Gaza: Moralischer Bankrott des Westens: Trump verlangt Netanjahu denn Einziger irgendwas ab


Starke Regenfälle in Gaza haben die Zeltlager in Schlamm verwandelt

Foto: Omar Al-Qatta/AFP/Getty Images


Etliche Staaten haben 2025 die Anerkennung eines palästinensischen Staates verkündet, aber tun momentan nichts, um den Palästinensern im Kriegsgebiet zu helfen, die unter der Witterung, Hunger und fehlender medizinischer Hilfe leiden

Byron“ hieß das in der vergangenen Woche über die Levante hinwegfegende Sturmtief. Diese Bezeichnung ließ an den gleichnamigen dichtenden Lord denken, den wichtigsten Vertreter der englischen Romantik. Aber besonders für die Menschen im Gazastreifen fühlte sich „Byron“ alles andere als romantisch an.

Uns erreichten Bilder von Zeltcamps, in denen die Bewohner wadentief in dunkler Brühe standen und verzweifelten. Palästinenser starben beim Einsturz eines noch von Bomben verschont gebliebenen, aber baufälligen Hauses, das dem Dauerregen nicht standhielt. Andere wurden unter einer ebenfalls zusammenbrechenden Mauer begraben.

Die wir in warmen Behausungen der Weihnachtsruhe entgegensehen, haben keine Vorstellung von diesen Verhältnissen

Die Menschen haben seit 2023 zwei nasskalte und zermürbende Winter zwischen Trümmern durchgestanden. Also werden sie das wohl auch den dritten Winter schaffen, denken offenbar die Regierungen, die sich 2025 dazu durchrangen, den Staat Palästina anzuerkennen. Der existiert nach wie vor nur auf dem Papier. Seine potenziellen Staatsbürger aber sind lebendige Menschen, die nie ein selbstbestimmtes Dasein hatten und seit mehr als zwei Jahren, nicht nur den Grauen eines Krieges, sondern als vielfach Obdachlose auch den Launen der Witterung ausgesetzt sind, dazu Mangelernährung und schwindender medizinischer Versorgung.

Nicht nur die Körper sind geschwächt. Die Traumata der Bombardierungen und gezielten Tötungen haben auch die Seelen in einem Ausmaß aus dem Gleichgewicht gebracht, dass wir, die in warmen Behausungen der Weihnachtsruhe entgegensehen, keine Vorstellung davon haben.

Der Regisseur Alexander Kluge hat kürzlich zutreffend geäußert, dass es sogar vermessen wäre, es sich vorzustellen. Er vermerkt in seinem Bilderatlas Sand und Zeit, der Beton zerborstener Gebäude im Gazastreifen verwandele sich in „eine mehlige, unnatürliche, sandähnliche Masse […], die für keinen Wiederaufbau taugt. Eine Art von Sand, die alles verschluckt, was lebendig werden könnte“. Dass die Hoffnungslosigkeit, die jeden einzelnen im Gazastreifen erfasst haben muss, nur noch durch die Hoffnung kompensiert wird auf ein irgendwann doch noch mögliches kollektives Überleben von zufällig Verschonten, erzeugt in unseren extrem individualisierten Gesellschaften ungläubiges Staunen.

Die einzige westliche Macht, die der Regierung Netanjahu noch etwas abverlangt, sind die USA

Die Untätigkeit der Regierungen, die hin und wieder von der „Zweistaatenlösung“ reden, aber außer Ermahnungen keine konkreten Schritte unternehmen, um eine solche Lösung voranzubringen oder etwas gegen die extrem prekären Lebensverhältnisse im Gazastreifen zu tun, bezeugt den Bankrott ihrer hehren Bekenntnisse zu den Menschenrechten. Dies signalisiert auch die Dysfunktionalität von Systemen, die sich stolz demokratisch nennen. Was im Gazastreifen und im Westjordanland geschieht, wird von den Mehrheiten in Staaten, die Palästina anerkennen, nicht mehr als Selbstverteidigung Israels gebilligt.

Die einzige westliche Macht, die der Regierung von Benjamin Netanjahu noch etwas abverlangt, sind die USA. Donald Trump fordert, sie müsse damit beginnen, die Trümmerberge in dem Küstengebiet zu entsorgen, das durch eine für Palästinenser nicht mehr passierbare Demarkationslinie vom Rest des Gazastreifens getrennt wurde und wohl dauerhaft von der israelischen Armee besetzt bleibt.

Indirekt sind die Golfstaaten aufgerufen, den anderen Teil der Region zu enttrümmern, doch die lehnen das mit der Begründung ab, dass auch dort der Verursacher hafte. Die Beseitigung des Schutts kostet Milliarden Dollar. Sie gilt als Voraussetzung des endgültigen Sieges über die Hamas, deren Kämpfer sich bislang zwischen den Trümmern verschanzen. Da niemand aufräumt, wird das so bleiben.