Film „Déserts“ von Faouzi Bensaïdi: Zwei Geldeintreiber gen Odyssee
Eine Fahrt in die Nacht wird zur Fahrt in einen anderen Film: Nach einer reichlichen Stunde in Déserts – Für eine Handvoll Dirham versinkt die Sonne hinter den Hügeln. Von den Gesichtern der Figuren im Auto bleiben nur schemenhafte Züge. Ein leuchtender Punkt bewegt sich durch finstere Ödnis. Mit Sonnenaufgang wird sich der Film verwandelt haben und seine erzählerischen Mittel neu befragen. Dem marokkanischen Regisseur Faouzi Bensaïdi (Tausend Monate), in der Vergangenheit mehrfach preisgekrönt und auf den großen Filmfestivals der Welt zu Gast, gelingt mit diesem Werk etwas wunderbar Eigenwilliges und Unberechenbares, das seine Spannungen und Leerstellen auskostet, anstatt sie aufzulösen. Komisches lässt er gleichwertig neben Tragischem stehen und nutzt dafür die Form eines Roadmovies als Gerüst.
Mehdi und Hamid, die beiden Protagonisten, ziehen durch die südmarokkanische Einöde, um Geld für ein Unternehmen einzutreiben, das Kredite an die verarmte Bevölkerung verteilt. Sind die Klienten zahlungsunfähig – und das sind die meisten –, rücken sie dem letzten Besitz der Schuldner zu Leibe. Hamid und Mehdi sind, das wird schnell deutlich, zwei unbeholfene, verlorene Gestalten im Anzug, die gerade so gelernt haben, ihre Rollen zu spielen und Menschen zu knechten, die noch ärmer dran sind als sie selbst.
Sie stehen selbst vor den Scherben ihrer Existenz – beruflich und privat. Einen Abstecher in das Kreditinstitut inszeniert Bensaïdi als groteske Gruppenchoreografie. Mehdi und Hamid entsprechen den Anforderungen der Firma nicht, bringen weniger Geld ein als ihre Kollegen. Die Aussichtslosigkeit der auferlegten Mission, die mittellose Bevölkerung noch weiter auszupressen, wird nicht eingestanden. Sollen sich die Angestellten doch mehr Mühe geben! Wer Widerworte wagt, wird entlassen. Es gleicht einem Schauprozess.
Dass Regisseur Bensaïdi ursprünglich vom Theater kommt, merkt man dem Film in vielen Momenten an. Er verwandelt Räume des Alltäglichen in herausgehobene Bühnen und lässt Akteure und Zuschauer in vielschichtigen Tableaux Vivants aufeinandertreffen. Die Ladefläche eines Transporters taugt ihm ebenso zur Bühne wie alte Häuser auf Felsgestein, die zum Schauplatz irrwitziger Auseinandersetzungen werden. Was die Figuren dort aufführen, entlarvt eine Welt, deren zwischenmenschliches Handeln von finanzieller und sozialer Verschuldung in diversen Formen geprägt ist. Abhängigkeiten werden von oben nach unten geschaffen. Eine Ordnung, gestützt von Mittäterschaft und Unfreiheit, von Mangelerfahrung und Verknappung. Das Privatleben bleibt davon nicht unberührt. Déserts verschränkt gewitzt ökonomische Gegebenheiten und Hierarchien mit den Lasten und Schuldgefühlen, die sich in den Familien und Freundschaften breitmachen.
Die absurde Komik von Bensaïdis Film resultiert dabei nicht nur aus der verbalen Schlagfertigkeit und den ausgebufften Gaunereien seiner Figuren, sondern der medialen Rahmung an sich. Déserts lebt von meist statischen Totalen. Figuren erscheinen winzig klein inmitten der imposanten, kargen Landschaften. Die Distanz lässt das Risiko des Kontrollverlusts und die Unmöglichkeit des Entkommens jederzeit manifest werden.
Wüste als Metapher
Es gibt so viel in den Bildern zu entdecken, dass ein einmaliges Sehen kaum ausreicht. Bensaïdi hat gemeinsam mit Kameramann Florian Berutti einen betörend schönen Film geschaffen, der seine bittere Gesellschaftsstudie schleichend ins Surreale gleiten lässt. Als Mehdi und Hamid einen Kriminellen ins Gefängnis fahren sollen, fransen die bis dahin ausgelegten Erzählfäden lustvoll aus. Die verstummten Charaktere durchstreifen immer weitere Wüstenlandschaften und grübeln über ihre inneren Dämonen, während eine neue Hauptfigur ins Zentrum drängt.
Déserts arbeitet auf einmal mit Western-Motiven. Weiter geht es um Schulden, die beglichen werden sollen. Die Handlung faltet sich einmal in sich selbst zusammen. Und vielleicht ist das der Clou dieser rätselhaft verträumten, nicht weniger anregenden zweiten Hälfte: Sie stellt dem ersten Akt eine vielseitig bespielbare Projektionsfläche entgegen. Das narrative Kino im herkömmlichen Sinne versagt mit den Geschichten, die es zuvor zu stricken versuchte, ob der zerrütteten Welt, von der sie handeln und in der sie entstehen. Also gilt es, den Blick neu über Eindrücke schweifen zu lassen, sich dieser puren Cinephilie hinzugeben und die Konzentration von den Dialogen abzulenken, um eigene Assoziationen, Erfahrungen, Erinnerungen mit den Seelenlandschaften kollidieren zu lassen.
Es gilt, sie in der zeitlosen, zwischenweltlichen Wüste zurückzulassen, um Neues zu beschwören. Das filmische Wandeln im Übergang, das Déserts – Für eine Handvoll Dirham vollzieht, wird fast zu so etwas wie einer hypnotisch-mystischen Erfahrung. Wiederholt tun sich in den Bildern Korridore und Portale zwischen Gesteinsformationen auf, kurze Fluchtpunkte und Bruchzonen im Kosmos, die mal ins Dunkle, Geheimnisvolle, mal ins Offene führen. Vielleicht muss tatsächlich erst jedes Narrativ, jede konventionelle Erzählform und Vorstellung von Weltflucht derart zerfließen und vergehen, um sie als künstlerischen Ausweg erkennbar zu machen.
Déserts – Für eine Handvoll Dirham Faouzi Bensaïdi Deutschland, Marokko 2024, 125 Min.