Friedensdemo am 3. Oktober: Wolfgang Thierse macht im Rahmen Sahra Wagenknecht mit

Eine Friedensbewegung wie am Anfang der 1980er Jahre kommt wieder in Gang. Die für den 3. Oktober, den Tag der Deutschen Einheit, angekündigte Friedensdemonstration in Berlin ist ihr nächster, aber sicher nicht letzter Schritt.

Der Unmut über den fehlenden Willen, eine Verhandlungslösung für den Ukraine-Krieg anzustreben, das Entsetzen über die permanenten Kriegsverbrechen der rechtsextremen israelischen Regierung und auch, obwohl das selten ausgesprochen wird, die Doppelmoral des Westens im Verhältnis zu diesen beiden Kriegen – wo die russische Kriegsführung als pur satanisch erscheint, während die israelische nur Anlass für zarte Mahnungen, nach dem Motto „Nichts für ungut“, unter Freunden bleibt –, das alles hat schon länger verstört und zu Protesten geführt. Als dann noch die Ankündigung hinzukam, dass wieder US-Mittelstreckenraketen in Deutschland stationiert werden sollen, war das Fass zum Überlaufen gebracht.

Friedensbewegung 1980 und heute

Dass die drei jüngsten Landtagswahlen in Ostdeutschland den Protest noch zusätzlich ermutigen, zeigt ein Vergleich mit der Situation in den 1980er Jahren: Damals war die Friedensbewegung nur außerparlamentarisch wirkungsvoll; als nach der Bundestagswahl 1983 klar war, dass sie im Parlament minoritär blieb, war ihre Kraft gebrochen. Heute indessen zeigt sie, ausgehend von Ostdeutschland, auch parlamentarische Stärke, und der Prozess hat gerade erst begonnen.

Dass die Demonstration am 3. Oktober ein ganz großer Schritt voran ist, zeigt sich schon jetzt an der Organisation und den Aufrufen. Die Organisation ist derjenigen analog, die zur Kundgebung am 10. Oktober 1981 im Bonner Hofgarten führte, an der sich 300.000 Menschen beteiligten: Die Motive der Teilnahme sind nicht ganz deckungsgleich, sie werden in gesonderten Aufrufen erläutert, doch es gibt einen Gesamtaufruf, der die allen gemeinsamen Ziele feststellt, und einen Veranstalter – die „Initiative ‚Nie wieder Krieg – die Waffen nieder‘“ –, der dafür das Dach bildet. Der Veranstalter hat erklärt, dass weder die Teilnahme von Faschisten, Antisemiten, Rassisten, Fremdenfeinden noch deren Symbole und Parolen geduldet werden. Das ist eine notwendige Trennlinie, denn mit dem „Friedens“motiv der AfD, die Ukraine gehöre ja gar nicht zu Europa und gehe uns also nichts an, haben die anderen Kräfte nichts gemein.

Gegen Wehrpflicht und Bundeswehr an Schulen

Demonstriert wird für die sofortige Beendigung der Kriege in Gaza und der Ukraine; keine Atomwaffen soll es in Deutschland geben, keine Stationierung von US-Mittelstrecken, keine „neue“ Wehrpflicht, keine Bundeswehr an Schulen, vielmehr Friedenserziehung, Geld für Abrüstung, Bildung, Gesundheitswesen, Klimaschutz und last not least: „Demokratischen Meinungsaustausch fördern, sachliche Berichterstattung ermöglichen!“

So haben wir jetzt schon eine Art Gegenparlament, das sich anschickt, (auch) auf der Straße für den Frieden zu kämpfen, und dem sich neben der Linkspartei und dem BSW auch prominente Sozialdemokraten anschließen, ohne dabei ihre Differenzen zu verbergen. Den Gesamtaufruf haben sowohl Gesine Lötzsch und Dietmar Bartsch von der Linkspartei als auch Amira Mohamed Ali und Sahra Wagenknecht vom BSW unterzeichnet. Dabei schreibt die Linke in ihrem Sonderaufruf, es müsse „diplomatischer Druck“ ausgeübt werden, „um Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen“, und fordert den „Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine“. Beim BSW wird man solche Formulierungen nicht finden. Aber die Linke fordert auch „eine Verhandlungsperspektive, die die Spirale der Eskalation durchbricht“, das ist der Punkt, über den alle einig sind und an dem sich künftige Debatten unter Friedensbewegten zu messen haben. Hilfreich dürfte es sein, sich zusätzlich klarzumachen, dass diese Perspektive über die Ukraine und Russland hinausweist, denn auch die NATO ist faktisch Kriegspartei und von ihr fühlt sich Russland seit Langem bedroht.

Der Aufruf von Walter-Borjans, Thierse & Co.

Am interessantesten, im Moment auch wichtigsten ist der „Aufruf von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zur Friedensdemonstration am 03.10.2024 in Berlin“, der etwa von Wolfgang Thierse, dem früheren Bundestagspräsidenten, und Norbert Walter-Borjans, der noch vor kurzem SPD-Vorsitzender war – man wird sagen dürfen, dass ohne seine Zustimmung Olaf Scholz nicht Kanzlerkandidat bei der vergangenen Bundestagswahl geworden wäre – unterschrieben wurde. Dieser Aufruf ist sehr lang, weil die Genoss:innen das verständliche Bedürfnis haben, in ihrer eigenen Partei keine unnötigen Gräben aufzureißen, ja sich zu rechtfertigen. Es ist ja heute an dem, dass wer für den Frieden eintritt, sich rechtfertigen soll. So distanzieren sie sich sehr markant vom BSW, indem sie formulieren, man dürfe die Friedensbewegung nicht „den Populisten“ überlassen, „die sich gleichzeitig links und rechts geben“. Gleich anschließend schreiben sie aber auch, dass die Friedensbewegung „immer Sammlungsbewegung mit unterschiedlichen Akteuren“ war, und: „Bei allen Unterschieden war es immer ein ehrenhaftes Unterfangen, für den Frieden auf die Straße zu gehen.“

Dieses Papier ist auch besonders produktiv. Den Satz, „Putin“ sei „an den Verhandlungstisch zu zwingen“, lesen wir auch hier – und nicht „diplomatisch“ zu zwingen, wie die Linke schreibt, sondern „militärisch“ –, aber wir finden auch eine hilfreiche Formel, die sich alle Friedensbewegten zu eigen machen können: Sowohl von der Ukraine als auch von „Putin-Russland“ sind „Kompromisse zu verlangen“. Hinzuzufügen bleibt da nur, dass auch die USA, auch die NATO zu Kompromissen bereit sein müssen. Das wird nicht angesprochen, wiederum hilfreich ist aber, dass der „Vorschlag einer Weltfriedenskonferenz unter Moderation der Vereinten Nationen, zu der alle Regierungen eingeladen werden“, bekannt gemacht und unterstützt wird.

Die neue Friedensbewegung ist auf dem richtigen Weg.