Gefahr pro die Branche?: Wie Dolmetscher es mit Künstlicher Intelligenz protokollieren
Es ist eine düstere Prognose, die der Job-Futuromat des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) liefert: Für Übersetzungsdienste soll die menschliche Arbeitskraft in Zukunft bis zu 100 Prozent ersetzbar sein. Noch ist Deutschland aber nach den USA der zweitgrößte Markt für Übersetzungsdienstleistungen. Im Jahr 2023 generierte die Branche hierzulande einen Umsatz von 1,87 Milliarden Euro, wie der Language Industry Market Report des Branchendienstes Slator ermittelte.
Doch was bleibt in Zukunft davon? Wird es bald keine menschlichen Übersetzer mehr geben? Und wie bewerten Fachleute aus der Branche die Chancen und Herausforderungen von Künstlicher Intelligenz (KI)? „Wir sind nach wie vor die Sprachexperten“, sagt Lisa Rüth, Übersetzerin für Englisch und Spanisch. „Wir wissen nicht nur, was Worte bedeuten. Wir wissen auch, wie sie wirken und an welcher Stelle im Text sie stehen sollten.“
Rüth arbeitet für eine Übersetzungsagentur in Frankfurt, die Dienstleistungen im Bereich der Finanzmarktkommunikation anbietet. Zu den Leistungen der Agentur gehören das Übersetzen, Schreiben und Lektorieren von Geschäftsberichten, Imagetexten, Fachartikeln und Portfolioanalysen. Rüths Fachgebiete sind nachhaltige Anlagestrategien und die Vorstands- und Krisenkommunikation. Gerade in solchen Texten sind die korrekte Verwendung von Fachbegriffen und der Stil der Publikation besonders wichtig.
„Reden würde ich nicht mit KI schreiben. Das muss zu der Person passen und die Persönlichkeit widerspiegeln“, sagt Rüth. „Wenn ich für einen deutschen Manager eine Rede auf Englisch verfasse oder übersetze, muss ich darauf achten, welche Worte der Kunde gut aussprechen kann und womit er sich wohlfühlt.“
Der Einsatz von Übersetzungstools ist seit langem Standard
Auch die Rechtssicherheit der Texte und den Schutz sensibler Daten können KI-Systeme momentan noch nicht gewährleisten. Translationswissenschaftlerin Zahra Samareh vom Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) hat Einblicek darin, in welchen Bereichen KI-Tools gar nicht oder nur sehr eingeschränkt eingesetzt werden dürfen, etwa bei Ministerien, der Polizei oder in der Wirtschaft, wenn es um Patente oder sensible Unternehmensdaten geht.

„Hier sind weiterhin Übersetzer gefragt, die ihre Aufgaben ohne die Nutzung von KI-Tools erledigen können und sollen“, sagt Samareh. „Trotzdem lassen sich manche, vor allem routinemäßige, Arbeitsabläufe mit technischen Tools effizienter gestalten. Das ist auch im Sinne der Berufspraxis.“
Technische Hilfsmittel gab es in der Branche schon lange, bevor der Hype um KI entstanden ist. Der Einsatz von Translationstechnologien, darunter die sogenannten CAT-Tools (Computer-aided Translations), ist seit mehr als 30 Jahren Standard. Bei CAT-Tools handelt es sich um Editoren, die auf einen Korpus an schon bestehenden Übersetzungen und auf Terminologie-Datenbanken zurückgreifen, um einen vom Menschen übersetzten Text zu überprüfen und Formulierungsvorschläge zu liefern.
Mithilfe von Technologien schneller übersetzen
Maschinelle Übersetzungssysteme (MÜ) wie DeepL übersetzen einen Text automatisch von einer Ausgangs- in eine Zielsprache. Deren Vorläufer wurden in den Fünfzigerjahren entwickelt. „Als die ersten maschinellen Übersetzungssysteme aufkamen, wurde schon gesagt, bald bräuchte man keine Übersetzer mehr. Das war natürlich nicht so“, sagt Ekaterina Lapshinova-Koltunski, Professorin für mehrsprachige technische Fachkommunikation an der Universität Hildesheim. „Der Beruf selbst und die Aufgaben verändern sich einfach. Man muss mit der Technologie mitgehen und schauen, wie man sie einsetzen kann.“

