„Freiheit“ von Angela Merkel: Ein Blickkontakt – und was auch immer war lichtvoll

Dieser Text ist die Langfassung der Rezension, die Navid Kermani über das Buch „Freiheit“ von Angela Merkel für die ZEIT verfasst hat. Die kürzere Version dieses Artikels erschien in der ZEIT 50/2024.

„Vielleicht ist meine heutige Vorliebe für farbenfrohe
Blazer auch auf die Urerfahrung zurückzuführen, dass ich im DDR-Alltag kräftige
Farben oft vermisste“, bemerkt Angela Merkel in den Erinnerungen an ihre
Kindheit. Während der eigene Staat nach Bohnerwachs und Terpentin roch, duftete
der Westen nach den feinen Seifen und aromatischen Kaffees, die sich in den Paketen der Hamburger Verwandten fanden.
Dennoch – und trotz der Nachteile, die sie als Tochter eines Pfarrers erfuhr – hat
Merkel den ersten Teil ihrer Memoiren „Eine glückliche Kindheit“ genannt. Es
ist dieses Beharren auf Widersprüche und Ambivalenzen, die ihre Darstellung der
Diktatur über die DDR hinaus gültig und lesenswert machen. Einer Diktatur, ja.
Aber deren Bürger waren weit mehr als nur Untertanen. Nicht weil ich in
Westdeutschland aufgewachsen bin, sondern weil meine Verwandtschaft in Iran
lebt, kann ich das so gut verstehen.