Frankfurter Schule: Quetschgebiss mit Jochzähnen

Das immer noch legendäre Frankfurter Institut für Sozialforschung ist in dieser Woche 100 Jahre alt geworden. Ein runder Geburtstag bedeutet natürlich erst mal einen Grund zum Feiern, auch wenn die historische Hypothek (Gründung, Vertreibung, Exil, Rückkehr, Nachkriegs-BRD und Studentenproteste) naturgemäß nicht mehr ganz so frisch wirkt. Aber dafür gibt es schließlich Frischzellenkuren.

Und deshalb will man nun auch den alten linken Kanon, der mit den Namen von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer verbunden ist, um „queerfeministische und posthumanistische Ansätze, antirassistische und dekoloniale Perspektiven“ erweitern. Man möchte nicht mehr das berühmte „Grand Hotel Abgrund“ sein, wie der ungarische Philosoph Georg Lukács die Frankfurter Kollegen einmal nannte, sondern eine „Petite Auberge Aufbruch“, als die das Institut von seinem neuen Direktor, dem Soziologen Stephan Lessenich, im vergangenen Jahr in einem Aufsatz tituliert wurde.

Leider geriet der zweistündige Festakt im auch nicht mehr ganz so frischen Institut dann aber nicht wirklich festlich, weil da außer Grußwortkaskaden eigentlich nichts war mit Kritik oder Aufbruch, und so schaute man nach einer Alternative, um sich von der Party zu stehlen. Diese fand sich dann auch, denn gleich gegenüber dem Institutsgebäude befindet sich das Senckenberg Naturmuseum, in dem man neben Dinosauriern, Schildkröten und Krokodilen auch noch allerlei andere alte Knochen bestaunen kann.

Das im Jahr 1951 fertig gestellte Gebäude beherbergt das Institut für Sozialforschung (IfS).

Und war es nicht gerade diese Ausgrabungskunst, die die Frankfurter Theoretiker von einst im Sinn hatten? Denn genau wie Adorno und Horkheimer in ihrer Dialektik der Aufklärung damals im kalifornischen Exil mit Odysseus als dem ersten bürgerlichen Individuum eine Urgeschichte der Subjektivität freigelegt hatten, konnte man nun im Naturkundemuseum noch in ganz andere Urgeschichten abtauchen und etwa mit dem amerikanischen Urelefanten Mastodon den prähistorischen Vorläufer des gleichnamigen dezentralen sozialen Netzwerks entdecken, das für alle Twitter-Flüchtlinge von heute zur neuen Heimstatt geworden ist. Auch die Beschreibung schien da wie aus einer fernen Vergangenheit unmittelbar in die Gegenwart hinüberzusprechen: „Typisches Quetschgebiss mit Jochzähnen“.

Große Freude bereitete auf den oberen Stockwerken dann auch die Schäfchenschnecke, die etwas kann, was weder das handelsübliche Schaf noch die gewöhnliche Schnecke kann. Sie ist „Kleptoplastin“. Sie klaut Fähigkeiten, indem sie Algen abgrast, nicht aber um diese zu verdauen, sondern um deren Vermögen zu nutzen, Fotosynthese zu betreiben. Und vielleicht ist das ja auch eine Urgeschichte für die nächsten 100 Jahre Kritische Theorie: tief unten auf dem Korallenriff der Frankfurter Schule andocken und oben einfach noch von der Party mitnehmen, was geht.