Für eine aktuelle Umfrage hat der Bundesverband 1250 Übersetzer und Dolmetscher zum Einsatz derartiger Hilfsmittel befragt. Ein Großteil gab an, CAT-Tools (74 Prozent) und maschinelle Übersetzungstools (83 Prozent) zu nutzen, wobei CAT-Tools häufiger eingesetzt werden. Large Language Models (LLMs), also KI-Systeme zur Textgenerierung, wie etwa ChatGPT, werden von der Hälfte der Befragten verwendet, jedoch deutlich seltener als andere Hilfsmittel. 72 Prozent führten an, ihre Arbeit durch die oben genannten Tools schneller durchführen zu können.
Die Agentur, in der Lisa Rüth arbeitet, nutzt ebenfalls seit Jahren CAT-Tools und maschinelle Übersetzungssysteme. Mittlerweile greifen einige Kollegen auch auf KI-Anwendungen zurück. „Manche lassen sich eine erste Rohfassung einer Übersetzung per KI generieren, andere übersetzen weiterhin vollständig selbst“, sagt Rüth. In der Nachbereitung kann KI für die Korrektur, zum Kürzen oder zur Übertragung in einfache oder leichte Sprache verwendet werden.
Auf die Sprache kommt es an
Doch wie gut ist die KI beim Übersetzen wirklich? Noch nicht gut genug, um fachspezifische Texte angemessen übersetzen zu können, findet Ekaterina Lapshinova-Koltunski: „Die Texte sind im Vergleich zu den menschlichen Übersetzungen immer noch sehr wörtlich, also sehr nah am Ausgangstext.“ Bei generativer KI, wie den Large Language Models, müsse man aufpassen, dass keine Halluzinationen in die Texte eingebaut werden, also Inhalte, die die KI einfach dazudichtet.
Ein KI-System wird mit riesigen Datenmengen trainiert und berechnet auf dieser Basis eine bestimmte Wahrscheinlichkeit, wie eine Textsequenz übersetzt werden könnte. Das bedeutet auch, dass KI-Systeme Stereotype und Biases, die in den Trainingsdaten vorhanden sind, reproduzieren. Umso wichtiger ist es, die Texte vor der Veröffentlichung zu überprüfen.
Schwierig wird das KI-gestützte Übersetzen vor allem im Fall seltener Sprachpaare. „Bei sogenannten Low Resource Languages gibt es nicht genügend Trainingsdaten, um einen Text gut übersetzen zu können“, sagt Lapshinova-Koltunski. „Natürlich sind die Übersetzungen bei Sprachen besser, zu denen es mehr Trainingsdaten gibt.“
Bei der BDÜ-Umfrage schätzten Berufsschaffende mit seltenen Sprachen ihre Situation besser ein als solche, die häufig vertretene Sprachen, wie Französisch oder Spanisch, anbieten. Lisa Rüth bemerkt angesichts der technologischen Entwicklungen durchaus einen Rückgang an Aufträgen, das komme jedoch stark auf das Produkt an. Bei Geschäftsberichten und Halbjahresberichten sei die Agentur „immer noch gut gefragt“.
Auftragsrückgänge machen Freiberuflern zu schaffen
Anders sieht es laut Rüth bei Kollegen aus der Branche aus: „Ich glaube, dass das für viele, die nicht so hoch spezialisiert sind, wirklich existenzbedrohend ist. Wir merken das auch, aber bislang schützt uns unsere Spezialisierung.“ Besonders prekär sei die Lage freiberuflicher Kollegen. Wenn weniger Aufträge von Unternehmen hereinkommen, geben auch Übersetzungsdienstleister weniger an Freiberufler heraus.
Nach Angaben des Bundesverbands ist der größte Teil der Übersetzer in Deutschland selbständig. Der BDÜ ist mit rund 7000 Mitgliedern der größte Berufsverband der Branche. In seiner Umfrage gab mehr als die Hälfte der selbständig tätigen Übersetzer an, dass sich die eigene wirtschaftliche Lage in den vergangenen drei Jahren verschlechtert habe. Diese Entwicklung führen die Befragten vor allem auf den Einfluss von KI und maschinellen Übersetzungstools zurück. Die meistgenannten Gründe für den Abwärtstrend: Auftragsrückgänge sowie ein verstärkter Preisdruck.
Zahra Samareh beobachtet, dass viele Unternehmen eigene KI-Systeme für Übersetzungen entwickeln, die auf die betriebseigene Terminologie zugeschnitten sind. Trotzdem sei die Expertise von Übersetzern weiterhin gefragt, da sie zum Einsatz dieser KI-Tools beraten, Abläufe gestalten und Datenbanken optimieren. „Wir dürfen auch nicht vergessen, dass Sprachen keine feststehenden Einheiten sind, weder räumlich noch zeitlich gesehen, und sich ständig verändern“, sagt sie.

Ekaterina Lapshinova-Koltunski glaubt, dass vor allem für die Kontrolle von KI-Anwendungen und die Endabnahme der Texte auch in Zukunft Sprachexperten gebraucht werden. „KI-Systeme werden mit sprachlichen Daten trainiert, die wir Menschen produziert haben. Es gibt auch synthetische Daten, die eingespeist werden. Dadurch werden die Systeme aber schlechter“, erklärt sie. „Wenn alles nur von KI geschrieben und produziert wird, leidet auch die Qualität.“
„Es bringt nichts, wie der Strauß den Kopf in den Sand zu stecken“
Laut Zahra Samareh wird Künstliche Intelligenz im Lehrplan für Translationswissenschaft immer stärker verankert, etwa in den Themenbereichen Recherche- und Datenqualität, Datenschutz und bei Haftungsfragen. Ihr geht es vor allem darum, die KI-Literacy der Studenten zu stärken, also die Kompetenz, KI-Systeme zu nutzen und kritisch zu hinterfragen.
Um sich im Berufsleben gut aufzustellen, empfiehlt Samareh eine Kombination aus inhaltlicher Spezialisierung und Wissen über KI-Anwendungen sowie die Bereitschaft, veränderten Arbeitsabläufen offen entgegenzutreten.
Auch Lisa Rüth plädiert dafür, sich als Übersetzer auf ein Fachthema zu spezialisieren und sich Kompetenzen im Umgang mit KI-Systemen anzueignen: „Wie kann ich die KI nutzen, dass sie für meine Kunden und mich gewinnbringend ist? Wo kann sie mich unterstützen? Es bringt nichts, wie der Strauß den Kopf in den Sand zu stecken und so zu tun, als würde die KI vorüberziehen. Das wird sie nicht.“