Fachkräftemangel: Die duale Ausbildung verliert an Boden

Es wirkt paradox: Trotz Fachkräftemangels verliert die duale Ausbildung an Attraktivität. Nach einer neuen, noch unveröffentlichten Analyse von KfW Research befanden sich 2024 rund 1,2 Millionen Menschen in einer dualen Ausbildung. Das waren 19 Prozent weniger als noch 2010. Als Hauptgründe nennen die Autoren des Berichts „Duale Berufsausbildung in Deutschland“ den demographischen Wandel mit sinkenden Schülerzahlen sowie die wachsende Neigung vieler junger Menschen, ein Studium statt eine Ausbildung zu beginnen. Trotz vieler Kampagnen habe sich das Interesse kaum erholt, heißt es.

Das Rückgrat der Ausbildung bleibt dabei der Mittelstand. Mehr als 90 Prozent der Azubis lernen in kleinen und mittleren Betrieben. Doch dort sinkt die Ausbildungsbereitschaft. Beschäftigten im Jahr 2010 noch zwölf Prozent der Mittelständler mindestens einen Lehrling, waren es 2024 nur noch 9,1 Prozent. Viele Betriebe hätten steigende Energiepreise, Inflation und Unsicherheiten nach der Pandemie von neuen Verträgen abgehalten.

Während die Zahl offener Lehrstellen seit den frühen Nullerjahren von 422.000 auf 477.000 stieg, sank die Zahl der Bewerber auf 444.000. In diesem Jahr wurden laut Bundesinstitut für Berufsbildung rund 476.000 neue Verträge abgeschlossen, zwei Prozent weniger als zuvor. Gleichzeitig ist von einer Diskrepanz am Ausbildungsmarkt die Rede, weil immer mehr Bewerber keinen Platz finden. Auch ungleiche regionale Verteilungen verschärfen das Problem.

Es gilt, früh Perspektiven zu eröffnen

Rund 19 Prozent der 20‑ bis 34-Jährigen in Deutschland besitzen derzeit keinen Berufsabschluss. Ursachen sind Zuwanderung und mehr Ausbildungsabbrüche. Die KfW empfiehlt daher gezielte Informations‑ und Unterstützungsangebote, etwa schulische und außerschulische Berufsorientierung, die Jugendlichen früh Perspektiven eröffnen. Auf der anderen Seite sind einfache Helferjobs durch höhere Mindestlöhne kurzfristig attraktiver geworden, obwohl die Perspektiven ohne Abschluss begrenzt sind.

Viele Betriebe klagen zudem über eine mangelnde Eignung der Bewerber. Laut KfW unterschreiten derzeit rund 34 Prozent der Neuntklässler die Mindeststandards im Fach Mathematik, was die Voraussetzungen für viele Berufe verschlechtert. Nach Angaben der Deutschen Indus­trie‑ und Handelskammer beklagt fast jeder zweite Betrieb Defizite bei Ausdruck, Rechnen, Zuverlässigkeit und Lernbereitschaft. „Fehlen die schulischen Grundlagen, kann das Ausbildungssystem seine Stärke nicht entfalten“, warnt KfW-Studienautorin Kathrin Schmidt.

Um diese Defizite auszugleichen, ist nach Einschätzung der KfW eine Reform des Bildungssystems nötig. Vorgesehen sind Maßnahmen, die die Basiskompetenzen stärken, Bildungsqualität sichern und Bürokratie abbauen. Auch die Integration ausländischer Jugendlicher in den Ausbildungsmarkt ist demnach zentral. Ihre Zahl hat sich seit 2010 mehr als verdoppelt, während die der deutschen Lehrlinge von 1,4 Millionen auf 1,1 Millionen sank.

Darüber hinaus sehen die Autoren in der Durchlässigkeit zwischen Studium und Lehre ungenutzte Chancen. Etwa 28 Prozent der Studenten brechen ihr Bachelorstudium ab, oft aus mangelnder Übereinstimmung zwischen den hohen Erwartungen und der Realität. Gezielte Informations‑ und Beratungsangebote könnten demnach helfen, jungen Menschen früh eine fundierte Bildungsentscheidung zu ermöglichen. Zum vollständigen Bild gehört auch, dass die Ausbildung noch immer unter einem Imageproblem leidet. Darauf verweist Barbara Kreis‑Engelhardt vom Bundesverband Deutscher Berufsausbilder. In sozialen Medien gelte der Erfolg im Influencer‑ oder Büroleben als Ideal. Akademische Wege erscheinen vielen komfortabler und besser mit Work‑Life‑Balance vereinbar als Schichtdienste im Handwerk. Doch dieses Bild beginnt sich zu wandeln, auch mit Blick auf den Einsatz Künstlicher Intelligenz.

Eine Umfrage der Plattform Linkedin unter Achtzehn‑ bis Achtundzwanzigjährigen ergab, dass fast die Hälfte praktische Berufe Büroarbeit vorziehen würde. Handwerk, Technik und Pflege gelten als „sinnstiftend und KI‑sicher“. Zugleich sagen 40 Prozent der Befragten, sie fühlten sich von ihrem Umfeld unter Druck gesetzt, einen Bürojob zu wählen aus Sorge, ein gewerblich-technischer Beruf werde weniger wertgeschätzt. Die KfW betont, dass die duale Ausbildung ein Schlüssel für Fachkräftesicherung und Wettbewerbsfähigkeit bleibt, vorausgesetzt, Betriebe und Jugendliche werden gleichermaßen aktiviert.