Freie Demokratische Partei kräftig abgerutscht: Wie geht es mit dieser Partei weiter?

Meterhoch ragt die knallgelbe Leinwand, auf der in großen Buchstaben „Richtung aufwärts“ prangt, der Wahlkampfslogan der FDP Brandenburg. Die Mitglieder aus dem Landkreis Potsdam-Mittelmark haben in den Bürgersaal von Kleinmachnow geladen. Vor dem Transparent geht schwungvoll Johannes Vogel hin und her. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende und Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion ist zum „Zukunftsdialog“ gekommen. Wer sich bei den Freien Demokraten engagiere, „weiß, dass man starke Nerven braucht“, sagt Vogel. Politik sei ein „fucking Dauerlauf“. In diesem Marathon wurden die Liberalen vergangenes Wochenende von den Wählern in Thüringen und Sachsen brutal ausgebremst. In beiden Landtagen wird die FDP nicht mehr vertreten sein.

Am 22. September wird in Brandenburg gewählt. Seit zehn Jahren ist die FDP dort nicht mehr im Landtag vertreten. Es wäre fast ein Wunder, wenn die Liberalen es dieses Mal schafften. In Umfragen kommt die FDP auf Werte um die 2 Prozent. Aber es gibt noch liberale Biotope im Osten. Eines davon ist das grüne Kleinmachnow im Südwesten von Berlin, das gemessen an Einkommen und Grundstückspreisen einen Spitzenplatz in Brandenburg belegt. Die FDP erreichte hier bei den Europawahlen im Juni ein Traumergebnis von 10 Prozent – den besten Wert in ganz Ostdeutschland.

Wer eine Antwort nicht nur auf die Frage sucht, warum die FDP in Sachsen und Thüringen so unter die Räder gekommen ist, sondern auch hören will, wie die Partei aus dem Tal der Tränen wieder herauskommen könnte, mag sich vertrauensvoll an Stefan Kolev wenden. Dieser kam als Jugendlicher 1999 zum Wirtschaftsstudium aus Bulgarien nach Hamburg, ist seit zwanzig Jahren FDP-Mitglied und lehrt seit zwölf Jahren Volkswirtschaftslehre an der Westsächsischen Hochschule Zwickau. Seit vergangenem Jahr kümmert er sich als wissenschaftlicher Leiter des Ludwig-Erhard-Forums für Wirtschaft und Gesellschaft um die liberale Ordnungsökonomik, die er von Berlin aus hegt und pflegt. Mit dieser Biographie ist er verständlicherweise in diesen Tagen besonders gefragt.

Wie viele Rückschläge kann eine Partei verkraften?

In seinem Büro ist Namensgeber Erhard omnipräsent, er war kein FDP-Mitglied, aber ein Liberaler, der sehr spät der CDU beitrat. Er sorgte nach dem Krieg dafür, dass mit der D-Mark und der Preisfreigabe die Warenbewirtschaftung endete, was den Boden für das viel zitierte Wirtschaftswunder bereitete. Am Ikea-Nierentisch unter Fotos des personifizierten Wohlstands für alle erinnert Kolev daran, dass eine harte Zeit für seine FDP nicht ungewöhnlich ist. Kurz bevor er in Deutschland gelandet sei, habe es eine Landtagswahl in Sachsen gegeben, in der die CDU mit Kurt Biedenkopf 56,9 Prozent der Stimmen geholt habe – und die FDP gerade einmal 1,1 Prozent. Freunde, die er in Sachsen habe und die meistens FDP wählten, hätten dieses Mal ihr Kreuz bei der CDU gemacht, weil sie die AfD nicht vorn sehen wollten. Das erkläre zwar nicht die ganze Tristesse, aber doch einen Teil des Misserfolgs. Dennoch habe die FDP häufiger als andere gezeigt, dass sie resilient ist und immer wieder auf die Beine kommt.

Das zerstrittene Auftreten der Ampelkoalition im Bund war im Wahlkampf alles andere als hilfreich. Thüringens FDP-Spitzenkandidat Thomas Kemmerich urteilte nach dem desaströsen Ausgang schonungslos: „Die Ampel schadet in meinen Augen Deutschland und hat auch der FDP vor Ort und wahrscheinlich auch bundesweit geschadet.“ Seine Schlussfolgerung: „Ich bin für den Ausstieg aus der Ampel.“ Sein Parteivorsitzender widersprach umgehend: „Hier haben wir unterschiedliche Auffassungen“, sagte Christian Lindner. Die FDP stehe zu ihren gegebenen Worten und zum Koalitionsvertrag.

Doch wie viele Rückschläge kann eine Partei verkraften, die einmal mehr am Abgrund steht? Wie stark ist der Rückhalt für ihren Anführer? Wäre ein Ende mit Schrecken nicht doch besser als ein Schrecken ohne Ende? Diesmal ist die Lage besonders ernst, da sind sich viele in der FDP einig. Wenn sie wie 2013 aus dem Bundestag fliegen sollte, wäre eine zweite Rückkehr unwahrscheinlich.

FDP im Strukturwandel

Die FDP durchlebt gerade einen heftigen Strukturwandel. In den Ballungsräumen soll sie recht stabil dastehen, die Rede ist sogar von einer positiven Entwicklung, was Mitgliederzahl und Wahlergebnisse angeht. Gleichzeitig ist ihre Position auf dem Land und da ganz besonders im Osten schwächer denn je. Aber mit Letzterem ist sie nicht allein: Auch die SPD und die Grünen tun sich in den jungen Bundesländern extrem schwer. Doch für die FDP ist der Durchhänger im Osten lebensgefährlich. Was ihr dort in der Bundestagswahl fehlt, muss sie im Westen zusätzlich einfahren, um nicht an der Fünfprozenthürde zu scheitern.

