Frankreichs Bauern protestieren gegen Freihandel
Blockierte Verkehrsachsen, umzingelte Präfekturen, überklebte Ortsschilder – in ganz Frankreich haben Bauern am Montag ihren Protest auf die Straße getragen. Er richtet sich gegen staatliche Auflagen und Belastungen, vor allem aber gegen das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den südamerikanischen Mercosur-Staaten. Bis Mitte Dezember haben die Bauernverbände Protestaktionen angekündigt. Sollte der Mercosur-Vertrag dessen ungeachtet unterschrieben werden – was zunehmend wahrscheinlich ist –, gilt eine Eskalation als ausgemacht.
Unterstützung bekommen die Bauern in Frankreich von allen Seiten. „Es ist ein Unsinn, Verträge zu unterzeichnen, die schlecht verhandelt sind“, zeterte der Einzelhandelstycoon Michel-Édouard Leclerc am Montag im Frühstücksfernsehen. Das Mercosur-Abkommen nannte er „eine Dummheit“. Dessen Unterzeichnung durch Brüssel wäre ein „Dolchstoß in den Rücken Frankreichs und der Landwirtschaft“, sagte Xavier Bertrand, Regionalratspräsident der Hauts-de-France und ein Schwergewicht der bürgerlichen Republikaner. Staatspräsident Emmanuel Macron hatte am Sonntag auf einer Visite in Argentinien bekräftigt: „Frankreich ist gegen dieses Abkommen.“
Bis auf ganz wenige Ausnahmen wie die Arbeitgeberverbände Medef und Afep sind die Mercosur-Befürworter in Frankreich verstummt. Südamerikanische Produzenten etwa von Geflügel, Rind und Zucker bekämen viel weniger Regulierung aufgehalst und drohten den europäischen Markt zu fluten, lautet die allgemeine Auffassung. Das bedrohe ausgerechnet in einer Zeit wachsender geopolitischer Spannungen die hiesigen Bauern und die Ernährungssicherheit. Zudem warnt man in Paris vor den Folgen für den Umwelt- und Klimaschutz.
Herbe Wohlstandseinbußen
Längst gilt Mercosur in Frankreich auch als Symbol für das Hadern mit der Globalisierung und dem vermeintlich unfairen Wettbewerb, dem man bei freiem Handel (von Lebensmitteln) ausgesetzt wäre. Das hat mit Traditionen und Konsumgewohnheiten zu tun: Frankreich gilt als strukturkonservatives Land, in dem Essen und Kochen hohe Kulturgüter sind und es Einfuhren wie argentinisches Rindfleisch seit jeher schwer haben gegenüber französischen Waren. Der Anteil der Landwirtschaft an der Wirtschaftsleistung mag wie in Deutschland nur noch marginal sein. Für weite Teile der Bevölkerung ist sie jedoch identitätsstiftend. Die riesige, jedes Frühjahr stattfindende Pariser Landwirtschaftsmesse ist Ausdruck dieses Nationalstolzes.
Die Antifreihandelsstimmung wurzelt aber auch in der jüngeren Vergangenheit. So dominiert in Frankreich nicht erst seit Xi Jinping und Donald Trump die Erzählung einer wirtschaftlichen Verlustgeschichte. Demnach setzte nach dem Wirtschaftswunder Mitte der 1970er eine Abwanderung von Wirtschaftszweigen wie der Stahl- und Textilindustrie ein, die für viele Regionen in Ost- und Nordfrankreich Arbeitslosigkeit und herbe Wohlstandseinbußen bedeutete. Der Industrieanteil an der Wirtschaftsleistung hat sich seither auf rund zehn Prozent halbiert. Populisten schlachten das gnadenlos aus. Auch deshalb startete Präsident Macron ein groß angelegtes Reindustrialisierungsprogramm.
Der Schmerz sitzt umso tiefer, als der große Nachbar Deutschland, mit dem man sich gerne vergleicht, dank Exportschlagern aus dem Automobil- und Maschinenbau noch immer auf den doppelten Industrieanteil kommt. Unter geht in diesem Verlustnarrativ indes, dass auch französische Paradebranchen wie die Luftfahrt-, Kosmetik- oder Luxusgüterindustrie in großem Stil von der Globalisierung und Arbeitsteilung profitieren. Konzerne wie Safran, L’Oréal und LVMH sind auf ihren Gebieten heute Weltmarktführer. Sie erwirtschaften den weit überwiegenden Teil ihrer Milliardengewinne außerhalb ihrer Heimat. Das gilt auch für französische Konzerne aus anderen Branchen wie Air Liquide, Sanofi , Totalenergies oder Schneider Electric.
„Instrumentalisierung und Politisierung“
Mit den Mercosur-Staaten hat Frankreich sogar einen Handelsbilanzüberschuss, und mit dem Freihandelsabkommen dürfte dieser weiter zunehmen, sagt der Sorbonne-Ökonom Emmanuel Combe. Die Hersteller von Wein, Spirituosen, Käse und Milchpulver erhielten den Zugang zu einem großen Markt. Zudem würden Frankreichs kontrollierte Ursprungsbezeichnungen anerkannt und respektiert. „Ebenso werden Industriezweige wie die Automobil-, Chemie-, Luxus- und Kosmetikindustrie ihre Exporte steigern können“, meint Combe.
Doch in der französischen Öffentlichkeit dringen solche Argumente kaum durch. Dort wird vielmehr der steigende Wettbewerbsdruck für die Hersteller von Rindfleisch, Geflügel, Zucker und Mais beklagt. Nahezu einmütig übernimmt die französische Politik die Verlustszenarien der mächtigen Agrarlobby. Auf brasilianischem Acker werden je Hektar sechs, in Frankreich nur 3,6 Kilogramm Pestizide versprüht, mahnten mehr als 600 französische Parlamentarier in einem Brandbrief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Auch werden in den Mercosur-Ländern immer noch in großem Umfang Wachstumsförderer für die Viehzucht eingesetzt, wie zum Beispiel in Europa verbotene Antibiotika.
„Eine solche Kluft bei den Umwelt-, Gesundheits- und Tierschutzstandards stellt ein ernsthaftes Gesundheitsrisiko für die europäischen Verbraucher dar“, hieß es in dem unter anderem vom Ex-Premier Gabriel Attal signierten Brief. Es gebe eine „Instrumentalisierung und Politisierung von Themen wie dem Mercosur-Abkommen“, konstatierte der Präsident des Arbeitgeberverbands Medef, Patrick Martin, unlängst in der F.A.Z. Während es in Deutschland eine „erfreuliche Form von Pragmatismus“ gebe, habe man in Frankreich „bis heute große Schwierigkeiten, sie auf rationale und objektive Weise zu betrachten“.