EZB-Direktorin Schnabel: „Natürlich ist dies zu Händen jeden eine reizvolle Aufgabe“

Es war nur ein einziger Satz, aber der hallt nach: „Wenn ich gefragt werde, würde ich bereitstehen.“ Isabel Schnabel, deutsche Direktorin der Europäischen Zentralbank (EZB), antwortete so Anfang Dezember auf die Frage der Nachrichtenagentur Bloomberg nach der EZB-Präsidentschaft. Ob gewollt oder eher ungewollt – Schnabel eröffnete damit eine öffentliche Debatte um die Nachfolge von Präsidentin Christine Lagarde, deren Amtszeit noch bis Herbst 2027 läuft.
Im Interview mit dem F.A.Z. Podcast für Deutschland hat sich Schnabel nun erstmals näher zu ihrer Aussage geäußert und ihr Interesse zumindest indirekt bestätigt. „Natürlich ist die Rolle als EZB-Präsidentin eine der wichtigsten Positionen in Europa, in der man sich für Europa einsetzen kann. Und natürlich ist das für jeden eine reizvolle Aufgabe“, sagte Schnabel. Dass schon jetzt über diese Fragen gesprochen wird, erklärte sie damit, dass bereits im kommenden Jahr der EZB-Vizepräsident, der Spanier Luis de Guindos, aus seinem Amt ausscheiden wird. „Deshalb machen sich alle darüber Gedanken, wie sich diese Nachfolge auf die Nachfolge der EZB-Präsidentin Lagarde auswirken könnte“, führte Schnabel aus.
Die Frage, ob es jetzt Zeit für einen Deutschen oder eine Deutsche an der Spitze der europäischen Institution mit Sitz in Frankfurt sei, ließ sie bewusst offen. „Die Hauptqualifikation für die Position als EZB-Präsident oder EZB-Präsidentin ist, dass man ein überzeugter Europäer ist“, antwortete sie diplomatisch. Das sei das Wichtigste, komme also noch vor der Frage der Nationalität.
Schwungvolles Personalkarussell bis 2029
Sollten die EU-Staats- und Regierungschefs das ähnlich sehen, wäre das eine Überraschung, denn das Personalkarussell nimmt in den kommenden Jahren Schwung auf. Die Frage nach der Nationalität spielt dabei stets eine Rolle. In drei Jahren endet die Amtszeit der deutschen Ökonomin Claudia Buch an der Spitze der EZB-Bankenaufsicht, und 2029 dürfte auch die deutsche CDU-Politikerin Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin ausscheiden. Wer auf das Gesamttableau blickt, dem wird klar: Baut Berlin nicht vor, wird es eng mit den Spitzenposten.
Aufklärungsbedarf sieht Schnabel auch bei der Frage, ob die EZB in absehbarer Zeit die Zinsen erhöht. An den Aktienmärkten hat diese Erwartung nach ihrem Bloomberg-Interview für Aufregung gesorgt, allerdings fühlt sich die EZB-Direktorin in diesem Punkt missverstanden: „Im Moment ist keine Zinserhöhung zu erwarten“, stellte sie klar. Der aktuelle Zinssatz von derzeit zwei Prozent werde noch eine Weile stabil bleiben. Ihr sei es wichtig gewesen, deutlich zu machen, dass der Zinssatz in ihren Augen nicht noch einmal gesenkt werden müsse.
Den Bürgern steckt die hohe Inflation noch in den Knochen
So wichtig die Aussagen einer Notenbankerin für die Märkte sind, so weitreichend sind ihre Einschätzung auch für die Bürger, denen exorbitante Inflationsraten von bis zu 10,6 Prozent im Euroraum vor rund drei Jahren noch in den Knochen stecken. Niemand erwartet, dass die Preise noch einmal so drastisch innerhalb kurzer Zeit steigen.
