F.A.Z.-Konjunkturbericht: Die Besonderheit jener Scholz-Jahre
Falls Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bis zum Termin der Bundestagswahl im Februar auf eine auch nur leichte wirtschaftliche Erholung hofft, dann wäre das eine sehr vage Hoffnung. Die Erwartungen für das Winterhalbjahr sind trübe, nachdem die Unternehmensumfragen seit dem Frühjahr im Trend nach unten weisen. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt werde im Winterhalbjahr bestenfalls stagnieren, meint Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank.
Je nach Standpunkt passend oder unpassend zur Wahl dürften sich auch die Bremsspuren am Arbeitsmarkt vertiefen, die in den vergangenen Monaten sichtbar wurden. Die Arbeitslosenquote hat sich um 6 Prozent festgesetzt. Die Zahl der Arbeitslosen steigt. Die Zahl der offenen Stellen geht zurück. Nun zeigen sich auch noch Risse im Beschäftigungswunder, das seit der Pandemie mit viel Erstaunen beobachtet wurde.
Erstmals seit Jahresbeginn 2021 ist die Zahl der Erwerbstätigen im dritten Quartal um 45.000 Personen oder um 0,1 Prozent im Vergleich zum Vorquartal gesunken. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung erwartet für das kommende Jahr nur noch eine Stagnation der Erwerbstätigkeit, bei einem mageren Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,4 Prozent.
Mehr Erwerbstätige? Gibt es hauptsächlich für den Staat
Die Zahl 0,4 Prozent schönt die tatsächliche Prognose, weil sich dahinter auch – rechnerisch bedingt – ein statistischer Überhang verbirgt. Das heißt: Selbst wenn die Wirtschaft im kommenden Jahr stagnierte, würden die Statistiker am Ende ein leicht positives Wachstum ausweisen. Der Grund ist, dass die wirtschaftliche Lage in der zweiten Hälfte dieses Jahres etwas besser ist als im Jahresdurchschnitt 2024.
So beginnt die deutsche Wirtschaft das kommende Jahr auf einem höheren BIP-Sockel, als es im jahresdurchschnittlichen Wachstumsvergleich angelegt ist. Nimmt man diesen statistischen Überhang aus der Wachstumsprognose heraus, rechnen die Sachverständigen für 2025 mit einem Wachstum im Jahresverlauf von nur 0,2 Prozent. Das unterstreicht, wie wackelig und schwach die erwartete Erholung nach der Schrumpfung in diesem Jahr sein wird.
Die Bereiche, in denen zuletzt noch Beschäftigung entstand, sind staatlich dominiert. Im dritten Quartal gab es 202.000 mehr Erwerbstätige in der Kategorie öffentliche Dienstleister, Erziehung und Gesundheit als vor einem Jahr. Im Saldo aller anderen Wirtschaftsbereiche aber sank die Erwerbstätigenzahl. Damit bestätigt sich eine Entwicklung, die die Kanzler-Scholz-Jahre prägte. Etwa die Hälfte der neu entstandenen Stellen entstanden seit Jahresende 2021, dem Beginn der rot-grün-gelben Koalition, in der Kategorie Öffentlicher Dienst, Erziehung und Gesundheit. Im verarbeitenden Gewerbe, im Baugewerbe und im Handel liegt die Zahl der Beschäftigten seit einigen Monaten schon niedriger als zu Beginn der Scholz-Jahre.
Es deutet sich keine Erholung an
Die Entwicklung am Arbeitsmarkt läuft der konjunkturellen Bewegung als Spätindikator hinterher. Auch auf der Seite der Frühindikatoren aber deutet sich derzeit keine Erholung an. Das Münchener Ifo-Institut meldet, dass im Oktober 41,5 Prozent der befragten Unternehmen über Auftragsmangel klagten. Kaum eine Branche bliebe verschont, heißt es. Im verarbeitenden Gewerbe berichtete fast jedes zweite Unternehmen über zu wenig Aufträge, vor allem in den Kernbranchen wie dem Maschinenbau, der Metall- und der Elektroindustrie. Dass der Auftragseingang im September anzog, werten Volkswirte möglicherweise als Indiz für eine Bodenbildung im Abwärtstrend, nicht aber als Beginn einer Wende zum Besseren.
Die schlechte Auftragslage und die geringe Kapazitätsauslastung deutet darauf hin, dass auch im kommenden Jahr von den Investitionen keine Wachstumsimpulse zu erwarten sind. Seit 2022 sinken die Ausrüstungsinvestitionen im Trend, was den Kern der hiesigen Wachstumsschwäche ausmacht. Für dieses Jahr erwartet der Sachverständigenrat ein weiteres Minus der Ausrüstungsinvestitionen um 5,6 Prozent und für das kommende Jahr ein kleines Plus um 0,7 Prozent.
Schwindende Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie
Das überzeichnet die Lage der privatwirtschaftlichen Unternehmen noch, weil sich in der Zahl auch die größeren öffentlichen Investitionen in Waffensysteme niederschlagen. Im Baugewerbe rechnen die Ökonomen für das kommende Jahr mit einem abermaligen, aber nur noch minimalen Minus der Investitionen. Von der zweiten Jahreshälfte an dürften nach der Prognose auf die Bauaufträge die Zinssenkungen der europäischen Zentralbank vollends durchschlagen. Grund für die Investitionsschwäche ist nach Analyse des Sachverständigenrats die schwindende Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie, weil die Kosten für Energie und Arbeit hoch sind und die Produktivität gering.
Der einzige kleine Lichtblick in der deutschen Konjunktur ist derzeit, dass sich etwas im Einzelhandel tut. Dort deutet sich nach den für die Sommermonate verspätet vorgelegten Zahlen tatsächlich eine Wende zum Besseren an. Der Einzelhandel trägt in etwa ein Drittel zum gesamten privaten Konsum der Deutschen bei. Man muss deshalb vorsichtig sein, aus der Trendwende im Einzelhandel eine Trendwende auch des privaten Konsums abzuleiten. So stiegen die preisbereinigten Einzelhandelsumsätze nach Berechnungen des Sachverständigenrats im dritten Quartal um 1,3 Prozent im Vergleich zum Vorquartal. Dem wirkte aber weit kräftiger entgegen, dass die privaten Neuzulassungen an Kraftfahrzeugen um 12,6 Prozent einbrachen.
Gegen eine schnelle Erholung des privaten Konsums spricht, dass die Verbraucher in Umfragen immer noch eine hohe Sparneigung an den Tag legen. Zugleich dürften die Einkommenszuwächse sich im kommenden Jahr abschwächen. Wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage dürften die Tarifparteien sich auf tendenziell niedrigere Abschlüsse einigen.
Der Sachverständigenrat erwartet einen nominalen Lohnzuwachs von nur noch 2,5 Prozent, nach 5,5 Prozent in diesem Jahr. Mit einer erwarteten Inflationsrate von 2,1 Prozent bliebe da preisbereinigt nicht mehr viel mehr im Portemonnaie übrig.