Frankfurter Buchmesse: Er gegen sie, sie gegen ihn

Die barocke Biblioteca Angelica in Rom ist eine der ältesten und schönsten öffentlichen Bibliotheken Europas. In eleganten Wellen streben ihre Regale mit Büchern aus sechs Jahrhunderten zum Gewölbehimmel, antike Globen stehen auf edlen Studiertischen. Hier spielt das offizielle Werbevideo des Gastlandes Italien auf der Frankfurter Buchmesse, feierlich fährt die Kamera über Werke von Ariost, Dante, Pirandello, Manzoni und Pavese. „Wir stehen auf den Schultern von Riesen“, verkündet der Sprecher, deutsch und englisch untertitelt. Die Riesen der italienischen Literatur sind in diesem Video allesamt männlich und schon lange tot, was nur teilweise zum Buchmessen-Motto „Wurzeln in der Zukunft“ passt. Verblüffend ist, dass offenbar auch ein Amerikaner zu ihnen gehört: Ezra Pound.

Der Mussolini-Bewunderer und Propagandadichter für den faschistischen Rundfunk ist in einem kurzen Schwarz-Weiß-Schnipsel aus dem Jahr 1968 mit Pier Paolo Pasolini zu sehen. Letzterer zitiert aus einem Pound-Gedicht an Walt Whitman: „Ich bin jetzt erwachsen genug, um Freundschaft zu schließen.“ Der Regisseur und Schriftsteller Pasolini ist sicher einer der bekanntesten Autoren des 20. Jahrhunderts – aber was macht Pound in dem Gastland-Video?

Für nicht wenige in den regierenden Rechtsparteien ist der amerikanische Dichter ein Säulenheiliger. Die Organisation Casa Pound vom ganz rechten Rand hat sich sogar nach ihm benannt. Als Pounds Tochter dagegen Klage einreichte, wurde diese von einem italienischen Gericht abgewiesen. Aber unter Pounds Anhängern sind bei Weitem nicht nur mehr oder weniger faschistische Nostalgiker, eine Neuauflage seiner Gedichte erschien vor wenigen Jahren im großen Publikumsverlag Mondadori. Daran mag der zuständige Regierungskommissar für die Buchmesse, Mauro Mazza, gedacht haben, als er das Werbevideo für den Gastland-Auftritt konzipierte und das Treffen zwischen Pound und Pasolini aus dem Archiv des Staatssenders RAI fischte.

„Die Kultur vereint“, sagte der Kommissar bei der Gastland-Vorstellung im Frankfurter Literaturhaus am 28. Mai. Doch dann machte Mazza deutlich, dass das offenbar nicht für alle gilt. Gefragt, warum ausgerechnet Roberto Saviano, der derzeit wohl bekannteste italienische Autor, nicht zur hundertköpfigen offiziellen Autorendelegation gehöre, erklärte Mazza: „Saviano wurde nicht eingeladen.“ Man habe weniger bekannten Autoren eine Chance geben wollen – und „Verfassern wirklich eigenständiger Werke“. Savianos Welterfolg Gomorrha aus dem Jahr 2006, international als Meilenstein der zeitgenössischen italienischen Literatur interpretiert, gehört für den studierten Juristen Mazza offenbar nicht dazu. Weil Saviano seit dem Erscheinen von Gomorrha von der neapolitanischen Camorra verfolgt wird und sich jahrelang in Polizeikasernen verstecken musste, wurde er auch zum Symbol für die bedrohte Freiheit von Autoren. Weltberühmt und eine Zielscheibe der Mafia: Ausgerechnet dieser Mann soll nicht zur offiziellen Buchmessen-Delegation seiner Heimat gehören.

Erfolgte der Ausschluss von Saviano aus politischen Gründen?

Mazzas Stellungnahme löste einen Eklat aus. Aus Solidarität mit Saviano erklärten spontan vier Autoren ihren Austritt aus der Gastland-Delegation, darunter Sandro Veronesi und Paolo Giordano, Träger des renommierten Literaturpreises Premio Strega. Antonio Scurati, der kürzlich aus einer Sendung des Staatsfernsehens RAI ausgeladen worden war, hatte schon im Vorfeld demonstrativ auf einen Platz in der Delegation verzichtet. Andere Autorinnen und Autoren überlegen noch, ob oder wie sie dabei sein wollen, viele sind verstört über den seit Monaten laufenden Konflikt zwischen Regierungsvertretern und Literaturschaffenden. Vor allem Saviano wird immer wieder von Politikern und regierungsnahen Medien angegriffen, unter anderem wird dem von der Camorra verfolgten Autor vorgeworfen, er habe sich mit der Thematisierung der Mafia persönlich bereichert. Giorgia Meloni zeigte Saviano wegen Beleidigung an, mit Erfolg. Der Autor wurde zu einer Geldstrafe von 1.000 Euro verurteilt, weil er die heutige Regierungschefin wegen ihrer Attacken auf die Seenotrettung von Geflüchteten „Bastard“ genannt hatte.

