur Lage der EU bekannt gab. Die Deutsche will sich als Schutzpatronin europäischer Industriejobs profilieren und damit auch ihre Chancen auf eine Wiederwahl als Kommissionspräsidentin verbessern. Dass die Zölle kommen werden, gilt als so gut wie sicher. Die EU hat bereits veranlasst, Daten zu sammeln, die es ihr erlauben, den Zoll rückwirkend zu kassieren. Ein klares Signal dafür, dass Brüssel es ernst meint.
China wiederum droht bereits mit Vergeltung – und knöpft sich das europäische Land mit der größten Autoindustrie vor: Deutschland. Über Parteimedien und die chinesische Handelskammer in Brüssel wurde diese Woche eine Anhebung der Importzölle für teure Autos mit großen Verbrennermotoren auf 25 Prozent ins Gespräch gebracht.
Das träfe vor allem die deutschen Premiumhersteller, für die China der wichtigste Absatzmarkt weltweit ist. Am verwundbarsten ist Porsche. Die Sportwagenschmiede, die zu Volkswagen gehört, betreibt selbst keine Fabrik in China. Das bedeutet: Jedes einzelne Auto, das Porsche im Reich der Mitte verkauft, wird aus Europa importiert und würde damit dem Zoll der Chinesen unterliegen. Aber auch das besonders margenstarke Oberklassemodell S-Klasse von Mercedes und der Siebener von BMW stammen aus Sindelfingen und Dingolfing und werden nach China verschifft. Kein Wunder also, dass an der Börse die Aktienkurse von BMW, Mercedes und vor allem Porsche deutlich an Wert verloren, nachdem die Gegenzoll-Drohung aus China bekannt wurde. Es ist nur ein Vorgeschmack darauf, wie teuer der Auto-Handelskrieg für beide Wirtschaftsblöcke werden könnte.
Stellantis-Chef setzt auf Kooperation mit den Chinesen statt auf Zölle
Zu den Merkwürdigkeiten dieses Streits zählt, dass die Branche, die von der Leyen schützen will, ihre Protektion gar nicht haben will. Selten sind sich die Chefs von BMW, Mercedes und Volkswagen so einig wie in ihrer Ablehnung der geplanten Zölle. Sie befürchten genau die Vergeltungsmaßnahmen der Chinesen, die sich jetzt bereits abzeichnen. Zuletzt schwenkte auch Stellantis-Chef Carlos Tavares, der zuvor immer wieder vor dem Ansturm der chinesischen Billigkonkurrenz auf Europa gewarnt hatte, auf diese Linie ein.
Die Schutzzölle der EU wären eine „gewaltige Falle“ für die Länder, die sie verhängten, sagte der Portugiese diese Woche auf einer Branchenkonferenz. „Wir haben keine andere Wahl, als zu kämpfen und uns dem Wettbewerb zu stellen“, sagte Tavares. Zu Stellantis gehören zahlreiche europäische Automarken, darunter Opel, Peugeot, Citroën und Fiat. Inzwischen setzt Konzernchef Tavares auf Kooperation mit den Chinesen: Er hat eine milliardenschwere Beteiligung am chinesischen Hersteller Leapmotor erworben und will dessen E-Autos in Europa vertreiben. Die geplanten EU-Zölle passen da nicht ins Konzept.
Europas Politiker wiederum sind in der Zollfrage gespalten. Bundeskanzler Olaf Scholz ist strikt dagegen, auch Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson teilt die Ablehnung, denn der schwedische Autobauer Volvo gehört zum chinesischen Geely-Konzern. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán, ein ausgewiesener Chinafreund, ist ebenfalls im Lager der Zollgegner. Der französische EU-Kommissar Thierry Breton wirbt dagegen schon seit Langem für die Schutzmaßnahmen.
Milliardenschwere Subventionen für BYD
Ziemlich unstrittig ist dagegen, dass China mit einer strategischen Industriepolitik den Aufstieg seiner Elektroautohersteller systematisch und massiv unterstützt hat. Nach Schätzung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft hat allein der chinesische BYD-Konzern 2022 direkte Subventionen von umgerechnet 2,1 Milliarden Euro erhalten. Das Start-up Nio von William Li wurde vor vier Jahren durch ein milliardenschweres Rettungspaket vor der Pleite bewahrt.
Die chinesische Sicht ist freilich ganz anders. Es sei ihm völlig unverständlich, warum die EU Elektroautos aus China mit Strafzahlungen belegen wolle, beschwerte sich Nio-Chef Li bei seiner Visite in Amsterdam: „Das ergibt keinen Sinn.“ Die Hightech-Autos aus seiner Heimat leisteten schließlich einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz im europäischen Straßenverkehr. In chinesischen Staatsmedien wird darauf verwiesen, dass auch die EU hohe Subventionen gewähre, etwa für den Flugzeugbauer Airbus und ihre Landwirte. Anders als in vielen anderen Wirtschaftsbranchen exportiert die EU 75 Prozent mehr Agrarprodukte nach China, als sie von dort importiert.