Aktuell gibt es niemand in der Partei, der Lindner gefährlich werden könnte. Als Parteichef und Finanzminister hat er eine dominierende Rolle. Als Redner kann ihm ohnehin niemand das Wasser reichen. Erschwerend kommt hinzu, dass die drei übrigen Minister Marco Buschmann (Justiz), Volker Wissing (Verkehr), Bettina Stark-Watzinger (Bildung) keine Strahlkraft entfalten. In der Fraktion gibt es durchaus Kompetenz gepaart mit politischem Talent, angeführt von Christian Dürr. Wenn man nach Leuten sucht, die in der nächsten Legislatur wichtiger werden könnten, fallen die Namen wie Lukas Köhler, Konstantin Kuhle und eben Johannes Vogel. Alles Männer – ein eigenes Problem für die kleine Partei mit großer Geschichte.

Mit welchen Themen kann die FDP punkten? Von Lindner kommt einerseits Altbekanntes, andererseits die deftig vorgetragene Forderung, mehr gegen illegale Einwanderung zu tun. Also: Einhalten der Schuldenbremse, Verschärfungen beim Bürgergeld, Bürokratieabbau, Steuersenkungen. Mit Blick auf die Zuwanderung sagt er: Die Menschen hätten „die Schnauze voll“. Fast klingt es so, als habe er selbst die Schnauze voll. Verstehen könnte man es. Er bekommt viel auf selbige. Was passiert also nach der Landtagswahl in Brandenburg? Eine gute, einfache Lösung gibt es nicht: Gefangen in der Ampelkoalition wird der FDP nur schwer der notwendige Imagewandel gelingen. Und wenn sie den Bruch riskiert, muss sie sich mit der Frage herumschlagen, warum man sie noch wählen sollte, wenn sie regelmäßig Regierungen kurz vorm Start (Jamaika) oder kurz vor ihrem Ende (Ampel) platzen lässt?

Liberale müssten „Realität akzeptieren“

Der in Berlin lebende Bulgare Kolev glaubt nicht an einen Erlöserbonus, sondern fürchtet den Vorwurf, die FDP kneife, wenn es schwierig werde. Für den Wahlkampf empfiehlt er eine doppelte Strategie: einerseits eine ehrliche Aufarbeitung der Fehler, die in der Pandemie und der Flüchtlingspolitik gemacht wurden, andererseits eine mutige Wachstumsstrategie. Liberale sollten die Migration weder blind wie Linke bejubeln noch plump wie Rechte verteufeln, sondern aufzeigen, wie sie gelingen kann. Dazu verweist er auf eine liberale Schwäbin, die es mit den drei Worten „schaffen und schwätzen“ auf den Punkt gebracht habe. Mit Anreizen und Sanktionen müsse man für Beschäftigung sorgen, und beim Arbeiten sollten alle Deutsch lernen – so müsse Integration beginnen. Darüber hinaus steht für ihn der ordnungspolitische Kampf gegen Privilegien ganz oben auf der liberalen Agenda. Natürlich wirbt auch Kolev für eine Stärkung der Wachstumskräfte – ganz im erhardschen Sinne mit Mut und Zuversicht. Dem Narrativ des drohenden Untergangs müsse man das optimistische Vertrauen in die Gestaltungskraft jedes Menschen entgegensetzen. Und was die Ukraine angeht, hätten Liberale als leidenschaftliche Streiter für die Ordnung des Westens jede Hilfe zu ermöglichen, welche die Ukraine für ihren Sieg benötigt.

Vogel sprach in Kleinmachnow von dem Aufstiegsversprechen, das von den Menschen zunehmend infrage gestellt werde. „Da muss die FDP ran.“ Schon seit Jahren gehe es abwärts damit, dass die Politik „mehr Chancen durch mehr Freiheit“ biete. Aber die Liberalen müssten nun einmal die Realität akzeptieren, gab jemand aus dem Publikum zu bedenken: „Wir sind eher ein Volk der Risikovermeider als der Chancensucher.“ Eine Unternehmerin aus der Region, die selbst FDP-Mitglied ist, sieht ein ganz anderes Problem: Seit Jahren schaffe es die Partei nicht, die Arbeitnehmer des Mittelstandes anzusprechen. „Damit verpasst die FDP eine riesengroße Chance.“ Ihre 250 Beschäftigten wünschten sich vor allem eines, sagt sie: „Die wollen das Geld behalten, das sie verdienen.“ Diese Leute zu gewinnen sollte Priorität haben.

„Wir haben tolle Programme und tolle Ideen, aber warum werden wir nicht als die deutsche Chancenpartei wahrgenommen?“ Diese Frage eines FDP-Kandidaten für die Landtagswahlen tauchte in ähnlicher Form immer wieder auf. FDP-Vize Vogel verwies auf Defizite der Ampelpolitik. Die Leute hätten den Eindruck, als werde die Bundesregierung der Größe der Herausforderungen nicht gerecht, etwa beim Thema Migration. „Talente reinbringen, Täter rausbringen“, müsse die Devise lauten. Hinter seinen mahnenden Worten dürfte die schlichte Erkenntnis stehen: Wenn die Ampel auf diesem Feld nicht mehr abliefert, wird es für die FDP extrem schwer, wieder in den Bundestag zu kommen.