Film „Joker: Folie à Deux“ von Todd Phillips: Das Ende einer Revolte

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Faszinierend ist dieser Joker in seiner Versehrung. Schon der erste Teil von Todd Phillips’ Comic-Adaption aus dem Jahr 2019 glich eher einer Dekonstruktion denn einer Wiederbelebung alter Charakteristika. Von dem Meistergauner aus den Batman-Comics oder dem gewieften, anarchistischen Terrorclown, wie ihn Christopher Nolan in The Dark Knight zeichnete, blieb in Joker wenig übrig. Die Titelfigur war ein geknickter, psychisch kranker Ausgebeuteter in einer empathielosen, auf Ökonomie getrimmten Welt. Die ebenfalls unzurechnungsfähige Mutter redet ihm Märchen vom reichen Vater ein, der eines Tages zur Rettung eilen soll. In Wirklichkeit folgt ein Tiefschlag nach dem anderen und die Gewalttaten, in denen dies gipfelt, versammeln auch die anderen Abgehängten von Gotham City zur Revolte.

Ein groteskes Bild also: der ikonische, bunt geschminkte Bösewicht einerseits, die niedergeschlagene Mitleidsgestalt andererseits. Einer von vielen, die leiden ohne Perspektive. Ein Gangsterkönig, der in der Hierarchie ganz unten steht. Hauptdarsteller Joaquin Phoenix, oscargekrönt für sein Schauspiel, hat dafür sichtlich und fragwürdig gelitten. Sein ausgemergelter Körper ist die verstörende, zweischneidige Sensation, die der erste Teil als Schauwert ausschlachtete und die auch die Fortsetzung konfrontativ in Szene setzt.

Gleich zu Beginn stapft der Joker mit erschreckend dürrem Oberkörper aus seiner Zelle. Arthur Fleck, so sein eigentlicher Name, ist in der Psychiatrie, dem Arkham Asylum, gelandet, wo er sich mit anderen Insassen die schummrigen Gänge entlangschleppt. Arthur droht nach seinem Rachefeldzug vor laufenden TV-Kameras die Todesstrafe. Sein Prozess wird letzte Anklänge der Selbstgewissheit zerlegen.

Erstaunlich ist an Joker: Folie à Deux seine radikale Kehrtwende. Nicht etwa eine naheliegende Ausbruchsgeschichte, den erneuten Aufstieg des Clowns oder ein Revolutionsstück hat Todd Phillips inszeniert. Stattdessen entpuppt sich Teil 2 weitgehend als trockenes Gerichtsdrama, das viel Zeit, leider zu viel Zeit, nutzt, altbekannte Ereignisse noch einmal in anderem Licht darzustellen. Ist Arthur Fleck wirklich der Joker? Kann man ihn für seine Taten verantwortlich machen, oder sitzt dort vielmehr eine verfolgte Seele auf der Anklagebank, die mit ihrer gespaltenen Identität hadert?

