Fusion von 3sat und Arte: Wider den Flimmerkistenfetisch

Der durchschnittliche 3sat-Zuschauer
schaut, sofern er keine spezielle Vorliebe für Trash hat, wahrscheinlich eher
selten RTL, Pro 7 oder im Männersender DMAX die Doku über das härteste
Pfandhaus der Welt. Auch das Traumschiff und die Rosamunde-Pilcher-Verfilmung im
ZDF über verliebte Butler und ihre Herren dürfte sie oder er wahrscheinlich weiträumig
umzappen. Dafür finden sich Arte, Phoenix, ZDFinfo und tagesschau24 sicher ganz
oben in der individuell zusammengestellten Senderauswahl. Doch geht es nach den
Verhandlern der Bundesländer, kommt dort bald unter manchen Nummern nur noch
weißes Rauschen. 

Bis Ende Oktober wollen die Länder einen
neuen Medienstaatsvertrag beschließen. Ziel ist es, die Kosten in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu reduzieren. So sieht ein kürzlich
bekannt gewordener Vertragsentwurf etwa vor, dass die „Inhalte des
Vollprogramms 3sat teilweise oder vollständig in das Vollprogamm ‚arte
– Der europäische Kulturkanal‘ und dessen Telemedienangebote überführt werden“
sollen. Ähnliches ist für Phoenix, ZDFinfo, ARD alpha und tageschau24
zu befürchten: „Die hierfür jeweils aufgewandten
Ressourcen“, heißt es in dem Entwurf weiter, „werden künftig in weniger
Angeboten gebündelt.“

Das Zauberwort heißt also: Fusionierung. Ein schlankeres Angebot
soll künftig alles billiger und besser machen – was man halt so sagt, um den
Nutzer davon abzulenken, dass er bald weniger für seinen Rundfunkbeitrag
bekommen soll, also nicht weniger Sport oder weniger Rosamunde Pilcher, sondern
weniger Kultur, ausgerechnet. Als Kulturjournalist kann der Autor dieses Textes
das allein schon aus berufsethischen Gründen nicht gutheißen, ja, mehr noch: Da
besteht eine moralische Verpflichtung, wenn nicht gar ein Solidaritätsdruck,
die bald nach der Veröffentlichung des Entwurfs ins Leben gerufene Petition zur
Rettung des Kultursenders 3sat ebenfalls zu unterzeichnen und an dieser
Stelle zur Unterzeichnung aufzufordern; 24.000
Unterschriften wurden bislang gesammelt. 

Wut, Trauer und Kollegentrotz

Und durchscrollt man dann als Kulturgewächs
die Timeline bei der Social-Media-Plattform X, ist da ganz viel Wut, Trauer und Kollegentrotz.
3sat muss bleiben, wo und wie es ist, lautet der Tenor, alles andere
sei Verrat am Bildungsauftrag, an der
journalistischen Vielfalt, ja, an der Demokratie. Denn „eine Demokratie, die
sich selbst vor allem im Licht von Social-Media-Kanälen, Koch- und
Spielesendungen sowie Talking-Dead-Veranstaltungen spiegelt“, schrieb der
3sat-Moderator Gert Scobel jüngst über die Fusion in einem vielgeteilten Gastbeitrag
in der FAZ, „weiß zu wenig und kann leicht so lange ‚transformiert‘
werden, bis alle Messlatten am Boden liegen.“ Puh, größere rhetorische
Geschütze kann man zur Verteidigung gar nicht in Stellung bringen um das 3sat-Sendezentrum
in Mainz.

Gegen das Spardiktat und die schwindende gesellschaftliche
Akzeptanz für weitere Rundfunksteuererhöhungen helfen diese Geschütze
wenig. Schon heute merkt man zum Verdruss der kulturaffinen Zuschauerschaft den
Programmen die Mittelknappheit an. Nehmen wir den Kultursender 3sat, da
laufen etwa alle Folgen der Frank-Schätzing-Verfilmung Der Schwarm an einem
Sonntagabend in Dauerschleife zur besten Sendezeit. Dazu gibt es drei Folgen
einer neun Jahre alten Doku über den Atlantik und ein 13 Jahre altes
Fernsehdrama über den Tauchpionier Hans Hass. Zugegeben, in 3sat gibt es
Höhepunkte des öffentlich-rechtlichen Bildungsfernsehens, etwa das von Gert Scobel moderierte Magazin Nano über Technik, Medizin, Wissenschaft und
Forschung. Doch im weiten Meer der Sendezeit sind diese journalistischen
Korallenriffe umgeben von Todeszonen der Dauerwiederholung.

Beim Zappen fallen letztere besonders auf, denn sie sind so häufig
und zeitvernichtend, dass man ihnen als auf der Couch dahindämmernder
Feierabendschauer gar nicht entgehen kann. Es sei denn, man streamt und steuert
die Formate von Interesse und Gehalt gezielt an. So zumindest machen das sicher
viele der hochbeschäftigten und tendenziell wählerischen bis snobistischen
Kulturfernsehschauer, die jetzt wegen der drohenden Fusion den Untergang des Abendlands beschreien. Bei Arte,
dem Sender, mit dem 3sat fusioniert werden soll, hat man das
interessanterweise schon lange kapiert. Dort ist der Fernsehsender mehr
Anhängsel von App und Mediathek, weshalb arte.tv etwas von einem
Bildungsbürger-Netflix hat und zurecht abgefeiert wird von Doku-Liebhabern, für
die Terra X im ZDF zu niedrigschwellig ist.

Stupides Sparen macht die Kultur nicht besser

Überhaupt ist bei ARD und ZDF und allen darum gruppierten
Spartenkanälen der Flimmerkistenfetisch noch häufig anzutreffen, und das,
obwohl er gar nicht mehr zur Lebensrealität vieler Nutzer passt. Dennoch
klammert man sich an die gewohnten Sender, Sendeplätze und Strukturen und dünnt
die Inhalte notgedrungen weiter aus, bis irgendwann nur die Strukturen übrig bleiben und das Etikett, das darauf klebt: Kultur. Was also tun? Die
Strukturen streichen, Jobs gefährden? Stupides Sparen und Fusionieren jedenfalls
macht die Kultur auch nicht besser und auch nicht besser auffindbar.

Aber vielleicht gibt es ja andere Wege, die Verbreiterkosten zu
senken (Fernsehen ist nun mal teuer), ohne die Vielfalt zu gefährden. Waren sie
etwa schon mal auf ardkultur.de? Wenn nicht, haben
sie bislang nichts verpasst: die Taylor-Swift-Story als Podcast, eine
Caspar-David-Friedrich-Doku zum Streamen, eine Mockumentary mit dem Titel Irgendwas mit Medien. Ganz nett, aber nichts, was Kulturdeutschland verändert. Dem ganzen Auftritt sieht man an: Er läuft ressourcentechnisch
nebenbei, noch so ein Opfer knapper Mittel. Doch was könnte man nicht daraus
machen, würde man in der ARD den Bildungsbürger der Zukunft endlich als das
begreifen, was er ist: ein Premium-Streamer. In der ARD-Mediathek jedenfalls
ist davon bislang nichts zu merken. Da geht die Kultur unter zwischen Comedy,
Sportschau, dem Kika-Livestream und den Tagesthemen

Wie Gedöns wirkt da der
Geist. Was fehlt, ist das digitale Schaufenster, eine Alternative zur Arte-App,
eine schöne neue Heimat für die Kulturkorallen in der digitalen Welt. Sie gilt
es, zu erhalten, einen Frank Schätzing in Dauerschleife: eher nicht.