EU und Ukraine: Bauernpräsident Rukwied warnt vor sofortigem Beitritt

Seit den großen Bauernprotesten ist mehr als ein halbes Jahr vergangen. Viel zu hören war von den Bauern zuletzt nicht, nachdem es in Brüssel etliche Erleichterungen gab. Sind Sie zufrieden?

Die Proteste waren sehr erfolgreich und haben eine Protestwelle in Europa ausgelöst, die die politische Agenda in Brüssel verändert hat. Es wurden einige Auflagen bei der Gemeinsamen Agrarpolitik gelockert, und wir haben eine gute Basis geschaffen für Gespräche. Jetzt müssen wir abwarten, welche Allianzen es auf europäischer Ebene gibt. In Deutschland wurde viel und positiv über Landwirtschaft gesprochen. Wir hatten 80 Prozent Unterstützung aus der Bevölkerung. Die Bundesregierung hatte keinen agrarpolitischen Kompass. Mit dem, was auf Berliner Ebene erreicht ist, können wir Landwirte nur zum Teil zufrieden sein. Die aktuellen Gesetzgebungsverfahren zeigen leider, dass die Bundesregierung die Bedeutung der Landwirtschaft nicht erkannt hat. Die Menschen müssen ernst genommen werden.

Sehen Sie die Europawahl als Spiegel dessen? Die Grünen haben deutlich verloren, es ist ein Rechtsdrall erkennbar. Spielt das den Bauern in die Karten?

Wir stehen zum Grundgesetz und bauen auf unsere Verfassung. Landwirte sind überzeugte Europäer. 52 Prozent der Bauern haben CDU oder CSU gewählt. Das Ergebnis hat kaum überrascht. Ich kann aber leider bislang nicht erkennen, dass die Verantwortlichen aus dem Wahlergebnis die richtigen Schlüsse ziehen. Stattdessen kommen Argumente wie: „Wir haben es nicht gut genug erklärt“ oder „Die Jugend ist zu sehr auf Tiktok unterwegs“. Aber nein: Es geht um Zukunftsängste der jungen Generation, auch in der Landwirtschaft. Das muss die Politik ernsthaft diskutieren und einen Politikwechsel auf den Weg bringen. Die Art des Regierens mit erhobenem Zeigefinger und auf Verboten basierend, insbesondere in der Landwirtschaft, wurde in der Wahlkabine bewertet. Wir haben kein Wirtschaftswachstum mehr und verlieren Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Wettbewerb.

Von den Landwirten haben etwa 18 Prozent die AfD gewählt, das ist mehr als im Rest der Bevölkerung. Woran liegt das?

Historisch lagen wir immer rund 50 Prozent unter dem allgemeinen Wahlergebnis der AfD. Bei beispielsweise 12 Prozent AfD insgesamt waren es 6 Prozent bei den Landwirten. Jetzt liegen wir auf dem gleichen Niveau wie die Generation Z. Das Gefühl, dass uns Perspektiven geraubt werden, ist eine gewisse Verbindung. Diese Angst vor der Zukunft und der Reglementierung, dieses Vorschrei­benwollen, das lehnen sowohl die junge Generation als auch Teile der Landwirte ab.

Auch während der Proteste gab es manche „radikale“ Aktionen der Bauern. Hat das Ihnen keinen Imageschaden verpasst?

Nein, in keiner Weise. Das waren wenige Aktionen von Randgruppen, nicht vom deutschen Bauernverband. Wir haben uns klar distanziert, auch bei Vorfällen wie in Brandenburg. Da habe ich gesagt: Hier ist der Rechtsstaat in seiner gesamten Härte gefordert. Bei den Demonstrationen haben wir versucht, den Großteil der Landwirte einzubinden – mit Erfolg. Deshalb würden wir es wieder genauso machen.

Ein Landwirt ackert auf einem Feld im Osten von Brandenburg im Landkreis Märkisch-Oderland.
Ein Landwirt ackert auf einem Feld im Osten von Brandenburg im Landkreis Märkisch-Oderland.dpa

Wie geeint ist der Berufsstand noch? Es scheint eine Kluft zwischen kleineren Randgruppierungen und Ihrem Verband zu geben.

