„From Zero“ von Linkin Park: Alle mal die Schnauze halten
Jetzt mal Ruhe im Karton: Emily
Armstrong muss nachdenken. Und wer könnte es ihr verübeln? Erst im September
wurde verkündet, dass sie als neue Sängerin bei Linkin Park
einsteigen wird. Nun steht Armstrong, zuvor Gründerin der mäßig bekannten Band
Dead Sarah, im Video zur Linkin-Park-Single Two Faced parat und
erbittet sich von der skeptischen Welt ein bisschen Ruhe vor dem Karrieresturm.
„Stop yelling at me, I can’t hear myself think“, flüstert sie
erst, steigert sich dann hinein in großes Gebrüll. Neben ihr verrichtet der DJ Joe
Hahn Dinge, die man früher wohl mit „rockt an den Turntables“
beschrieben hätte. Man sieht die Band aus einem unmöglichen
Winkel in die Kamera wüten, als filme ein staunendes Kleinkind die Szenerie, alle tragen Anzug und
Krawatte, es wird gar allen Ernstes mit den Händen gefuchtelt (Yo, yo, yo!). So, liebe Vertreter der Generation Z, die ihr die Moden der Nullerjahre so
begeistert nachkauft, sahen die Nullerjahre übrigens wirklich aus.
Alle möglichen Trends aus
diesem Jahrzehnt haben uns in der jüngeren Vergangenheit wieder heimgesucht:
Hüftjeans, Size Zero und, bei Musikern wie Machine Gun Kelly, sogar Emorock.
Dem sogenannten Nu Metal allerdings, diesem Genre, das auf dem neuen Album von
Linkin Park so mustergültig aus dem Totenreich zurückdefibrilliert wird, wollte
bisher niemand ein Comeback im großen Stil bescheren. Das ist nicht weiter
erstaunlich, denn wenige Stile sind so schlecht gealtert wie diese Musik der
rockenden Turntables und harten, tiefhängenden Gitarren.
Nichts an der Musik von
heute völlig zu Recht despektierlich behandelten Bands wie Limp Bizkit oder
Korn klingt zeitlos, weil sie ihrer Zeit gnadenlos verhaftet war. Die Gruppen griffen auf
keine Rocktradition zurück, außer auf die seit den frühen Neunzigerjahren virulente
Idee, zu harter Gitarrenmusik zu rappen, und spritzten dazu den
wichtigtuerischen Maschinensound von Bands wie Tool fit für die Heavy Rotation
im damals noch sehr lebendigen Musikfernsehen.
Womit man bei Linkin Park
wäre, dieser einst wohl größten Rockband der Welt, die kaum ein Millennial
erwähnen kann, ohne im nächsten Atemzug über Weltschmerz im Schulbus zu
erzählen, und der nach dem Suizid ihres Sängers Chester Bennington im Jahr 2017
etwas Tragisches, Gravitätisches anhaftete.
Immer klang diese Band überwältigender
als ihre Genrekonkurrenten, undoofer auch, und das, obwohl sich ihre
berühmtesten Songs fast ausschließlich auf eine schlichte Formel bringen
lassen: Ein Synthesizer spielt jene Art Melodie, zu der
Helden in Endzeitfilmen fassungslos über die verwaiste Welt gucken. Ein
aufgepeitschter Rapper rappt, ein melancholischer Sänger singt, und dann
plötzlich knallt ein Refrain tonnenschwer in die Apokalypsenlandschaft. Heiliger
Ernst, große Materialschlacht. Für viele Menschen war dies der perfekte Sound,
um sich zugleich klein und riesengroß zu fühlen in diesem 21. Jahrhundert, das
sich gerade vor den Augen aller formierte.
An die Sehnsucht nach
vermeintlich leichteren Zeiten, die sich aus dem Jugendzimmer natürlich maximal
schwer anfühlten, knüpfen die Schmerzens- und Geschäftsmänner von Linkin Park
mit ihrer neuen Sängerin knallhart an, wenn sie ihr neues Album From Zero
nennen. Fans wissen, dass die Band vor ihren großen Erfolgen unter dem Namen
Xero unterwegs war.
