European Economic Conference: Friedrich Merz will die EU wieder fitter zeugen
Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) sieht Europas Wettbewerbsfähigkeit nur gewährleistet, wenn sich die Gemeinschaft stärker auf die wesentlichen Politikfelder konzentriert, kleinteilige Bürokratieexzesse aber weglässt. Die Europaskepsis vieler Bürger und Betriebe vor der Wahl zum Europaparlament an diesem Sonntag rühre nicht zu Unrecht daher, dass die EU vor großen Aufgaben in der Sicherheit-, Außen- oder Wirtschaftspolitik zurückschrecke und sich stattdessen in unwichtige Details einmische. „Im Kleinen macht die EU zu viel, im Großen zu wenig“, sagte Merz am Dienstagabend auf der European Economic Conference der F.A.Z. in Berlin.
Als Beispiel erwähnte er, dass es noch immer keinen einheitlichen europäischen Kapitalmarkt gebe. Deshalb müssten Zukunftsunternehmen wie Biontech in New York an die Börse gehen. Die Frage der Bankenunion sei viel zu eng auf Haftungsthemen ausgerichtet, die europäischen Börsen müssten in größeren Verbünden operieren, forderte Merz, der Parteichef der CDU und Vorsitzender der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag ist. Was den Bürokratieabbau angehe, so schlage die europäische Parteienfamilie der Union (EVP) mit ihrer Spitzenkandidatin, der Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen (CDU) vor, ein Viertel aller Berichtspflichten für Unternehmen zu streichen.
„Klimaschutz braucht starke Volkswirtschaften“
Die Außen- und Sicherheitspolitik Europas leide nicht zuletzt unter absurden Vorgaben zu Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsstandards (ESG). Zu Recht wolle man nach Russlands Überfall auf die Ukraine europäische Rüstungsunternehmen stärken. Doch dürften europäische Banken sie wegen der ESG-Regulierungen nicht finanzieren. Deshalb müssten die Konzerne zur Geldaufnahme in die Vereinigten Staaten gehen. Themen wie der Klimaschutz seien sehr wichtig, aber dieser sei nicht ohne starke Volkswirtschaften möglich.
Zu den Wahlchancen von CDU und Europäischer Volkspartei (EVP) am Sonntag sagte Merz: „Ich glaube, wir werden ein ordentliches Ergebnis bekommen.“ Die EVP werde vermutlich die mit Abstand stärkste Fraktion und die einzige mit Abgeordneten aus allen 27 Mitgliedstaaten werden. Ohne die EVP werde keine Mehrheit möglich sein, hofft Merz und erinnerte daran, dass die CDU, die er anführt, die größte Partei der EVP sei.
Er erwartet, dass die Rechtspopulisten im Europaparlament etwas stärker werden und sich die christlich-konservative Fraktion sowie die der Rechtspopulisten in Teilen neu formieren werden.
Plädoyer für mehr Freihandelsabkommen
Merz rief in Erinnerung, dass die Kompetenzen für die Währungs- und Handelspolitik als einzige allein bei der EU lägen. Diese müsse sie aber auch nutzen, etwa für den Abschluss von mehr Freihandelsabkommen. Da die Verträge dazu zu viele Dinge außerhalb reiner Handelsfragen enthielten, etwa Arbeitsrechtsstandards, sei indes die Ratifizierung allein auf europäischer Ebene, wie es geboten wäre, nicht möglich. Deshalb müssten die Handelsabkommen durch die Parlamente der Mitgliedsländer gehen, in Deutschland sogar durch beide Kammern, also auch durch den Bundesrat. Das Handelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosurstaaten sei fertig und ausverhandelt, aber immer noch nicht verabschiedet. Außer mit den USA und mit China könnte die EU noch viel mehr solcher Verträge schließen, wenn sie diese nicht überfrachtete und wenn sie schneller wäre.
Im Wettbewerb mit den USA habe die EU den Nachteil eines uneinheitlichen Steuerrechts. Deswegen sei es schwer, gegen Steuervergünstigungen im Inflation Reduction Act zu bestehen. Die Welthandelsorganisation WTO sei „praktisch tot“.
Innenpolitisch, sagte Merz, sehe er eine wachsende Bereitschaft unter jungen Leuten, Wehrdienst oder ein Gesellschaftsjahr zu leisten.
Auch Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt stellte sich in Berlin den Fragen von F.A.Z.-Herausgeber Gerald Braunberger. Schmidt sagte, in Olaf Scholz (beide SPD) und auch in allen Kanzlern zuvor sei der Gedanke tief verankert, dass Deutschland von Europa stark profitiere. Manche Europaskepsis in der Bevölkerung und in Betrieben rühre aus Verunsicherung her.
Die Politik müsse deshalb für bezahlbare Energiepreise sorgen, Bürokratie abbauen, den Mangel von Fachkräften lindern. Schmidt verriet, dass die Bundesnetzagentur gemeinsam mit den Ländern gegen die „betrübliche“ Tatsache vorgehen werde, dass die Netzentgelte in Strompreiszonen mit viel erneuerbaren Energien höher seien als anderswo. Dadurch könnte der Netzausbau von Zonen mit viel Erneuerbaren zu solchen mit wenig Ökostrom verlangsamt werden, was nicht wünschenswert sei: „Daran arbeiten wir.“