F.A.Z.: Bayesian-Konstrukteur macht welcher Besatzung Vorwürfe
Herr Costantino, Sie sollen in einem Interview gesagt haben, dass ein Schiff wie die Bayesian im Grunde genommen unsinkbar sei. Stimmt das? Die Katastrophe in Porticello scheint das zu widerlegen.
Unsinkbar, wenn man durch gravierende Fehler nicht Wasser eintreten lässt oder etwa ein Leck auftritt. Solche großen Schiffe wie die Bayesian haben einen 50 Tonnen schweren Kiel und richten sich immer wieder auf. Beim Hurrikan Katrina im Jahr 2005 haben wir das mit einem unserer Schiffe auch gesehen, es ist nicht gesunken.
Nach allem, was wir wissen – ohne offizielle Informationen zu haben –, soll Wasser eingetreten sein, und das Schwert war nicht runtergelassen. Was ist der größere Fehler?
Der Wassereintritt ist die größere Gefahr. Ohne einen solchen Eintritt kehrt das Boot mit einem eingezogenen Kiel zu einer Neigung von 73 Prozent zurück, mit abgesenktem Kiel kehrt es zu einer Neigung von 87 Prozent zurück. Doch es wäre in diesem Fall sicher ratsam gewesen, den Kiel zu senken, sobald sich das Boot in tieferem Gewässer befand.
Woher haben Sie Ihre Informationen?
Wir haben erste Untersuchungen angestellt. Als Chef eines Unternehmens, das in seiner Geschichte 1300 Yachten gebaut hat, bezeichne ich mich als Fachmann. Ich bin auch Segelenthusiast und habe einen Segelschein.
Wie lief die Katastrophe nach Ihren Informationen ab?
Wir wissen, dass sich das Schiff um 3:50 Uhr in der Ankerposition befand, als der Wind auffrischte. Kurz danach kann man in den graphischen Karten und den Daten des Automatic Identification Systems (AIS) sehen, dass der Anker nicht mehr hielt und das Schiff sich auf einer Strecke von rund 360 Metern um sich selbst drehte und nach vier oder fünf Minuten zu der Position driftete, wo es später sank. Zuerst stand der Mast noch aufrecht. Dann erlöschten die Mastlichter, nur das Licht an der Spitze des Mastes blieb an, denn es wird von einer Batterie betrieben.
Was heißt das?
Das bedeutet wahrscheinlich, dass der Strom ausgefallen ist, weil die Generatoren und die Schalttafeln Wasser nahmen. Dabei stand das Boot im 90-Grad-Winkel zum Wind, was die schlechteste Position ist. Der Wind begann, auf den linken Bauch des Bootes zu drücken. Es neigte sich immer weiter zur Seite, je mehr Wasser hineinlief. Die Instabilität kam wahrscheinlich von dem Wasser, dass sich darin befand. Wäre das Boot trocken gewesen, wäre es rasch wieder ins Gleichgewicht zurückgekehrt. Nach meiner Schätzung dauerte der Tornado nur rund zwei Minuten. Der ganze Ablauf vom Abdriften bis zum Sinken dauerte wohl 16 Minuten. Nach meiner Analyse sank das Boot um 4:06 Uhr; zu diesem Zeitpunkt verlor es das batteriebetriebene AIS-Signal.
Wie konnte so viel Wasser eintreten?
Nach allem, was wir wissen, standen Türen offen. Die Besatzung war offensichtlich nicht auf den Sturm vorbereitet. Ich verstehe nicht, wie ein Kapitän, der – wie ich gelesen habe – erfahren ist, so überrascht werden konnte. Das Unwetter war in den Wetterinformationen vorhergesagt worden. Das nahe gelegene Schiff Sir Robert Baden Powell hat den Sturm ja auch bewältigt; es ist viel älter, kleiner und instabiler als die 700 Tonnen schwere Bayesian. Die Fischer waren erst gar nicht rausgefahren. Auf den Wetterkarten ist zu sehen, dass sich die atmosphärische Störung gegen Mitternacht vor Neapel befand und dann bis gegen drei Uhr Palermo erreichte. In unseren Werften und unseren Anlegestellen beobachten wir immer solche Wetterphänomene und sind wachsam. In manchen Nächten haben wir bei geringeren Störungen 100 Leute am Kai. Und jetzt will die Bayesian-Besatzung nichts gesehen haben? Das lässt mich geradezu erschauern. Vier triviale Operationen hätten gereicht, um die Katastrophe zu vermeiden: alle Öffnungen schließen, alle Passagiere an einer Sammelstelle zusammenführen, Ankerkette hoch, Kiel runter und Bug in den Wind. Am nächsten Tag hätte die Yacht ihre Kreuzfahrt fortsetzen können.
Was Sie beschreiben, ist die Sicht eines Fachmanns von außen. Jetzt müssen aber der Kapitän und die Besatzung gehört werden.
Natürlich. Die Staatsanwaltschaft hat mit den Befragungen ja schon begonnen. Die Aussagen der Taucher zählen auch, viele Experten werden sich äußern.
Glauben Sie, die Bayesian wird heraufgeholt, oder bleibt sie auf dem Meeresgrund.
Ich weiß es noch nicht. Wahrscheinlich wird es eine Anfrage an die Reederei geben, es hochzuziehen. In den meisten Fällen wird das Boot hochgeholt, aber mal sehen.
Der Yachtunternehmer
Giovanni Costantino hat den Yachthersteller The Italian Sea Group (TISG) gegründet und leitet diesen als Vorstandsvorsitzender. Im Laufe der Jahre kaufte er immer mehr Werftunternehmen auf, darunter auch Perini Navi, welche die Unglücksyacht Bayesian gebaut hat. Costantino befürchtet einen Imageschaden für sein Unternehmen und betont, dass Mega-Luxusyachten sicher seien. An der Börse verlor seine Gruppe infolge der Tragödie aber nur drei Prozent; am Mailänder Aktienmarkt wird TISG mit rund 460 Millionen Euro bewertet.