Freiwillige Feuerwehr und THW: Wenn die Feuerwehr ruft, ruht die Arbeit

Christian Nitschke hat seit Samstag kaum geschlafen. Seit dem frühen Morgen ist alles anders. Der vierundvierzigjährige Bayer hat seine Arbeit als Werksleiter für die 70-Mann-Zweigstelle des Krankenhausversorgers SMS Medipool sozusagen niedergelegt, seither ist er Koordinator einer ganzen Krisenregion: Kreisbrandrat für den Landkreis Pfaffenhofen.

Bis zu 6000 Helfer seien zwischenzeitlich im Einsatz gewesen, aktuell seien es noch 2000, sagt er. In Gemeinden wie Reichertshofen waren fast alle Straßen überflutet, Hunderte Keller vollgelaufen mit Wasser, Supermärkte und Geschäfte geschlossen, Tankstellen funktionierten nicht, der Strom ist ausgefallen. Airbus und Audi haben die Produktion vorübergehend stillgelegt. Ein Feuermann ist bei einem Hilfseinsatz gestorben, Nitschke musste sich um die Kameraden und Hinterbliebenen kümmern. Helfen, dass Notunterkünfte eingerichtet werden, Keller ausgepumpt, die Stromnetze wieder funktionieren. Am Montag war auch noch der Kanzler da. Nitsch­ke funktioniert. „Da müssen wir durch“, sagt er. Dabei ist er selbst betroffen. Sein Elternhaus hat die Flut begraben.

Ohne Freiwillige kein Katastrophenschutz

Dabei ist Christian Nitschke gar kein hauptamtlicher Krisenhelfer. Der Bayer gehört zu dem Heer an Freiwilligen, ohne das eine solche Hilfe gar nicht möglich wäre. „Feuerwehr ist meine Passion“, hat er gesagt, als er vor anderthalb Jahren von den Kommandanten der freiwilligen Feuerwehren und den Leitern der Werksfeuerwehren einstimmig zum Kreisbrandrat gewählt wurde. Nach 28 Jahren bei der Feuerwehr, erst Neuling, dann Ausbilder, Kreisbrandmeister, Kreisbrandinspektor und zuletzt dann Einsatzleiter.

Ohne Menschen wie Nitschke geht es nicht. „Im Landkreis Pfaffenhofen gibt es gar keine Berufsfeuerwehr“, sagt er. Das ist die Regel in Deutschland. Den 36.000 Berufsfeuerwehrleuten und 34.000 Werksfeuerwehrbeschäftigten stehen nach Angaben des Deutschen Feuerwehrverbands gut eine Million Mitglieder in den freiwilligen Feuerwehren zur Seite, fast ein Drittel davon allein in Bayern. Dazu kommen etwa 300.000 in den Jugendfeuerwehren engagierte Kinder und Jugendliche.

Ohne deren Hilfe würde der Katastrophenschutz nicht funktionieren: Die Statistik listet knapp 200.000 Brände und Explosionen im Jahr auf, drei Millionen Einsätze zur „Notfallrettung und Krankendienst“, mehr als 650.000 technische Hilfsleistungen und 174 Katastrophenalarme. Auch bei einem der mehr als 350.000 Fehlalarme müssen die Feuerwehrleute raus und im Zweifel ihre Arbeit niederlegen. Denn auch ohne die Mithilfe der Arbeitgeber würde das System nicht funktionieren.

Verpflichtungen für Unternehmen können weitreichend sein

Den Unternehmen bleibt allerdings auch nichts anderes übrig. In den Landesfeuerwehrgesetzen werden sie verpflichtet, ihre Mitarbeiter für den Dienst freizustellen und weiter zu bezahlen. Den Lohn bekommen sie dann von der Gemeinde oder dem Landkreis erstattet. Im Kata­strophenfall – wie in Bayern – übernehme das Land die Kosten, sagt Nitschke.

Die Verpflichtungen für Unternehmen können weitreichend sein, wie ein Blick in das Bayerische Feuerwehrgesetz zeigt. Dort ist festgelegt, dass Arbeitnehmern, Beamten und Richtern aus dem Feuerwehrdienst „keine Nachteile im Arbeitsverhältnis“ erwachsen dürfen. Und das nicht nur bei Einsätzen, auch bei der Ausbildung, bei „Sicherheitswachen und Bereitschaftsdiensten“ – da kommen schnell einige Tage im Jahr zusammen. Zumal die Helfer auch für einen „angemessenen Zeitraum“ nach dem Einsatz nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet werden dürfen.

Die Unternehmen bekommen zwar die Lohnkosten erstattet, die Arbeitsleistung allerdings nicht. Ähnlich hat der Gesetzgeber die Erstattung für andere Hilfsorganisationen geregelt. Für die Helfer des Technischen Hilfswerkes (THW) – aktuell 88.000 bundesweit – sind die Erstattungen sogar in einem eigenen THW-Gesetz geregelt. Als Bundesbehörde werden dessen Einsätze mit Steuermitteln finanziert.

