Frankfurter Buchmesse: Italiens Schriftsteller wehren sich

Auf dieses Gastland bei der Buchmesse
hatten sich sicher nicht nur in Frankfurt am Main viele gefreut. Italien! Seit den
Zeiten von Goethes blühenden Zitronen derart beliebt bei den Deutschen, wie es
die spezifische Wortschöpfung „Italiensehnsucht“ erahnen lässt. Eine Nostalgie,
die von deutschen Autoren zuverlässig mit immer neuen Buchtiteln befördert
wird, egal ob es um Kochrezepte geht, um Ich-in-Italien oder um toskanische
Regionalkrimis.

Doch gut drei Monate vor Buchmesseneröffnung
wird immer klarer, wie weit Realität und Sehnsucht auseinanderklaffen. In Rom
ist die rechteste Regierung der Nachkriegszeit an der Macht, und das hat
Konsequenzen, auch für die Literaturszene. Mit einem offenen Brief haben sich
jetzt 41 Schriftstellerinnen und Schriftsteller an den heimischen
Verlegerverband AIE (Associazione Italiana Editori) und an den Frankfurter Buchmessen-Direktor
Juergen Boos gewandt, ein beispielloser Vorgang. Man sei im Hinblick auf
Frankfurt „voller Vorfreude und Spannung“ heißt es in der Erklärung, wolle aber
auf diesem Wege „unserem Unbehagen Ausdruck verschaffen“.

Um zwei Punkte geht es den
Unterzeichnern: die vom Gastland verantwortete Programmgestaltung auf der
Messe, die „Italien so präsentiert, als handele es sich um eine Insel“.
Offenbar werde dadurch „ein gravierender Mangel“ an kulturellem Verständnis und
verlegerischer Strategie der Verantwortlichen. Anstatt den internationalen und
interkulturellen Austausch zu den brennenden Themen der Zeit bei
Veranstaltungen mit Autoren aus allen möglichen Ländern zu fördern, sollten die
Italiener gefälligst untereinander diskutieren. „Nur die Initiative einzelner
Autoren, beziehungsweise ihrer deutschen Verleger wird dieser Selbstbezogenheit
teilweise entgegenwirken.“

Noch härter urteilen die Verfasser
über den „Störfall Saviano“. Der Ausschluss des weltbekannten, von der Mafia
verfolgten Schriftstellers Roberto Saviano aus der offiziellen
Buchmessendelegation Italiens hatte Ende Mai zu einem Eklat geführt. Man habe
„originellere Autoren“ bevorzugen wollen, hatte Delegationschef Mauro Mazza
erklärt, um Tage später eine Einladung nachzuschieben, die der Autor ausschlug.
Savianos Kollegen klagen nun, es handele sich keineswegs um einen Einzelfall,
sondern sei Teil einer „ganzen Serie unterschiedlich gravierender Fälle von
Machtmissbrauch, die wir in den letzten zwei Jahren nicht nur miterlebt haben,
sondern die sich häufig auch gegen einen von uns gerichtet haben“.

Die zunehmende Einmischung der
Politik in die Freiräume der Kultur sei beunruhigend. Sie manifestiere sich
nicht nur in der „systematischen Besetzung aller Schlüsselpositionen nach
Kriterien der politischen Zugehörigkeit, sondern auch in mehr oder weniger
expliziten Formen der Zensur“. Von „persönlichen Angriffen mit dem Ziel der
Diskreditierung“ ist die Rede und von Verleumdungsklagen politischer Machthaber
gegen Schriftsteller, Journalisten und Intellektuelle.

Unterschrieben haben viele international
bekannte Autoren. Saviano selbst gehört ebenso dazu wie Paolo Giordano, der den
Brief initiiert hat, und Antonio Scurati, der kürzlich vom Staatsfernsehen RAI ausgeladen
wurde
. Giordano und Scurati wollen nicht mehr mit den Offiziellen nach
Frankfurt reisen. Die meisten Mitunterzeichner sind jedoch Teil der Delegation
geblieben, Nicola Lagioia etwa, Helena Janeczek, Giulia Caminito, Francesca
Melandri
, Donatella Di Pietrantonio und Dacia Maraini. Sehr unterschiedliche
Autorinnen und Autoren, von denen längst nicht alle durch politische Äußerungen
hervortreten. Ihre auffälligste Gemeinsamkeit: Sie sind derzeit die
prominentesten Vertreter italienischer Literatur.