Der Deutsche Bauernverband repräsentiert in den älteren Bundesländern bei freiwilliger Mitgliedschaft rund 90 Prozent der Betriebe. Viele davon sind klein strukturiert und wären nicht freiwillig Mitglied, wenn wir nicht auch deren Interessen vertreten würden. Wir haben stets Kompromisse gefunden, bei denen sich jedes Mitglied wiedergefunden hat.

Das Thema Subventionen wird die EU-Agrarpolitik weiter beschäftigen, die nächste Reform naht. Die Rufe, das System umzukrempeln, sind lauter geworden. Sie haben zuletzt noch davor gewarnt, die sogenannte „Basisprämie“, die Bauern je Hektar Fläche erhalten, zu kürzen.

Das stimmt so nicht. Wir sind mitten im Veränderungsprozess und haben schon 2018 ein Bekenntnis abgegeben, dass wir eine grünere Agrarpolitik unterstützen. Wir waren einer der ersten Verbände, die gesagt haben: Wir unterstützen die Ökoregelungen. Entscheidend für uns ist aber, dass diese integrierbar sind und es sich wirtschaftlich lohnen muss, freiwillige Umweltleistungen zu erbringen.

Zuletzt sind einige Standards gesenkt worden, die Bauern müssen etwa nicht mehr 4 Prozent ihrer Fläche stilllegen, um Subventionen zu erhalten. Macht es das schwerer, die Zahlungen zu rechtfertigen?

Die Direktzahlungen sind in Deutschland massiv zurückgefahren worden. Der Anteil der klassischen Basisprämie macht inzwischen weniger als die Hälfte der GAP-Mittel aus. Wir leben in politisch fragilen Zeiten mit einem Angriffskrieg Russlands in der Ukraine und einem instabilen Nahen Osten. Corona hat gezeigt, wie brüchig Versorgungsketten sein können. Insofern sollte die EU die Zukunftsfähigkeit ihrer Landwirtschaft mit ihren höheren Standards absichern. Wir haben unser Positionspapier eingebracht, das eine Neuaufstellung der Gemeinsamen Agrarpolitik vorsieht. Dazu gehört ein Block zur Risikoabsicherung, der sukzessive die Direktzahlungen ersetzen könnte. Das muss im europäischen Kontext gesehen werden.

Auf EU-Ebene hieß es zuletzt, die Voraussetzungen für die Aufnahme der Beitrittsgespräche der Ukraine seien erfüllt. Was würde das für die Bauern – und die Subventionen – heißen?

Auf der einen Seite sehen wir die politische Dimension. Auf der anderen Seite würde das bedeuten: 32 Millionen Hektar zusätzliche Ackerfläche und eine Integration einer Landwirtschaft, die in keiner Weise vergleichbar ist mit den Betriebsstrukturen innerhalb der EU. Wie soll ein 200-Hektar-Betrieb mit einem 50.000- Hektar-Agrarunternehmen konkurrieren können? Damit hätten die Bauernfamilien in der EU keine Zukunft mehr. Wenn die Ukraine sofort der EU beitritt, stirbt unsere familiengetragene Landwirtschaft. Das muss man bedenken und deshalb vorsichtig vorgehen. Man muss auch das Thema Korruption in der Ukraine ansprechen. Da müssen erhebliche Vorleistungen getroffen werden. Die Politik darf das nicht außer Acht lassen, sonst droht ein politisches Desaster in den ländlichen Räumen bei zukünftigen Wahlen. Ich wäre als Politiker da höchst aufmerksam.

Sehen Sie es nicht als die Verantwortung der EU, der Ukraine als kriegsgebeuteltem Land wirtschaftlich auf die Sprünge zu helfen?

Nochmals: Wir wissen um die politische Dimension und gehen davon aus, dass Verhandlungen geführt werden, die möglicherweise zu einem EU-Beitritt führen. Auf dem Weg dahin sind aber viele Dinge zu klären, sei es beim Thema Korruption oder bei den Direktzahlungen und Unterstützungen. Die Lieferungen von Weizen und anderen Kulturen aus der Ukraine in den EU-Markt haben zu einem Preisdruck geführt. Zudem haben Billigofferten aus Russland den Preis am Weltmarkt massiv belastet. Da wurde Weizen als Waffe eingesetzt.