Wie stark Unternehmen davon betroffen sind, ist sehr unterschiedlich. Bundesweite Zahlen zu den Arbeitsausfällen werden nicht erhoben. Einsätze in Städten seien häufiger als auf dem Land, mal müsse eine Feuerwehr zehnmal im Jahr ausrücken, mal mehr als hundertmal. In Katastrophenfällen gelten ganz andere Zahlen. Allein in den bayerischen Hochwasserregionen seien mehr als 50.000 Helfer im Einsatz gewesen, schätzt Uwe Peetz vom Landesfeuerwehrverband.

Der Baumaschinenhersteller Wacker Neuson geht davon aus, dass von seinen 700 Beschäftigten im Werk Reichertshofen 85 bei Hilfsorganisationen engagiert sind. Eine ähnliche Quote schätzt auch Nitschkes Arbeitgeber, der saarländische Krankenhausausstatter SMS Medipool. Von den in der Region beschäftigten 70 Leuten seien zehn bei der freiwilligen Feuerwehr aktiv. Unternehmen wie der Babynahrungsmittelhersteller Hipp mit 1200 Beschäftigten in der Region oder Airbus mit mehr als 5000 Mitarbeitern nennen keine Zahlen.

Ein ehrenamtliches Engagement lohnt sich dabei nicht nur für die Einsatzkräfte selbst, sondern für die Arbeitgeber, wirbt das THW. Neben einer soliden handwerklichen Ausbildung lernten die Einsatzkräfte schließlich Stressresistenz, Konfliktbewältigung, Verantwortungsbewusstsein und Teamarbeit in Extremsituationen. Das Management von Nitschkes Arbeitgeber sieht es pragmatisch. Dank der Mitarbeiter habe man ein gutes Verhältnis zur Feuerwehr.

Hochwasser und Arbeitsrecht

Wer vom Hochwasser betroffen ist, muss sich in erster Linie um seine Gesundheit und sein Eigentum kümmern. Bei solchen Naturkatastrophen stellen sich immer wieder Fragen im Zusammenhang mit Freistellungs- und Entgeltansprüchen von Arbeitnehmern. Im Arbeitsrecht gilt der Grundsatz: Ohne Arbeit kein Lohn. Wer aber ohne sein Verschulden vorübergehend durch einen in seiner Person liegenden Grund an der Erbringung der Arbeitsleistung gehindert ist, verliert seinen Lohnanspruch nach Paragraph 616 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht. Die Norm ist vor allem für Beschäftigte relevant, die derzeit mit dem Sichern ihrer Häuser oder mit Aufräumarbeiten ausgelastet sind. Diese bezahlte Freistellung auf Zeit gilt aber nur für wenige Tage. Kann der Arbeitnehmer länger nicht im Betrieb erscheinen, muss er sich mit dem Arbeitgeber über einen (unbezahlten) Urlaub, Gleittage oder das Abfeiern von Überstunden verständigen.

Anders ist die Rechtslage, wenn ein Arbeitnehmer wegen überfluteter Straßen, Erdrutschen und massiven Beeinträchtigen im öffentlichen Nah- und Fernverkehr nicht oder nur mit großer Verzögerung an seinem Arbeitsplatz erscheinen kann. Einen Anspruch auf Lohnfortzahlung gibt es in solchen Fällen nicht, denn das sogenannte Wegrisiko liegt auf Seiten des Arbeitnehmers. Im Gegensatz zum unmittelbar Betroffenen muss er mit einem objektiven Hindernis umgehen, aber auch hier gibt es Grenzen der Verhältnismäßigkeit. Hat sich ein Arbeitnehmer nachweislich und ernsthaft um eine Anreise bemüht und frühzeitig seine Vorgesetzten informiert, dürfte sein Fernbleiben im Regelfall keine arbeitsrechtlichen Sanktionen nach sich ziehen. Zudem bestehen mit Homeoffice und mobilem Arbeiten sowie kurzfristigen Urlaubstagen für beide Seiten durchaus Möglichkeiten, einem Konflikt aus dem Weg zu gehen.

Das Risiko beschädigter Anlagen oder gestörter Lieferketten tragen wiederum die Unternehmen selbst. Erscheint die arbeitswillige Belegschaft in solchen Situationen in der Firma, muss diese den vereinbarten Lohn nach Paragraph 615 BGB zahlen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist es dabei unerheblich, ob ein Fall von höherer Gewalt vorliegt, weil der Anspruch gerade kein Verschulden des Betriebs voraussetzt. Gegen solche Fälle haben sich viele Arbeitgeber  mit Betriebsunterbrechungs-Policen abgesichert. (mj.)