Wohl deshalb machte Verlegerpräsident
Innocenzo Cipolletta nach anfänglichem Zögern einen Kotau. Er entschuldigte
sich bei Saviano und erklärte: „Das Unbehagen der Autoren ist auch unser
Unbehagen.“ In Frankfurt werde man allen Gelegenheit zur Diskussion geben –
auch über die Einmischung der Politik in die Kultur und über Zensur in Italien gegenwärtig. „Als Scurati
zensiert wurde, haben wir uns sofort solidarisch erklärt“, sagte Cipolletta der Zeitung La
Repubblica
.

Rückendeckung erhält der
Verlegerpräsident von Marina Berlusconi, der Besitzerin und Leiterin des
größten italienischen Verlagshauses Mondadori. Die älteste Tochter von Silvio Berlusconi nahm zwar
nicht direkt zur Buchmessendebatte Stellung, distanzierte sich aber in einem
Interview mit dem Corriere della Sera von der extremen Rechten. Sie sei
besorgt vom Erfolg antidemokratischer Bewegungen bei der Europawahl, sagte
Berlusconi. Zwar wollte sie Giorgia Meloni nicht dazuzählen, doch sei sie mit
deren Regierung in Bezug auf den Umgang mit Bürgerrechten nicht einverstanden:
„Wenn es um das Recht auf Abtreibung und Sterbehilfe und die Rechte von
LGBTQ-Personen geht, fühle ich mich eher bei der Linken aufgehoben.“

Wer will, kann das als eine
Breitseite gegen den stramm rechten Delegationschef Mazza interpretieren, der
in Fernsehtalkshows etwa die Pride-Parade als „obszön und blasphemisch“
attackierte. Tatsächlich ging auch Cipolletta auf Distanz zu Mazza: „Was er
über Saviano gesagt hat, teile ich nicht, und es entspricht auch nicht der
Wahrheit.“ Der 68-jährige, frühere RAI-Journalist Mazza versteht sich in seiner neuen Rolle offenbar als
federführend für die von der Regierung angestrebte „Kulturwende“ – der Tribut
an den amerikanischen Mussolini-Verehrer Ezra Pound im offiziellen
italienischen Buchmessenwerbevideo spricht Bände.

Die viel beschworene „Nazione“

Nicht nur unter den Autoren mehren
sich die Stimmen, die den Delegationschef für eine Fehlbesetzung halten, einen
antiliberalen Spalter, der die größte Buchmesse der Welt als Werbeplattform für
rechtsidentitäre Ideen der viel beschworenen „Nazione“ versteht. Der „Regierungskommissar“
äußerte sich nicht zum Protestbrief der Autoren, wohl aber sein Chef,
Kulturminister Gennaro Sangiuliano. „Sie diskriminieren uns, nicht wir sie“,
tat der parteilose Sangiuliano den Appell der Schriftsteller ab.

Doch die offenkundige Mission, Italiens
Kulturlandschaft umzugestalten, könnte zumindest im Bereich Literatur
scheitern. Diesmal hat es offenkundig nicht gereicht, Posten mit Gewährsmännern
zu besetzen – was Sangiuliano im Kulturbetrieb gerade flächendeckend vollzieht.
Ob sein Freund Mazza nach Frankfurt fährt, ist nach dem Aufstand der Autoren
mehr als fraglich. Seit Wochen hüllt der sonst so Meinungsfreudige sich in
Schweigen, womöglich auf Anweisung von oben. Für die regierende Rechte ist die
Buchmesse im fernen deutschen Frankfurt schon jetzt ein Imagedesaster.

Allen anderen wird die Messe
Gelegenheit geben, sich intensiv mit dem Italien von heute zu beschäftigen. Was
in ihrem Heimatland geschehe, schreiben die Autoren in ihrem offenen Brief, sei „innerhalb Europas
inakzeptabel und mit einer gesunden Demokratie nicht zu vereinbaren“. Italiens
Schriftsteller haben schon gezeigt, dass sie sich zu wehren wissen.