Extremismus: Korpsgeist statt Reue

Zum Ende des Prozesses hin wechselte Zschäpe ihre Anwälte und ihre Strategie. Sie ließ ein schriftliches Statement verlesen, in dem sie eine „moralische Schuld“ akzeptierte, weil sie Böhnhardt und Mundlos nicht aufgehalten habe. Sie selbst habe aber keinen Mord begangen, das hob sie immer wieder hervor. Das Gericht sah es am Ende als erwiesen an, dass Zschäpe einen wichtigen Tatbeitrag geleistet habe. Ohne sie hätte der NSU nicht so lange morden können. Zschäpe sitzt seitdem eine lebenslange Freiheitsstrafe ab.
Aus der rechten Szene will Zschäpe niemanden zu sehr belasten
Nun redet die Terroristin selbst. Im Prozess gegen die mutmaßliche NSU-Unterstützerin Susann E., die derzeit vor dem Oberlandesgericht in Dresden angeklagt ist. Als Zeugin muss Zschäpe aussagen. Doch was sie sagt, hat kaum Substanz. Sie will sich nicht strafbar machen, indem sie die Aussage verweigert oder lügt. Das könnte ihre Aussichten auf Hafterleichterungen oder darauf, dass ihre Strafe irgendwann zur Bewährung ausgesetzt wird, verringern.
Aber Zschäpe will sich selbst schon eine Sonderrolle zugestehen, zweifelt die Wichtigkeit ihres Tatbeitrags an. Und sie will keinen ihrer einstigen Unterstützer aus der rechtsextremen Szene belasten, zumindest nicht zu sehr. Ihre enge Freundin Susann E. hat sie immerhin bezichtigt, Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung geleistet zu haben, wenn auch erst mit etwas Erinnerungshilfe. Doch sie nennt keine neuen Namen, keine neuen Details.
Dieses Verhalten ist bekannt, nicht nur aus rechtsextremen Kreisen. Terroristen legen ihre Netzwerke nicht freiwillig offen – vor allem nicht, wenn sie von ihrer Sache noch überzeugt sind. Korpsgeist statt Reue.
„Krieg gegen den Staat“
Im ersten Prozess gegen die linksextreme Terrorgruppe „Rote Armee Fraktion“ (RAF) schwiegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof fast ausnahmslos. Wer sie unterstützte, wer mit konspirativen Wohnungen half oder Waffen beschaffte, wurde nicht aufgedeckt – dabei umfasste das Unterstützernetzwerk damals Tausende, auch Personen aus dem bürgerlichen, akademischen Milieu. Eine Allensbach-Umfrage von 1971 ergab, dass etwa ein Viertel der Befragten unter 30 Jahren „gewisse Sympathien“ für die Terroristen hegte.
Deren „Krieg gegen den Staat“ ging nach dem Stammheim-Prozess weiter. In der zweiten Generation konnte die RAF mit Brigitte Mohnhaupt an der Spitze weiter morden und Anschläge begehen. Erst in den Achtzigerjahren öffneten sich einige Aussteiger, oft gegen die Zusicherung von Straffreiheit. So konnten Hunderte Unterstützer identifiziert und Taten wie der Mord an Hanns Martin Schleyer und Siegfried Buback im Detail aufgeklärt werden. Diese und weitere Morde hatten den Rückhalt der RAF in der Gesellschaft bröckeln lassen.
Auch der NSU hatte Unterstützer. Weit mehr als die vier mit Zschäpe in München verurteilten Männer müssen dem Kerntrio geholfen haben. Auch zahlreiche V-Leute des Verfassungsschutzes hatten in der rechtsextremen Szene Kontakt zum NSU. Was sie wussten und was sie taten, ist kaum zu rekonstruieren: In der „Aktion Konfetti“ vernichtete das Bundesamt 2011 einschlägige Akten, einige Landesämter verweigern den Zugang zu Dokumenten. So ist eine Aufarbeitung erschwert. Und die Frage bleibt: Wie groß ist das Netzwerk, wie verbreitet sind die Sympathien am rechten Rand der Gesellschaft?
Nur wenige Fälle führen zu einer Anklage. Und vor Gericht gilt links wie rechts: Wer überzeugt ist von der Sache, der schweigt. So war es auch im Münchner NSU-Prozess, in dem die Mitangeklagten Zschäpes fast durchweg schwiegen. Mit Erfolg: Unterstützer aus der Neonaziszene, die zur Urteilsverkündung 2018 angereist waren, applaudierten stehend, als das Strafmaß für Susann E.s Ehemann André verkündet wurde. E., der der Bundesanwaltschaft als engster Vertrauter des NSU galt, bekam zweieinhalb Jahre. Er hatte während des Prozesses nur seine Personalien zu Protokoll gegeben. Als ein Zeuge aus der Neonaziszene aussagen musste, erschien er in einem Hemd mit dem Aufdruck: „Brüder schweigen – bis in den Tod“.
Source: faz.net