Film „Zone“ von Christina Friedrich: Aufstand dieser Zonenkinder

In ihrem neuen Film „Zone“ betreibt die Regisseurin Christina Friedrich Geschichts- und Selbsterforschung mit Bildungshuberei und revolutionärem Furor


Die Rebellin (Kea Krassau) auf einer Reise durch die Zeit

Foto: eksystent Filmverleih


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Eine junge Frau mit blauen Augen und langem braunem Haar steigt in den Keller eines alten Hauses hinab. Im Abspann wird sie eine Rebellin genannt werden, jetzt, zu Beginn des Films, wirkt sie vor allem beherrscht und so streng wie ihr schnurgerader Pony. Sie legt ein Loch in einer Wand frei, dahinter lauert ein loderndes Inferno. Die Rebellin (Kea Krassau) steigt hindurch, eine Zeitreise beginnt. Zunächst geht es zurück, in die letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs, und dann vorwärts durch die Jahrzehnte bis zur sogenannten Wende und zu Sätzen, die direkt in die Gegenwart gesprochen scheinen: „Etwas kündigt sich an, ein Aufstand. Eine nicht mehr zu erstickende Ungeduld. Die Menschen rufen nach Freiheit. Sie wünschen ein anderes Land.“ Mit durch den Film zieht sich der Schauplatz, das thüringische Nordhausen und dessen Umland, wo einst KZ-Häftlinge unterirdisch Hitlers vermeintlichen Game-Changer bauten, die V2-Waffe.

Immer wieder taucht auch ein Mädchen mit blonden Haaren auf. Sie trägt oft Rot und erinnert an die Serie The Handmaid‘s Tale, verweist aber auch auf das ertrunkene Kind in Wenn die Gondeln Trauer tragen und an das „Mädchen im roten Mantel“ in Schindlers Liste. Der Film Zone ist von derlei Referenzen durchzogen, ebenso vom stummen Leiden der Rebellin an den wechselnden Zeiten, in denen Ausbrüche von Lebenslust durch eiskalte Männer in Anzügen unterdrückt werden. Dabei entstehen große Bilder, auch vom Südharz und berückend ins Licht gesetzten Menschenkörpern. Bedeutsam ist auch die Musik (viel Schostakowitsch, aber auch psychedelischer Rock) und ein immer wieder aus dem Off erklingender Kommentar in poetischer Sprache.

Nachinszenierung ikonografischer Momente

Einerseits macht Christina Friedrich es einem leicht, ihren Film, eine Adaption ihres 2021 erschienenen Romans Keller, als pathetischen Schmu abzutun. Ein wenig wie Virginia Woolfs Orlando bewegt sich die „Rebellin“ durch die Jahrzehnte, jedoch ohne sich sichtbar zu verwandeln. Vielmehr scheint sie sich mit einem empathischen Blick auf Menschen, die Fliesenböden schrubben, Sport machen oder Blutwurststullen essen müssen, energetisch vollzusaugen.

Wenn Halbwüchsige in engen Trainingsanzügen untersichtig inszeniert werden, sieht das aus, als hätte Leni Riefenstahl sich an einem Imagefilm für die Bundesjugendspiele versucht. Es wirkt, als würde die „Rebellin“ Geschichte als Projektionsfläche für ein eigenes Leiden am Sportunterricht ausbeuten, während Regisseurin Friedrich ikonografische Momente aus Film- und Fotogeschichte nachinszeniert. Letzteres Ausstellen kultureller Bildung wirkt irgendwann nur noch eitel und abgeschmackt – vor allem, wenn das blonde Mädchen rote Ostereier in einer Schutthalde versteckt (kann das schon eine Anspielung auf Zone of Interest sein, zwinker, zwinker?), um gleich darauf von einem herannahenden Tiefflieger in die Flucht geschlagen zu werden (wie in Hitchcocks Der unsichtbare Dritte.)

Andererseits könnte man den eigenen Dünkel mal beiseite lassen. Man kann auch das ausgestellte, irgendwann zunehmend katholische Pathos einfach mal annehmen, das sich schon auf der Website von Friedrichs Produktionsfirma Madonnenwerk (!) findet („Unser Auftrag ist Berührung“). Wer Zone als poetischen Bewältigungsversuch von Geschichte gelten lässt, könnte durchaus, irgendwo zwischen Wes Andersons visueller Fabulierlust und der essayistischen Strenge der Filmemacherin Juliane Henrich (Aus westlichen Richtungen; Vor Zeit) Spuren von Antworten finden – zum Beispiel auf die Frage, warum man in Thüringen derzeit historische politische Irrwege lieber reinszeniert, anstatt Friedrichs propagiertem Weg zu folgen, Richtung, nun ja, einer Rebellion der Liebe.

Zone Christina Friedrich Deutschland 2024, 132 Minuten