Film „Mit einem Tiger schlafen“: Maria Lassnig, die Gangstamalerbitch
„Karrierebitch mit 90. Sie malt nur sich, jeder Pinselstrich – überlebt dich inhaltlich“, rappte das feministische Wiener Duo Klitclique über die „Gangstamalerbitch“ Maria Lassnig. G-udit und $chwanger haben an der Wiener Akademie der bildenden Künste studiert, die Regisseurin ihres Videoclips, Anna Spanlang, ebenfalls, Maria Lassnig erhielt dort ab 1940 ihre Ausbildung. Doch auch weit über feministisch geprägte Wiener Zirkel hinaus hat die eigenwillige, vor allem am Ende ihres 94-jährigen Lebens international erfolgreiche Malerin längst Ikonenstatus als Ausnahmekünstlerin, denn das malende Genie wird bekanntlich bis heute fast ausschließlich männlich imaginiert.
Die Biografie Lassnigs liest sich zudem wie ein Fairytale, das im elitären Kunstfeld eigentlich nicht wahr werden durfte: 1919 als uneheliche Tochter im ländlichen, zutiefst katholischen Kärnten geboren und die ersten sechs Jahre in ärmlichen Umständen bei der Großmutter aufgewachsen, erhielt sie nach der Heirat der Mutter schon früh Malunterricht. Nach einer Ausbildung als Volksschullehrerin soll sie 1940 mit dem Rad von Kärnten nach Wien gefahren und dort mit ihrer Mappe an der Akademie der bildenden Künste vorstellig geworden sein, wo sie ohne Aufnahmeprüfung aufgenommen wurde. Es folgten eine Beziehung mit dem zehn Jahre jüngeren, damals erst 18-jährigen Arnulf Rainer, karge Jahre in Paris und New York und ab 1980 eine Professur an der Universität für angewandte Kunst in Wien – und im neuen Millennium der Status als teuerstverkaufte zeitgenössische Künstlerin Österreichs.
Dass darin der Stoff für einen spannenden Film liegt, ist eindeutig. Doch der Legendenstatus dieser für Generationen feministischer Künstlerinnen prägenden Figur ist bereits umfangreich erzählt, durch Dokus, Interviews und nicht zuletzt auch ihre eigenen gewitzten (Trick-)Filme. Lassnig erscheint dort als so (selbst)ironische wie eigensinnige Einzelgängerin, die bis zu ihrem Lebensende „versessen“ nur für die Malerei lebt.
Die österreichische Regisseurin Anja Salomonowitz entscheidet sich nun wohl auch deswegen für einen anderen Weg als den des klassischen Künstler-Biopics, das Lebenswege zu einer dramaturgisch nachvollzieh- und konsumierbaren Heldenreise komprimiert. Mit einer Konzentration auf die künstlerischen Prozesse Lassnigs, surrealen Elementen, nicht chronologischen Zeitsprüngen und dokumentarischen Einsprengseln bricht Mit einem Tiger schlafen (benannt nach Lassnigs Bild von 1975) mit konventionellen Formaten. Wir sehen die Künstlerin in Unterwäsche auf dem Boden ihrer Ateliers kauern, für ihre „Körperbewusstsein“-Bilder unbequeme Verrenkungen einnehmen, mit Ausstellungsmachern über indiskutable Hängungen schimpfen, neben einem von Ameisen getragenen Gemälde hergehen. Farbe kommt, wie im Werk Lassnigs, eine zentrale Rolle zu, ob in den Outfits der Malerin oder wenn sie in poetischen Traumbildern in einem See von Rosa versinkt.
Der Film ist jedoch fast so sehr wie eine Hommage an Lassnig auch eine an seine Hauptdarstellerin Birgit Minichmayr. Allein durch Körperhaltung, Gestik und Mimik stellt sie Lassnig in fast allen Lebensphasen dar, als Kind auf dem Schoß ihrer Mutter, als junge Frau an der Akademie, die später wegen ihres Mitläufertums die Farbe Braun nicht mehr mag, oder kurz vor dem Tod im Rollstuhl, als sie den Pinsel nicht mehr bewegen kann. Minichmayr konzentriert sich auf die eigenbrötlerischen Züge, mit schleppendem Kärntner Akzent, der in jeder Lebensepoche nach Alter klingt, unkonventionellem Verhalten, das andere immer wieder vor den Kopf stößt, und zunehmenden Ängsten, beraubt oder nicht angemessen bezahlt zu werden. Sie verdichtet dabei einzelne Aspekte von Lassnigs Persona so stark, dass diese mitunter fast karikatural wirken. Gerne hätte man noch mehr von ihren Pariser Jahren erfahren, als sie mit Arnulf Rainer Paul Celan und André Breton traf, oder auch von ihrem Entrée in die frühe und zweifellos aufregende Zeit der New Yorker Feminismusszene, in der sie 1974 mit Carolee Schneemann den Zusammenschluss Women/Artist/Filmmakers ins Leben rief.
Stattdessen sehen wir Lassnig meist allein mit ihrer Kunst – oder auch der Kunstwelt – ringen. In New York wird sie von einem Galeristen abgewiesen und schlurft enttäuscht von dannen: wie eine Baglady, mit ihren eigenen Werken unter dem Arm, die unter den strengen Augen der Empfangsdame zu Boden fallen, während diese von ihr wissen will, ob sie ihr nicht einen Kontakt zu Arnulf Rainer herstellen könne. Es ist faszinierend, zuzusehen, wie Minichmayr in dieser Verkörperung in gewisser Weise auch sich selbst als Ausnahme-Schauspielerin performt. Über die reale Lassnig, ihre Lebensumstände, ihre Zeit und ihre Interaktion sagt uns das wenig. Lieber möchte der Film eine poetische Interpretation über subjektiv evozierte Bilder schaffen, um so eine Analogie zum künstlerischen Wirken Lassnigs herzustellen. Vielleicht ist das auch der einzig gangbare Weg, der dem Wesen der Malerin am ehesten nahekommt – galt sie doch als emotional so verschlossen, dass ihre ehemaligen Boyfriends wie Arnulf Rainer oder Oswald Wiener nachhaltig verstört wirkten ob der Tatsache, dass sie auch Jahrzehnte später partout nicht sagen konnten, was in der Beziehung zu ihr eigentlich los war. Die Malerei war Maria Lassnig wohl einfach wichtiger.
Mit einem Tiger schlafen Anja Salomonowitz Österreich 2024, 107 Minuten