Frankreich: Barnier-Regierung vor Sturz
Die französische Minderheitsregierung von Premierminister Michel Barnier steht vor dem Sturz. Am Montagnachmittag erklärte die Frontfrau des rechtspopulistischen Rassemblement National (RN), Marine Le Pen, einen eigenen Misstrauensantrag zu stellen und für den des Linksblocks stimmen zu wollen. Zuvor hatte Barnier zu Beginn der Debatte in der Nationalversammlung über den Sozialversicherungshaushalt erklärt, vom Verfassungsparagrafen 49.3 Gebrauch zu machen.
Mit diesem gilt das Gesetz ohne weitere Abstimmung als angenommen. Diese Gelegenheit kann die Opposition dafür nutzen, die Regierung mittels Misstrauensantrags zu stürzen. Le Pen nannte den Gesetzesentwurf für die Franzosen „zutiefst ungerecht“. Zuvor hatte der RN-Parteichef Jordan Bardella im Radiosender RTL von einem „Strafhaushalt“ gesprochen, „der die Kaufkraft unserer Landsleute schwächen wird“. Bardella forderte insbesondere die Aufhebung der erhöhten Eigenbeteiligung, welche die Regierung für verschreibungspflichtige Medikamente plant.
Am frühen Montagnachmittag hatte es noch danach ausgesehen, als könnte Barnier den Sturz der Regierung abwenden. So hatte sein Haus mitgeteilt, der Forderung Le Pens nachzukommen, von der erhöhten Eigenbeteiligung für Medikamente abzusehen. Demnach habe ein Telefonat zwischen Barnier und Le Pen stattgefunden.
Es war das zweite Zugeständnis an die Rechtspopulisten, nachdem die Regierung vorige Woche schon deren Forderung nachgekommen war, die Stromsteuer nicht wie geplant zu erhöhen – was ein milliardenschweres Loch in die Haushaltsplanung reißt. Doch Le Pen reichte dieses Zugeständnis nicht. Sie drängte Barnier darüber hinaus, auf eine Verschiebung des Inflationsausgleichs bei den Renten zu verzichten. Die Abstimmung über die Misstrauensanträge kann 48 Stunden nach deren Einreichung stattfinden, also von Mittwoch an.
Düstere Aussichten
Bevor der RN am Montag erklärt hatte, der Regierung das Misstrauen auszusprechen, hatte der Linksblock die Verständigung zwischen Barnier und dem RN scharf kritisiert. Die Grünen-Vorsitzende Marine Tondelier sprach von einer „Schande“. Sie werde „nie den Tag vergessen, an dem ein Premierminister Frankreichs, um seine eigene Haut zu retten, sich gezwungen sah, Marine Le Pen in einer offiziellen Pressemitteilung den Bart zu streichen“, erklärte sie auf der Plattform X.
Die Barnier-Regierung müsste bis Jahresende insgesamt drei Haushaltsgesetze verabschieden. Nicht nur politisch steht sie seit Tagen unter großem Druck, sondern auch an den Finanzmärkten. Vorige Woche hatte die Zinsdifferenz zwischen französischen und den als sehr sicher geltenden deutschen Staatsanleihen ein Zwölfjahreshoch erreicht. Das signalisiert wachsende Zweifel an der Fähigkeit der Regierung, die Neuverschuldung einzudämmen, und damit auch an der Kreditwürdigkeit des französischen Staates.
Nachdem die Zinsdifferenz zum Wochenende hin leicht zurückgegangen war, legte sie am Montag wieder deutlich zu. Pierre Moscovici, der Präsident des französischen Rechnungshofs, warnte am Montag eindringlich vor den Gefahren der politischen Instabilität. „Unsere Finanzlage ist gefährlich“, sagte er im TV-Sender France 2. Moscovici verwies auf die Schuldenlast von rund 3,2 Billionen Euro und den binnen drei Jahren von 25 auf 70 Milliarden Euro gestiegenen Schuldendienst im Staatshaushalt.
Auch Barnier hatte vorige Woche vor einem „Sturm auf den internationalen Finanzmärkten“ gewarnt, wenn das Parlament keinen Haushalt für 2025 verabschiede. Die finanzielle Lage sei ernst, die Zinsen seien schon „fast auf dem Niveau Griechenlands“. Tatsächlich muss Athen mit rund 2,9 Prozent inzwischen weniger für Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit als Paris bezahlen, und das bei deutlich schlechterer Einstufung durch die Ratingagenturen.
Schon vor Montag haben sich die Aussichten für Barnier verdüstert, auch die kommenden Monate politisch zu überleben oder größere Vorhaben umzusetzen. Im Linksblock sieht man damit auch das Ende von Präsident Emmanuel Macron kommen, dessen Beliebtheitswerte jüngst ein Rekordtief erreicht haben. „Die Frage, die nach dem Sturz der Regierung gestellt werden wird, wird die Frage nach dem Abgang des Präsidenten der Republik sein“, sagte der Parteichef von La France insoumise, Manuel Bompard, dem TV-Sender CNEWS.