Fusion im Wettmarkt: Die französische Wette hinaus Tipico
Der größte deutsche Anbieter für Sportwetten, Tipico, steht vor einem Eigentümerwechsel. Die französisch-niederländische Unternehmensgruppe Banijay will Tipico übernehmen. Das teilten die Unternehmen am Dienstag mit. Tipico werde dabei mit 4,6 Milliarden Euro bewertet und soll mit dem französischen Sportwettenanbieter Betclic , der ebenfalls zu Banijay gehört, zur Nummer vier im europäischen Sportwetten- und Online-Casino-Markt fusioniert werden.
Bisheriger Mehrheitseigentümer von Tipico, dessen Ursprünge in Karlsruhe liegen, ist die Beteiligungskapitalgesellschaft CVC Capital Partners. Axel Hefer, der Vorstandsvorsitzende von Tipico, sagte der F.A.Z.: „CVC und auch wir haben einige Gespräche mit möglichen Käufern geführt. Betclic war dabei unser Wunschpartner.“ Banijay soll an dem entstehenden Unternehmen zunächst 65 Prozent halten. Über Optionsscheine kann Banijay seinen Anteil auf 72 Prozent erhöhen.
CVC hatte 2016 für 1,3 Milliarden Euro 60 Prozent der Anteile an Tipico von den vier Gründern Oliver Voigt, Dieter Pawlik, Mladen Pavlovic und Wolfgang Kuentzle übernommen. Es war die erste größere Transaktion, die der frühere Goldman-Sachs-Banker Alexander Dibelius nach seinem Wechsel zu CVC in seiner neuen Karriere als Private-Equity-Mann einfädelte. CVC ist in Deutschland durch frühere und jetzige Beteiligungen in unterschiedlichen Branchen bekannt: unter anderem am Chemiekonzern Evonik, der Parfümeriekette Douglas und den Gaseanbieter Messer. Die Gründer sowie CVC sollen als Minderheitseigner am fusionierten Unternehmen beteiligt bleiben, nur CVC habe letztlich Tipico-Anteile an Banijay verkauft, wie es aus Unternehmenskreisen heißt.

Tipico behauptet von sich selbst, jede zweite Sportwette in Deutschland abzuwickeln. Das Unternehmen, dessen Sitz aufgrund der günstigen Rechtslage in Malta liegt, kam laut Geschäftsbericht 2023 auf einen Nettoumsatz (nach Auszahlungen an Wettkunden) von rund 687 Millionen Euro. Zu seiner Vormachtstellung auf dem deutschen Markt – im physischen wie im digitalen Raum – gelangte Tipico einerseits durch aggressive Werbung und Sponsorings. Unter anderem arbeitete das Unternehmen lange mit dem ehemaligen Nationaltorwart Oliver Kahn zusammen. Andererseits erstritt sich Tipico auch in jahrelang währenden Gerichtsverfahren um die Liberalisierung von Sportwetten immer mehr Freiheiten. Zuletzt kaufte Tipico den österreichischen Konkurrenten Admiral, der zuvor dem Automatenhersteller Novomatic gehörte. „Der Zusammenschluss passt in unsere Strategie, uns viel stärker zu internationalisieren“, kommentiert Hefer.
Für Banijay ist es der größte Zukauf in der Geschichte des 2008 gegründeten Unternehmens. Dabei sorgten die Franzosen schon vor fünf Jahren für Aufsehen, als sie rund zwei Milliarden Euro für die niederländische Fernsehproduktionsgesellschaft Endemol Shine zahlten. Diese ist ein Branchenschwergewicht, bekannt für die Reality-Show „Big Brother“, die Krimi-Serie „Peaky Blinders“ und die von Günther Jauch moderierte Spielsendung „Wer wird Millionär?“.
Banijay ergänzt Portfolio mit Tipico
Durch diese und andere Zukäufe ist Banijay sukzessive zu einem führenden europäischen Fernsehproduzenten aufgestiegen. Das Geschäft mit Onlinespielen hat der Unternehmensgründer, der französische Selfmade-Milliardär Stéphane Courbit, parallel dazu aufgebaut. Auch hier hat er sich durch Übernahmen von Anbietern wie Bet-at-Home und Everest Poker zu einem führenden europäischen Anbieter gemausert. Betclic wanderte 2008 in die Hände von Courbit und der monegassischen Beteiligungsgesellschaft Société des Bains de Mer de Monaco.
