Fusion-Festival: Existenzrecht Israels nun doch verhandelbar – WELT

Jedes Jahr versammelt sich in Mecklenburg-Vorpommern eine „Parallelgesellschaft“, um zu feiern. Ein Ferienkommunismus, in dem es möglichst wenig Regeln und möglichst viel Selbsterfahrung geben soll, wie es die Organisatoren des Fusion-Festivals selbst beschreiben. Dieses Jahr wird die Veranstaltung 25 Jahre alt, doch sorgenfrei in einer Blase aus Liebe zu tanzen, während die Wirklichkeit ausgeblendet wird – denn danach klingt die Fusion auf ihrer Website, war wohl noch in keinem Jahr so schwierig wie in diesem. Der Riss, der sich seit dem 7. Oktober durch die deutsche Kulturszene – vor allem aber die Musikszene – zieht, ist auch im mecklenburgischen Lärz angekommen.

Angefangen hat es mit einem Newsletter im Februar, in dem sich die Veranstalter hinter dem Festival Kulturkosmos Müritz e.V. wohl vom Druck der eigenen Szene genötigt sah, zum Krieg in Gaza Stellung zu beziehen. Dort klagten die Verfasser zunächst über einen „nie dagewesenen nationalistischen Taumel“, der die israelische Gesellschaft und ihre Regierung befallen habe, zeigten sich aber ebenfalls bestürzt über den steigenden Antisemitismus. Sie zeigten die roten Linien des Festivals auf: Wer das Existenzrecht Israels anzweifle, habe auf der Fusion nichts verloren. Dies sei für sie eine „universelle und unverhandelbare Position“. Weiter: „Wer die Hamas feiert, feiert nicht mit uns.“

Es sind zwei sehr zartgezogene, man möchte denken konsensfähige rote Linien, von denen nach Monaten der antisemitischen Entgleisungen jedoch schon klar ist, dass sie Protest auslösen. Da reichte es auch nicht, dass die Veranstalter sich auch mit dem Leid der Palästinenser solidarisierten. Bald darauf folgte ein Boykott-Aufruf, wie es sie im Kulturbereich und den Sozialen Medien gerade so viele gibt.

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Israelische Clubszene

Aufgerufen hatte die BDS-nahe Gruppe „Palästina Spricht“, die zuvor auf der Fusion ein gern gesehener Gast war. Denn auf dem Festival gibt es neben Musik, auch Theater, Vorträge und verschiedene Workshop-Angebote, auf denen auch schon „Palästina Spricht“ über den Nahost-Konflikt doziert haben. Doch nach dem 7. Oktober dürften sich auch die Fusion-Veranstalter gewundert haben, mit wem sie sich da in der Vergangenheit eingelassen hatten.

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Bereits einen Tag nach dem Massaker an mehr als 1200 Menschen, postete die Gruppe ein Bild der mit Gleitschirmen nach Israel eindringenden Terroristen mit der Anmerkung: „A lesson in liberation from Gaza“. Eine Lektion in Befreiung. Sie zeigen auf ihrer Instagramseite auch das rote Dreieck, mit dem die Hamas seine Feinde markiert, und das auch bei den Hochschulprotesten propalästinensischer Gruppen zu sehen ist. Auch der Berliner Club About Blank, der als einer der ganz wenigen in der sich als links verstehenden Technoszene, die Angriffe der Hamas verurteilte, wurde mit dem roten Symbol beschmiert.

Den Terror zu glorifizieren und zu verharmlosen, zeigte sich immer wieder als Muster in der DJ- und Feierszene in Deutschland. So herzte auch ein Vorstandsmitglied der Berliner Clubcommission einen Post, in dem die Angriffe als Selbstverteidigung abgetan wurden. In diesem Klima das Existenzrecht Israels zu verteidigen, scheint ein Problem. Im Juni ruderte die Festival-Leitung in einem „Nachschub“ zu ihrem Februarnewsletter zurück. So hätten sie von „uns nahstehenden jüdischen und arabischen Fusion:istinnen“ viel Kritik bekommen. Plötzlich heißt es dann, dass die Unverhandelbarkeit des Existenzrechts Israels undifferenziert und plakativ gewesen sei, da es „defacto das Existenzrecht eines palästinensischen Staates ausschließe.“ Dann geht es um die „zionistische Großisrael-Politik“ und dass man sich nicht scheuen dürfe, Worte wie Apartheid und Genozid zu verwenden. Das alles schreiben sie, ohne ihre komplette Kehrtwende zuzugeben. Im Gegenteil: Man stünde zum Großteil weiterhin zu den Aussagen des Februarnewsletters. Auch dass der Boykott-Aufruf von „Palästina Spricht“ etwas damit zu tun habe, wehren sie ab.

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WELT-Autorin Mirna Funk
Stalins Lügen

Natürlich folgte auch auf diese Kehrtwende erneuter Protest. Ein Bündnis von Crews, Crewmitgliedern und Künstlern, die an der Fusion mitwirken, sei „fassungslos“ über die so kurz vor Beginn des Festivals vollzogene Kehrtwende. „Fusionistas against Antisemitism & Antizionism“ nennt sich die Gruppe, die dem Festivalverein in einem offenen Brief vorwarf, ihre roten Linien zurückzunehmen. So würde man „verbalen oder symbolhaften Vernichtungsfantasien“ einen Raum bieten. Eine weitere Gruppe hat in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag Werbetafeln in Berlin mit Plakaten behängt. Darauf heißt es „Du liebst die Fusion? Die Hamas nicht.“ Eine Anspielung darauf, dass das von der Hamas attackierte Nova-Festival in Israel im Geiste mit der Fusion verwandt ist.

Auch auf diesen offenen Brief reagierte der Kulturkosmos Müritz e. V. Dort verteidigen sie ihre im „Nachschlag“ formulierte Position als Ergänzung und nichts als Widerspruch zum Februar-Newsletter und entschuldigen sich lediglich dafür, sie so kurz vor dem Festival veröffentlicht zu haben. So habe man nicht das Existenzrecht Israels infrage gestellt, sondern einen Raum für verschiedene Meinungen geöffnet. Außerdem sei die Security zu dem Thema sensibilisiert und es werde Veranstaltungen zum Komplex Israel und Palästina geben.

Wirklich verstörend an der Kehrtwende des Kulturkosmos ist neben dem Inhalt, dass sie es nicht als solche begreifen. Obwohl sie vor den Boykott-Aufrufen eines offen antisemitischen Vereins eingeknickt sind – und dabei ihren Antizionismus-Sprech übernommen haben – wähnen sie sich dennoch auf dem Mittelweg. Für Jüdinnen und Juden ist die Fusion damit ein Stück unsicherer geworden – und das durch einen Verein, der sich sonst so für „Safespaces“ engagiert. Verraten dürften sich auch diejenigen der rund 70.000 Besucher fühlen, die aufgrund der roten Linien des Februarnewsletters ein Ticket gekauft haben. Erste Berichte des Festivals, das am Mittwoch begonnen hat, klingen nach weichem Eskapismus-Genuss im Sonnenschein. Fraglich nun, ob das alle so erleben, und ob es bis zum Festivalende am Sonntag so bleibt.

Source: welt.de