Aber noch ist viel Unsicherheit im Spiel, was nicht zuletzt auch an dem schwer vorhersehbaren amerikanischen Präsidenten Donald Trump liegen dürfte. Schnabel rechnet jedenfalls damit, dass es stärkere „inflationären Kräfte“ geben wird. Grund sei die veränderte makroökonomische und geopolitische Situation mit einer stärkeren strukturelle Fragmentierung. „Das wird irgendwann dazu führen, dass man die Zinssätze auch wieder erhöhen muss, aber nicht auf absehbare Zeit“, betont Schnabel.
Sind die Zeiten hocheffizienter Arbeitsteilung vorbei?
Als das „markanteste Ereignis“ in diesem Jahr bezeichnete sie Trumps Importzölle. „Das führt dazu, dass wir in eine neue Welt eintreten. Wir waren sehr an die hocheffiziente globale Arbeitsteilung gewöhnt: Alles wird dort produziert, wo es am günstigsten ist“, erläuterte sie. „Aber jetzt müssen wir erkennen, dass alles ein bisschen komplizierter geworden ist und dass man sich nicht mehr auf die gleiche Weise auf Lieferketten verlassen kann.“ Dies bringe einen höheren Inflationsdruck.
„Unternehmen müssen genau darüber überlegen, wie sie ihre Lieferbeziehungen gestalten. Vielleicht ist es nicht mehr angezeigt, nur einen Lieferanten zu haben, sondern einen zweiten.“ Womöglich nähmen sie auch nicht mehr den günstigsten Lieferanten, der sich in einem unsicheren Land angesiedelt habe. „Das führt dazu, dass die globale Arbeitsteilung weniger effizient wird – und das ist insgesamt kostensteigernd.“
Derzeit ist davon noch wenig zu spüren. Die Inflationsrate ist in den vergangenen Jahren deutlich gesunken und hat sich auf das Wunschmaß von zwei Prozent eingependelt, das die EZB als Ziel festgelegt hat. Für das Jahr 2025 hat die EZB eine Inflationsrate von durchschnittlich 2,4 Prozent berechnet. Für das kommende Jahr erwartet sie 2,2 Prozent. Für die Verbraucher bedeutet das aber nur wenig Entlastung, schließlich heißt das nicht, dass die Preise sinken. Wäre dies das Ziel, müsste die Wirtschaft bewusst in eine Rezession geführt werden – „und das kann natürlich niemand wollen“, betonte Schnabel. „Wir können den alten Pfad des Preisniveaus nicht wiederherstellen.“ Sie verwies darauf, dass sich in der Zwischenzeit auch die Löhne entsprechend gesteigert hätten. „Die Kaufkraft ist also wieder hergestellt.“
Gute Nachrichten zum Weihnachtsfest gibt es allerdings auch: Aller Widrigkeiten zum Trotz, habe sich die Wirtschaft im Euroraum als widerstandsfähiger erwiesen als gedacht. „Natürlich hat der Handelskrieg die Exporte unter Druck gesetzt, aber gleichzeitig hatten wir eine relativ stabile und stark wachsende inländische Nachfrage, die dann den Rückgang der Nettoexporte überkompensierte“, betonte die Ökonomin, die vor ihrer Zeit als EZB-Direktorin Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft der Bundesregierung war. Auch der Arbeitsmarkt habe geholfen.
Beruhigend äußerte sie sich zu der Frage, ob durch den hohen Schuldenstand Frankreichs bald eine neue Euro-Krise drohe. Sie bezeichnete die schwierige finanzielle und politische Lage im Nachbarland als „ein singuläres Phänomen“, das auch nur von Frankreich gelöst werden müsse.
Mit Wachsamkeit müsse jedoch auf die Aktienwerte großer Tech-Konzerne geblickt werden. Schon seit Wochen wird in diesem Zusammenhang diskutiert, ob sich eine neue Aktienblase bildet, die womöglich bald platzen könnte. Schnabel nannte als Problem, dass die Investitionen in Milliardenhöhe, zum Beispiel in die Entwicklung von KI und den Bau von Rechenzentren, immer mehr durch Schulden finanziert würden. „Dann braucht es nicht viel, um in eine Schieflage zu geraten“, warnte sie. „Das müssen wir uns genauer ansehen.“