Die Regierung in Peking hat schon vor einem Jahrzehnt erkannt, dass der Technologiewechsel vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb eine historische Chance bietet, die Vorherrschaft westlicher Konzerne in der Autoindustrie zu brechen: Die Schlüsselkomponente des E-Autos ist nicht mehr wie beim Verbrenner der Motor, den die Ingenieure aus Stuttgart und München zur Perfektion gebracht haben, sondern die Batterie – und hier sind mit CATL und BYD zwei chinesische Konzerne die Weltmarktführer.
Die Europäer dagegen haben eben erst angefangen mit der technologischen Aufholjagd beim Elektroantrieb. Vor allem wenn es um bezahlbare E-Autos im Einstiegssegment geht, ist ihr Angebot bisher dünn. VW und Renault haben monatelang über eine Kooperation zum gemeinsamen Bau eines preisgünstigen E-Kleinwagens verhandelt, doch sind die Gespräche kürzlich gescheitert.
Es fehlt weiter an Elektroautos zum kleinen Preis, und genau diese Lücke könnten die Chinesen mit ihren beträchtlichen Kostenvorteilen schließen. Analysten rechnen mit EU-Zöllen von 15 bis 30 Prozent auf chinesische Elektroautoimporte. Aber auch dann wäre der Verkauf von Autos für BYD in Europa noch finanziell profitabler als das Geschäft im hart umkämpften Heimatmarkt, sagt Gregor Sebastian, Autoexperte des Analysehauses Rhodium Group.
Volvo verkauft chinesische E-Autos
Wie bedrohlich ist also die chinesische Offensive für Europas Autoindustrie? Bisher ist die Erfolgsbilanz chinesischer Autofirmen in Europa sehr unterschiedlich. BYD zum Beispiel ist zwar im globalen Elektroautomarkt die Nummer zwei hinter Tesla, hat aber im ersten Quartal in Europa nur gut 7000 Autos verkauft, ein Marktanteil von weniger als zwei Prozent. Kleinere chinesische Hersteller wie Great Wall (GWM) und Nio haben sogar nur ein paar Hundert Autos abgesetzt.
Aber es gibt auch andere Beispiele: Geely verkauft unter der altvertrauten Marke Volvo in Europa erfolgreich E-Autos, die in China gefertigt wurden. Hinter der früher britischen Automarke MG steht mittlerweile der staatliche chinesische Konzern SAIC. Zusammengenommen erreichten die chinesischen Autobauer bei vollelektrischen Autos in Europa einen Marktanteil von etwa 16 Prozent – auch das klingt nun erst einmal nicht so furchterregend.
Doch die Chinaimporte der EU sind in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Die Rhodium-Analysten rechnen vor, dass sich die Einfuhren von E-Autos zwischen 2020 und 2023 von 1,6 Milliarden Dollar auf 11,5 Milliarden Dollar versiebenfacht haben. Mehr als ein Drittel der europäischen Elektroautoimporte stammten inzwischen aus chinesischen Fabriken.
Liefern die Chinesen bald aus der Türkei nach Europa?
Der Anteil ist auch deshalb so hoch, weil auch viele westliche Hersteller in China für den europäischen Markt produzieren – allen voran der US-Hersteller Tesla, der in Schanghai eine seiner „Giga Factories“ betreibt. Die Elektroversion des BMW Mini kommt ebenfalls aus China. Die Renault-Marke Dacia lässt ihr Kompaktmodell Spring, das zu den Bestsellern in Europa zählt, in China bauen. Und auch die VW-Marke Cupra verkauft in Europa E-Autos aus chinesischer Produktion.
Das macht die erwarteten EU-Zölle gegen Chinaimporte zu einer zweischneidigen Sache. Sie werden eben nicht nur chinesische Herausforderer wie BYD und SAIC treffen – sondern auch europäische Autokonzerne wie BMW, Renault, Stellantis und VW, die ebenfalls E-Autos made in China in ihrer Heimatregion verkaufen. Eine paradoxe Konsequenz.
Und dann gibt es da noch ein weiteres Fragezeichen: Binnen weniger Jahre könnten die chinesischen Hersteller die Zölle der Europäer umgehen, indem sie europäische Kunden mit Autos aus europäischen Fabriken beliefern. BYD hat schon im Dezember eine Fertigung im EU-Mitgliedsland Ungarn angekündigt, der ebenfalls chinesische Hersteller Chery plant ein Werk in Spanien. Und die türkische Regierung verhandelt nach eigenen Angaben ebenfalls mit BYD, SAIC und anderen chinesischen Konzernen über die Ansiedlung von deren Autofabriken. Das Land am Rande Europas hat für die Investoren aus Fernost einen verlockenden Standortvorteil: Die Türkei ist zwar nicht in der EU, hat aber eine Zollunion mit dem Staatenbund. Von der Leyens Anti-China-Zölle würden deshalb auch hier nicht greifen.