Eine Watsche für die Fans

Zwischen der öffentlichen Persona und dem vermeintlich authentischen Ich, was immer das sein soll, diskutiert der Film die letzten Mysterien seines Protagonisten in Grund und Boden. Dabei ist ein Kniff durchaus geschickt gewählt, um die Frage der Selbstinszenierung und Projektion im Kopf zu verhandeln. Todd Phillips nutzt nämlich die betonte Künstlichkeit des Musical-Kinos und so lässt er seine Figuren immer wieder zu rauen, ungeschliffenen Tanznummern und Liedvorträgen ansetzen. Gecovert werden unter anderem Songs von den Bee Gees oder auch den Carpenters, und Joaquin Phoenix bekommt dabei stimmkräftige Unterstützung von Lady Gaga, die die zweite Hauptrolle im Film verkörpert. Lee, so heißt sie in Anlehnung an Harley Quinn, sitzt ebenfalls im Arkham Asylum. Sie lernt Arthur in einer Musiktherapie kennen und verfällt dem Charisma des Bösen. Das Folie à Deux im Titel, also das Überspringen und Teilen von Wahnsymptomen, steht hier auch für das Formieren einer Bewegung, der Verbreitung einer Ideologie und Fantasie einer Revolte. Menschen wie Lee ersehnen den Joker als Führergestalt und Hoffnungsträger an deren Spitze. Schon Teil 1 hatte dieses Thema angeschnitten und ein Augenzwinkern, eine Offenheit dahintergesetzt, die mittels unzuverlässigen Erzählens am Wahrheitsgehalt der Bilder zweifeln ließ. In Teil 2 bleibt von solchen Offenheiten nichts mehr übrig. Folie à Deux ist die gnadenlose Verkehrung einer Geschichte, die im Joker den (Anti-)Helden einer gesellschaftlichen Bewegung sehen wollte und dessen Verführungskraft verfallen sein soll.

Die Watsche gilt auch all jenen Fans des Vorgängerfilms, die den Joker als eine Art rebellischen Rockstar feierten. Als einzelner Film taugt das zur Abrechnung mit populistischen Strömungen und heilsversprechenden, überschätzten Messiasgestalten. Folie à Deux ist eine berechtigte, zeitgemäße Warnung und nimmt dafür in Kauf, es sich mit allen zu verscherzen, bereits durch seine schleppende, widerspenstige Form und später durch seinen kompromisslosen, brutalen erzählerischen Kahlschlag. Als Fortsetzung, die der Film nun einmal ebenso ist, bleibt jedoch nichts als Selbstverachtung übrig, die vor den Sittenwächtern einknickt, welche im ersten Teil lediglich einen gefährlichen Gewaltaufruf witterten. Provokant war dieses Werk! Man kann dem Publikum jedoch zutrauen, jene Gewalt und ihre ausgestellten faschistoiden Tendenzen nicht als probates Mittel zur Lösung für die gezeigten Probleme zu sehen. Es ist auch keineswegs so, als hätte Teil 1 mit seiner Diagnose und Kritik an einer Klassengesellschaft, die das Faschistoide aus ihren eigenen Missständen heraus gebiert, gänzlich danebengelegen.

Joker war ebenso ein Versuch, mit seiner sorgfältig stilisierten Ästhetik und seinen Martin-Scorsese-Anleihen Motive und Mittel eines früheren Hollywoods jenseits der Superhelden-Kultur der Gegenwart zu reanimieren. Vieles davon hätte man weiterspinnen und weiterdenken können, doch wenig davon geschieht. Ein überraschendes Formexperiment ist das gewiss und ein Gegenentwurf obendrein, aber eher einer zu den vorher etablierten, eigentlich sehr stringent dargebotenen Gedanken. Folie à Deux hält sich ewig an der nebensächlichen Frage nach dem Wahn seines Protagonisten auf, pathologisiert und vereinzelt diesen damit vollends und erstickt alle kritischen Töne im Keim. Davon abgesehen, dass die Joker-Gestalt in ihrer Degradierung irgendwann kaum noch als sinniges Anschauungsbeispiel erscheint, um tatsächlich etwas über die Methoden und Gefahren von Populismus und Führerkult zu erzählen. Teil 2 fürchtet sich, missverstanden zu werden. Er fürchtet die potenziellen Gelüste des Publikums, die er selbst beschworen hat, und strickt daraus zähes Selbstbespiegelungs- und Diskurskino, das sich in seinem verzweifelten Versuch der Desillusionierung mehr für die Rezeption als das Potenzial der eigenen Kunst interessiert. Und er geht dabei so rigoros vor, dass er alles an einen diskursiven Endpunkt treibt, an dem allen, inklusive dem Clown, das Grinsen vergehen soll.

Joker: Folie à Deux Todd Phillips USA 2024; 138 Minuten