Überhaupt ist From Zero eine Platte der
Selbstzitate: Da sind Songs wie die Singles The Emptiness Machine oder
eben Two Faced, die so – bemühen wir doch mal das blöde Wort –
authentisch nach den frühen Erfolgsalben von Linkin Park klingen, als habe sich
die Welt nicht weitergedreht. Da sind Popversionen des markanten Sounds der
Band, an die man sich schon auf den letzten Alben mit Chester Bennington
gewöhnen konnte. Da sind gut gekeifte Refrains, die sich anhören, als seien sie
geschrieben worden, um auf der kommenden Riesentournee der Band von den Massen
mitgesungen zu werden.
Klugerweise versucht Emily
Armstrong bei alledem gar nicht erst, Chester Bennington zu imitieren. Während
der sich an den Schreiparts seiner Songs abzumühen schien wie eine
Raupe, die über scharfkantigen Grund kriecht, klingt Armstrongs Grollen ganz
anders, fies und nach Grab. Sie grollt sich ein paar unterhaltsame
Hardcoresongs aus dem Leib, wie man sie so von der Band tatsächlich noch nicht
gehört hat (von anderen Bands allerdings schon). Der ewige Mike Shinoda rappt
dazu wie immer, er singt und schreit auch ein bisschen. Rob Bourdon, der
frühere Schlagzeuger, wurde ersetzt durch den Musiker und Produzenten Colin
Brittain, der zu Linkin Parks frühen Hochzeiten selbst noch Teenager war.
Erst mal ein kleines PR-Desaster
Wie die Argonauten, die laut
der Sage ihr Schiff auf ihrer Reise beständig Teil um Teil erneuerten, haben
sich Linkin Park durchrenoviert, um ihren eigenen Mythos noch einmal
aufzuführen. Bemerkenswert ist das alles zum einen, weil der Hightech-Dampfer
Linkin Park im Grunde unrenovierbar ist, unrettbar abgestellt in irgendeiner Nullerjahre-Werft.
Und zum anderen, weil das Ganze längst nicht so grottenschlecht ist, wie manche Kollegen aus dem Feuilleton schreiben (so gut, wie Teile der klassischen
Rockpresse finden, ist es allerdings auch nicht). Vielmehr ist From Zero
auf eine Art rührend, die einen nicht zu Herablassung veranlassen muss, dabei
selbstbewusst reaktionär. In der Welt des Musikjournalismus nennt
man so eine aufmerksam kuratierte halbe Stunde: Fan-Service.
Das klingt billiger, als es
ist, wenn das Bandmitglied mit den wahrscheinlich meisten Fans nicht mehr am
Leben ist und ersetzt wurde von einer Künstlerin, die noch vor Veröffentlichung
des Albums ein kleines PR-Desaster verursacht hat: Armstrong setzte sich für den Schauspieler
und Scientologen Danny Masterson ein, als dieser sich wegen des Vorwurfs der
Vergewaltigung vor Gericht verantworten musste. (Masterson wurde inzwischen
verurteilt und sitzt im Gefängnis, Armstrong hat sich von ihm distanziert.) Zudem wird der Musikerin vorgeworfen, der Sekte selbst mindestens nahezustehen.
Auf
die Angst vor der ungewissen Zukunft hat die Sängerin also womöglich ganz
eigene Antworten. Ihre neue Band macht derweil einen guten Job, indem sie ihre
alten Fragen einfach noch mal stellt.
„From Zero“ von
Linkin Park ist bei Machine Shop/Warner erschienen.
Jetzt mal Ruhe im Karton: Emily
Armstrong muss nachdenken. Und wer könnte es ihr verübeln? Erst im September
wurde verkündet, dass sie als neue Sängerin bei Linkin Park
einsteigen wird. Nun steht Armstrong, zuvor Gründerin der mäßig bekannten Band
Dead Sarah, im Video zur Linkin-Park-Single Two Faced parat und
erbittet sich von der skeptischen Welt ein bisschen Ruhe vor dem Karrieresturm.
„Stop yelling at me, I can’t hear myself think“, flüstert sie
erst, steigert sich dann hinein in großes Gebrüll. Neben ihr verrichtet der DJ Joe
Hahn Dinge, die man früher wohl mit „rockt an den Turntables“
beschrieben hätte. Man sieht die Band aus einem unmöglichen
Winkel in die Kamera wüten, als filme ein staunendes Kleinkind die Szenerie, alle tragen Anzug und
Krawatte, es wird gar allen Ernstes mit den Händen gefuchtelt (Yo, yo, yo!). So, liebe Vertreter der Generation Z, die ihr die Moden der Nullerjahre so
begeistert nachkauft, sahen die Nullerjahre übrigens wirklich aus.