Savianos Ausschluss sei ganz klar aus politischen Gründen erfolgt, sagt Nicola Lagioia, noch ein Strega-Preisträger. „Die Rechte bekämpft uns. Sie sieht in uns Feinde der Regierung.“ Lagioia selbst war ins Kreuzfeuer geraten, als er im Mai 2023 in Turin seinen letzten Einsatz als Direktor der größten italienischen Buchmesse Salone del Libro absolvierte. Bei einem Auftritt der rechtskonservativen Familienministerin Eugenia Roccella hatte das Publikum lautstark protestiert. Es kam zum Tumult. Eine Abgeordnete der Meloni-Partei schrie Lagioia ins Gesicht: „Das soll legaler Protest sein? Bei all dem Geld, was du kriegst. Schäme dich!“ Aparterweise war die Politikerin da schon rechtskräftig wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder verurteilt worden.

Szenen wie in Turin sollen sich in Frankfurt nicht wiederholen. Bei der Eröffnung werden deshalb drei Autoren ihren großen Auftritt haben, die nicht durch Regierungskritik aufgefallen sind: der Physiker und Essayist Carlo Rovelli, 68, die Schriftstellerin Susanna Tamaro, 66, und Stefano Zecchi. Kein Buch des Ästhetikprofessors Zecchi, 79, wurde übersetzt, in Italien ist er vor allem durch seine TV-Auftritte bekannt. Auch politisch betätigte er sich, kandidierte unter anderem für Melonis Fratelli d’Italia und eine kleine Separatistenpartei. Derzeit ist er Kulturbeauftragter der Mitte-rechts-Stadtverwaltung von Venedig. Ein loyaler Mitstreiter.

Italienische Autoren wollen nicht das Feigenblatt der Regierung sein

Für die Regierung ist die Eröffnungszeremonie der wichtigste Moment der Buchmesse, denn darüber werden die Nachrichtensendungen zu Hause berichten. Und zumindest in diesem Geschäft kennt sich Mazza bestens aus. Er war Chef des wichtigsten Staatssenderprogramms RAI 1, bevor er Sportchef und schließlich Beauftragter für den Vatikan wurde. Nach wie vor ist er ein gern gebuchter Talkshowgast. Quotenträchtig teilt Mazza aus – gegen Minderheiten.

Am 7. Juni 2023, kurz vor der Ernennung zum Buchmessen-Kommissar, sagte er in der reichweitenstarken Talkshow Dimartedì beim Privatsender La7: „Der Gay Pride ist zu einer Veranstaltung der Vulgarität und Gotteslästerung verkommen. Das beleidigt seit Jahren den Glauben von Millionen Italienern und Europäern.“ Er meinte die römische Pride-Demo, an der im vergangenen Jahr der deutsche Botschafter mit seiner mexikanischen Amtskollegin teilnahm. Aber was in Deutschland läuft, geht in Italien noch lange nicht. Als RAI-Programmchef hatte Mazza 2011 eine Folge der ARD-Serie Um Himmels Willen zensiert, weil dort die Verpartnerung von zwei Männern gezeigt wurde, „am Altar einer katholischen Kirche und im Beisein einer Nonne und des Bürgermeisters“, erklärte er. Das sei anstößig.

Am 22. November 2023, da war er schon für die Buchmesse zuständig, verteidigte Mazza in Dimartedì einen Gesetzentwurf der Meloni-Regierung. Mit ihm sollten Haftstrafen für schwangere Frauen ermöglicht werden; er richtete sich offensichtlich gegen Roma-Frauen. „Ganz normale Leute, die mit der Metro zur Arbeit fahren, müssen auf ihre Taschen aufpassen, wenn eine schwangere Frau oder eine Mutter mit Kleinkind einsteigt“, sagte Mazza. Das Gesetz solle auch „die Kinder von Roma-Frauen“ davor schützen, ihrerseits Taschendiebe zu werden.

Nach seinem Auftritt in Frankfurt versuchte der Regierungskommissar, Roberto Saviano nachträglich einzuladen. Der Autor lehnte ab. Er komme lieber auf Einladung seines deutschen Verlages als der „ignorantesten italienischen Regierung“. Seither herrscht Stille bei Mazza. Auf Anfrage lässt er ausrichten, er gebe derzeit keine Interviews. Verstummt sind aber auch viele Schriftsteller. Es ist gar nicht so einfach, sie ans Telefon zu bekommen. „Das vorherrschende Gefühl bei uns ist eine große Verlegenheit“, erklärt Nicola Lagioia, der selbst Teil der offiziellen Delegation ist. „Einerseits freuen wir uns natürlich auf die Buchmesse. Andererseits wollen wir nicht das Feigenblatt dieser Regierung sein.“ Helena Janeczek, ebenfalls Premio-Strega-Preisträgerin in der Delegation, spricht von einer „tiefen Verunsicherung“. Auch sie will dabeibleiben: „Wer weiß, was bis Oktober noch passiert.“ Und dann sagt Janeczek: „Bücher, die den Faschismus und die Resistenza thematisieren, sind übrigens in Italien gerade sehr erfolgreich.“