Film „Thelma“: 94-jährige Actionheldin fährt Elektroroller

June Squibb gibt in „Thelma“ mit 94 Jahren ihr Debüt als Actionheldin – in einem Film, der ihr dazu genügend Zeit lässt


Thelma (June Squibb) sinnt auf Rache

Foto: Universal


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Alte Menschen gibt es im Kino meist nur als Klischee. Nur selten stehen sie im Zentrum, und selbst wenn, erscheinen ihre Persönlichkeiten reduziert. Da sind die tüdeligen Großmamas und Großpapas, die nicht mehr ganz mitkommen oder, schlimmer noch, den gelegentlichen „weisen Satz“ äußern, gern auch aus einer bereits konstatierten Demenz heraus. Als Menschen, die ihre eigenen Probleme lösen und noch über andere Eigenschaften als „stur“ oder „liebevoll“ verfügen, sieht man sie so gut wie nie.

Thelma ist da anders. June Squibb spielt hier mit bald 95 Jahren die erste Kinohauptrolle ihrer Karriere, nachdem sie vor zehn Jahren ihre erste Oscar-Nominierung als beste Nebendarstellerin im Vater-Sohn-Drama Nebraska einheimsen konnte; an sich schon ein Rekord im Feld der Spätzünder. Für Thelma wäre glatt eine Nominierung in der Hauptkategorie drin, gibt der Film seiner Titelheldin doch das, was sonst so fehlt: Raum für Persönlichkeit und die Probleme, die sich speziell für diese Frau in dieser Lebensphase stellen.

Die Handlung ist ein wenig hanebüchen, aber nicht so abgehoben, dass man die Realität nicht in manchmal schockierender Präzision erkennt. Es beginnt mit dem üblichen Schmus: Die 94-jährige Großmutter Thelma sitzt zusammen mit ihrem 24-jährigen Enkel Daniel (Fred Hechinger) vor dem Computer. Die alte Frau ist desorientiert und unsicher, der junge Mann verhält sich rührend geduldig und liebevoll. „Was ist eine Inbox?“, fragt sie, er versucht es zu erklären. „Was ist ein Computer?“, fragt sie als Nächstes und lacht dann über den aufgeschmissenen Gesichtsausdruck des Enkels. Die Frage war ein Scherz, mit dem sie sich über die Situation lustig machen wollte. Denn das ist die Krux mit der Geduld, die man den alten Leuten zeigt: Man läuft schnell Gefahr, sie für begriffsstutziger zu halten, als sie sind.

Man spürt von Anfang an, dass dieser Film von jemand gemacht wurde, der die Situation kennt. Tatsächlich fügt Regisseur und Autor Josh Margolin am Ende – es ist sein Spielfilmdebüt – als Widmung eine kurze Aufnahme der echten Thelma an, seiner eigenen Großmutter. Als Beweis der Stimmigkeit hätte man das nicht gebraucht, aber es berührt dann trotzdem.

Gedemütigt vom „Enkel-Trick“

Thelmas ausgeprägtes Verständnis für die eigene Lage macht auch die Demütigung so schlimm, die sie erleidet, als sie auf einen „Enkel-Trick“ hereinfällt. Ein Anruf mit der Stimme von Daniel suggeriert ihr, er stecke in Schwierigkeiten und könne nur durch Überweisung von 10.000 Dollar aus dem Schlamassel befreit werden. Thelma überweist, wie könnte sie auch nicht?

Tochter Gail (Parker Posey) sitzt später mit Mann Alan (Clark Gregg) im Wohnzimmer. Dank Hörgerät kann Thelma im Schlafzimmer Sätze wie „Ich weiß nicht, wie lange das noch gut geht“ und „Sie ist nicht mehr so selbstständig wie früher“ heraushören. Gekränkt nimmt sie die Geräte aus den Ohren – und beschließt, sich ihr Geld zurückzuholen.

„Weißhaarig, wacklig auf den Beinen, aber sehr entschlossen“, so beschreibt sie Enkel Daniel später auf der Suche nach ihr. Tatsächlich bringt diese Entschlossenheit die alte Frau näher an ihr Ziel als alle, wir Zuschauer eingeschlossen, es ihr je zugetraut hätten. Das Kunststück des Films besteht darin, Thelmas „Actionheldinnen“-haftes Vorgehen so plausibel zu schildern, dass man froh ist, dass sich der Film dafür auch angemessen Zeit lässt.

Das Drehbuch steckt voller schöner Ideen: Wie Thelma einen Elektroroller von ihrem alten Bekannten Ben (Shaft-Darsteller Richard Roundtree, der drei Monate vor der Premiere des Films im Januar mit 81 starb) leiht und wie die beiden dann zusammen den Betrügern auf die Fersen rücken, ist großes Kino. Nicht weil die Action so rasant wäre, sondern weil ihre Lösungen für die schwierigen Situationen, in die sie sich bringen, immer wieder originell und eigen sind. Und nebenbei diskutieren sie noch über die Vor- und Nachteile des Altersheims, wo Ben untergekommen ist, und des Selbstständig-Wohnens, das Thelma nicht aufgeben möchte – mit seltener Empathie für beide Haltungen.

Etwas Ähnliches gilt auch für den Einsatz der digitalen Technik – vom Notrufarmband bis hin zu Handys und deren Eignung als Hörhilfe –, die hier mal nicht nur Mittel der Bösewichte ist, sondern mit all ihren Tücken eben auch Thelma zugutekommt.

Thelma Josh Margolin USA 2024, 99 Minuten