Freihandel mit Lateinamerika: Jetzt verkrampft ebenso Italien dies Mercosur-Abkommen

Italien will vorerst nicht dem Handelsabkommen zwischen der EU und der lateinamerikanischen Mercosur-Region zustimmen, denn es gelte „auf die Sorgen unserer Landwirte einzugehen“. Dies sagte die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni am Mittwoch in einer Regierungserklärung im Parlament in Rom. Eine Unterzeichnung des Abkommens in den kommenden Tagen wäre „verfrüht“, sagte sie. „Für uns ist es notwendig, abzuwarten, bis das Paket zusätzlicher Maßnahmen zum Schutz des Agrarsektors fertiggestellt ist“. Dieses soll dann auch den „Landwirten erläutert und mit ihnen diskutiert werden“, fügte sie hinzu.

Die deutsche Bundesregierung sucht einen raschen Abschluss, doch ohne Italiens Einverständnis im Rat der EU-Staaten fehlt dafür voraussichtlich die nötige qualifizierte Mehrheit. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wollte das Abkommen bei einem Treffen mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Bolivien, Paraguay und Uruguay am Samstag in Brasilien unterzeichnen. Doch dafür bräuchte sie das grüne Licht vom Rat der 27 EU-Länder. Weil dort schon Frankreich dagegen ist, erscheint nun eine Mehrheitsentscheidung zugunsten des Abkommens als unwahrscheinlich.

Schutz von 50 italienischen Herkunftsbezeichnungen

Meloni betonte, dass sie sich dem Abkommen nicht insgesamt widersetzen wolle. Wenn genügend „Garantien der Gegenseitigkeit“ erzielt worden seien, würde Italien zustimmen. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass zu Beginn des kommenden Jahres all diese Bedingungen erfüllt sein können“. Dagegen hieß es aus Kreisen der Bundesregierung am Dienstag laut einer Meldung der Nachrichtenagentur AFP, dass das Abkommen ohne rasche Einigung „wahrscheinlich tot“ sei. Neben Deutschland dringt beispielsweise auch Spanien auf einen baldigen Abschluss.

Meloni sprach im Parlament am Mittwoch von „bedeutenden Fortschritten“ in den Verhandlungen. Der Schutz von mehr als 50 geographischen Herkunftsbezeichnungen Italiens sei vorgesehen. Die Ministerpräsidentin nannte als Beispiele auch die Einführung spezifischer Schutzmechanismen, die Gründung eines Ausgleichsfonds für betroffene Landwirte sowie eine deutliche Verstärkung der phytosanitären Einfuhrkontrollen. „All diese Maßnahmen sind zwar vorgestellt worden, jedoch noch nicht vollständig abgeschlossen“, betonte sie.

Größte Handelszone der Welt könnte entstehen

Am Dienstag hatte schon das EU-Parlament für verschärfte Schutzmechanismen zugunsten von Landwirten gestimmt; sie sollten am Mittwoch mit den Mitgliedstaaten verhandelt werden. Doch Italien will mehr – eine Forderung, der sich der französische Bauernverband bereitwillig anschloss.

Mit dem Freihandelsabkommen würde die größte Handelszone der Welt mit mehr als 720 Millionen Menschen entstehen. Sie deckte fast 20 Prozent der Weltwirtschaft und mehr als 31 Prozent der globalen Warenexporte ab. Doch die Verhandlungen dafür dauern bereits rund ein viertel Jahrhundert.

Ein Hintergrund des italienischen Widerstandes ist kultureller Natur. Wenn es um das Kulinarische und damit auch die Landwirtschaft geht, dann versteht Italien wenig Spaß. Selbst im Vergleich mit Frankreich diskutieren die Italiener noch leidenschaftlicher und noch ernsthafter über das Essen und dabei natürlich über die eigene Küche. Ob Ossobuco, Saltimbocca, Spaghetti Carbonara oder Tiramisu – alles muss auf ganz besonders italienische Art zubereitet werden. Abweichungen werden in der Regel nicht geduldet. Die italienische Kochkunst wurde vor wenigen Tagen nicht umsonst zum immateriellen Unesco-Weltkulturerbe erklärt, denn sie stehe für Nachhaltigkeit, große handwerkliche Fertigkeiten, regionale Vielfalt und Traditionen, die von Generation zu Generation weitergegeben würden. In den vergangenen Jahren hat die Unesco bereits das kulinarische Angebot oder Teile davon aus Mexiko, Frankreich, Japan, Korea und Thailand ausgezeichnet.

Italien ist seine Küche heilig – und damit auch ihre Produzenten

Italien sieht sich indes als weltweiter Marktführer, allein schon wenn es um die Restaurants rund um die Erde. Laut der Beratungsfirma Deloitte erwirtschaftet keine Gastronomie eines anderen Landes höhere Umsätze. „Über das Essen bringen die Italiener ihre Identität, ihre Kultur und ihre Geschichte zum Ausdruck“, schwärmt Massimo Montanari, Professor für Geschichte der Kochkunst an der Universität Bologna, der an der Unesco-Bewerbung mitgearbeitet hat.

Die italienische Landwirtschaft ist so wie auch in anderen Ländern über die Jahre stark geschrumpft und trägt nur noch rund zwei Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Doch zusammen mit den Nahrungsmittelherstellern, Handel, Logistik, Transport und Gastronomie steigt das Gewicht des Sektors auf 15 Prozent des BIP, teilt das staatliche Institut Ismea mit.

Das verarbeitende Gewerbe, auf das Italien nach eigenem Bekunden auch sehr stolz ist, drängt indes auf einen Abschluss des EU-Abkommens mit Mercosur. „Ein Markt mit einem Volumen von 14 Milliarden Euro wäre für uns wichtig in Zeiten, in denen der Export in die Vereinigten Staaten wegen der Zollpolitik von Donald Trump schwieriger wird“, sagt der Präsident des Industrieverbandes Confindustria, Emanuele Orsini. Nicht zuletzt die Arbeitgeber im süditalienischen Taranto sind für das Abkommen, wo die Regierung verzweifelt nach einem Käufer für ein großes Stahlwerk sucht.