Vor drei Jahren fusionierte Courbit das Geschäft mit Onlinespielen mit Banijay zu FL Entertainment und brachte dieses Unternehmen an die Amsterdamer Börse, wo es aktuell mit rund 4,4 Milliarden Euro bewertet wird. Im vergangenen Jahr erfolgte die Umbenennung in Banijay-Gruppe. Durch die Tipico-Übernahme dürfte die Onlinespiele-Sparte „Banijay Gaming“ ihren Umsatz, ihr bereinigtes Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen und ihren Free Cashflow verdoppeln. Die beiden Marken Betclic und Tipico sollen erhalten bleiben. Da Betclic bisher nur im Internet aktiv ist, ergänze sich vor allem die Expertise von Tipico im stationäre Geschäft gut mit dem bisherigen Portfolio, heißt es aus den Unternehmen.
Courbits Holding LOV ist mit 45,3 Prozent größte Anteilseignerin der Banijay-Gruppe, gefolgt vom französischen Vivendi-Konzern des schillernden Medienmilliardärs Vincent Bolloré mit 19,2 Prozent und der Société des Bains de Mer de Monaco mit zehn Prozent. Auch Agache, die Familienholding des Luxusgütermilliardärs Bernard Arnault, hält einen kleinen Anteil an der Banijay-Gruppe.
Urteil des EuGH entscheidet über 20 Milliarden Euro Verluste
Für die Gruppe steigt mit dem Kauf von Tipico ein Rechtsrisiko, das den gesamten europäischen Markt für Sportwetten betrifft. Seit Jahren streitet die Wettbranche mit ihren Kunden über die Erstattung von Verlusten. Schätzungen zufolge belaufen sich die Einbußen durch illegale Sportwetten in Deutschland von 2014 bis 2020 auf mehr als 20 Milliarden Euro.
Bundesweit sind Tausende Klagen gegen diverse Online-Anbieter, darunter auch Tipico, anhängig. Auch im Fall von Tipico geht es im Kern um die Frage, welche Folgen die fehlende Lizenz in Deutschland hat. Tipico hatte die Lizenz zwar beantragt, jedoch erst im Jahr 2020 erhalten. Die Kläger argumentieren, dass die zuvor geschlossenen Verträge nichtig seien und die Wetteinsätze zurückgezahlt werden müssten.
Eines der Pilotverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof betrifft Tipico. Konzernchef Hefer sagte im April im Gespräch mit der F.A.Z., dass man auf Grundlage der EU-rechtlichen Regelungen das Richtige gemacht habe. Der Bundesgerichtshof habe jedoch Zweifel angemeldet, die nun in Luxemburg geprüft würden. „Und je nachdem, wie der EuGH entscheidet, werden wir Rückzahlungen tätigen oder nicht”, sagte Hefer und bezeichnete die im Streit stehenden Wetten bis zum Jahr 2020 als „Altlasten”. Signifikante Rückstellungen für den Fall einer Niederlage vor dem EuGH hatte Tipico zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht aufgebaut. Das finanzielle Risiko trügen nun aber ohnehin die Gesellschafter, hieß es vom Unternehmen.
Eine Entscheidung steht noch aus. In einem früheren Fall hatte der EuGH betont, dass das Fehlen einer deutschen Lizenz wegen des intransparenten Vergabeprozesses nicht zum Nachteil der in der EU lizenzierten Anbieter führen dürfe.
Der Kauf steht unter Vorbehalt der kartellrechtlichen Freigabe. Um ein größeres Verfahren zu vermeiden, verkauft Banijay seine Anteile am Anbieter Bet-at-home. Der wesentlich kleinere Anbieter passe ohnehin nicht ins Portfolio, hieß es. Die Unternehmen erwarten den Abschluss der Transaktion für Mitte 2026.
