Frankreich: Macron ernennt Ex-EU-Kommissar Barnier zum französischen Premier

Knapp zwei Monate nach der Parlamentswahl in Frankreich hat Staatschef Emmanuel Macron den ehemaligen EU-Kommissar Michel Barnier zum Premierminister ernannt. Das teilte der Élysée-Palast mit. Macron habe Barnier den Auftrag erteilt, eine Regierung des Zusammenschlusses zu bilden. Zuvor hatte Macron tagelang Gespräche mit allen politischen Kräften im Parlament geführt, um eine möglichst breite und stabile Regierung auszuloten.

Der 73-jährige Republikaner Barnier blickt auf eine jahrzehntelange politische Karriere zurück. Er war Umweltminister unter François Mitterrand, Außenminister unter Jacques Chirac und Landwirtschaftsminister unter Nicolas Sarkozy. Barnier arbeitete zudem mehrfach als EU-Kommissar und agierte als Brexit-Chefunterhändler der Europäischen Union.

Parlamentarische Unterstützung für Barnier unklar

Ob Barnier eine mehrheitsfähige Regierung aufstellen kann, muss sich allerdings noch zeigen. Die Konservativen haben angekündigt, nicht Teil einer Regierung sein zu wollen. Sie dürften ein Kabinett unter Barnier aber zumindest dulden. Die Unterstützung des Macron-Lagers dürfte dem neuen Regierungschef gewiss sein.

Schwer absehbar ist aber, wie er nötige Stimmen aus dem linken Lager bekommen könnte. Möglich ist, dass ihn am Ende die Rechtsnationalen dulden – aus Zuspruch für Barniers restriktive Positionen im Bereich Migrationspolitik.

Linke: „Wahl wurde gestohlen“

Die ersten Reaktionen zur Ernennung Barniers fielen unterschiedlich aus. Macrons eigene
Partei Renaissance erklärte, dass sie nicht grundsätzlich gegen den
73-Jährigen stimmen werde, aber ihm auch „keinen Blankoscheck“
ausstellen wolle. Die rechtsextreme Partei Rassemblement National
(RN), die als Königsmacherin gilt, teilte mit, dass sie zunächst die
Regierungserklärung des neuen Premierministers abwarten wolle.

Heftige
Kritik kam hingegen aus dem linken Lager, das sich seines Wahlsiegs
beraubt fühlt. „Das ist der Höhepunkt der Demokratieverweigerung“,
schrieb der sozialistische Parteichef Olivier Faure auf X.
Er verwies darauf, dass Barniers Partei der
Republikaner bei der Parlamentswahl nur auf den vierten Platz gekommen
war. 

Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon schrieb: „Die Wahl
wurde gestohlen.“ Barnier sei darüber hinaus der Kandidat, der dem RN am nächsten stehe.

Republikaner auf dem vierten Platz

Aus dem zweiten Wahlgang der Parlamentswahl in Frankreich am 7. Juli war das Linksbündnis Nouveau Front populaire
überraschend als Gewinner hervorgegangen. Sie erreichen 182 Sitze,
während Macrons Bündnis Ensemble 168 und der rechtsextreme Rassemblement National 143 Sitze erhalten. Die Republikaner, die Partei der Barnier angehört, erreichte hingegen nur 60 Sitze insgesamt – das entspricht etwa 7 Prozent der Wählerstimmen.

Eine absolute Mehrheit erhielt keines der Lager. Traditionell
schlägt damit das größte Lager in der Nationalversammlung einen Kandidaten für
das Amt des Premierministers vor. Der Präsident kann ernennen, wen er
möchte, ist aber darauf angewiesen, dass der Premierminister für die
Gesetzesvorhaben der Regierung in der Nationalversammlung eine Mehrheit
bekommt.

Das Linksbündnis schlug Lucie Castets für das Amt der Premierministerin vor. Macron lehnte eine Regierungsbildung durch das Linksbündnis allerdings ab. Er begründete seine Entscheidung damit, dass Castets durch ein Misstrauensvotum direkt wieder gestürzt würde. In der vergangenen Woche führte er daraufhin weitere Gespräche, unter anderem mit Marine Le Pen und Jordan Bardella vom RN und ihrem Verbündeten Éric Ciotti, ein Republikaner.

Die Amtsübergabe des 35-jährigen Gabriel Attal an Barnier
sollte noch an diesem Donnerstag erfolgen. Sie bedeutet auch den Übergang vom
bislang jüngsten zum bislang ältesten Regierungschef Frankreichs.