Halten Sie Handelsbeschränkungen für Waren aus der Ukraine für sinnvoll?

Importbeschränkungen gegen ukrainische Agrarprodukte sind dringend notwendig, um das Überleben der europäischen Landwirtschaft zu sichern. Wer der familiengetragenen Landwirtschaft in Europa, die zu ganz anderen Konditionen und Standards wirtschaftet als in der Ukraine, eine Zukunft geben will, der muss sie schützen.

Kann es für tierhaltende Betriebe nicht von Vorteil sein, günstiges Futtergetreide zu importieren, wenn hierzulande nicht genug verfügbar ist?

Die tierhaltenden Betriebe sind größtenteils in der Lage, das Futtergetreide selbst zu erzeugen. Das, was fehlt, wird jetzt schon importiert. Da brauchen wir keine zusätzliche Importware.

Eine Herausforderung für die Bauern ist der Klimawandel. Wie ernst ist die Lage für die Landwirte?

Wir Landwirte gehören zu den Berufsgruppen, die am stärksten die Klimaveränderungen spüren und als Erste ökonomische Nachteile dadurch haben. Die Klimaerwärmung ist da, mit höheren Risiken, häufigeren Wetterextremen und Temperaturdifferenzen oder Spätfrösten. Deshalb sind für uns Klimaschutzmaßnahmen und die Reduktion der Emissionen wichtig, aber auch Investitionen in Anpassungsmaßnahmen.

Obstbauern in Sachsen haben kürzlich Frostschäden erlitten, die der Staat nun entschädigen soll. Die Bauern haben bisher oft nach finanzieller Hilfe gerufen. Halten Sie das künftig noch für ein probates Mittel, oder müssten sich die Bauern stärker selbst dagegen wappnen?

Das würden wir gerne. Aber ohne eine Anschubfinanzierung wird das nicht gelingen. Genau diese Risikoabsicherung, Schutzmaßnahmen, Ernteversicherungen sind wichtig. Wenn wir die Gemeinsame Agrarpolitik neu schreiben sollten, ist die Einführung einer kofinanzierten Risikoversicherung unabdingbar. Unser Ansatz ist, unter Einbeziehung ökonomischer Unterstützung des Staates, Risikoabsicherungssysteme und Versicherungslösungen auf den Weg zu bringen. Und das erübrigt dann Forderungen des Ausgleichs. Bei Wein- und Obstbau gibt es dies bereits in einigen Bundesländern.

Wie blicken Sie auf den Green Deal der EU? Darin sind ehrgeizige Ziele für die Bauern, etwa beim Pflanzenschutz, festgeschrieben.

Da muss man differenzieren. An unserer Position, dass wir die Ziele des Green Deal unterstützen, hat sich bis dato nichts geändert. Wir haben aber von Anbeginn gesagt: Die vorgeschlagenen Maßnahmen, die auf Verbote setzen, die Wissenschaft außen vor lassen, sind nicht passend. Wir müssen den Weg dahin komplett neu auflegen. Übrigens lässt auch national das Bundeslandwirtschaftsministerium wissenschaftliche Expertise bei Themen wie Pflanzenschutz außen vor, erwähnt neue Techniken nur in einem Halbsatz. Das ist der falsche Ansatz. Wir brauchen unternehmerische Freiheit und Offenheit, neue Techniken, ob beim Pflanzenschutz oder bei der Züchtung, einzusetzen. Die Politik hat das in der Vergangenheit verhindert, indem sie auf Ordnungsrecht gesetzt hat. Die Standards sind bei uns deutlich höher als in anderen Teilen der Welt.

Unterscheidet sich Ihrer Wahrnehmung nach die Diskussion über Themen wie Klimaschutz in Deutschland und Europa von anderen Teilen der Welt?

Ich war vor 14 Tagen in São Paulo bei einem Internationalen Kongress zur Lebensmittelsicherheit. Dort war neben Vertretern aus Südamerika auch der afrikanische Agrarbereich vertreten, der Agrarminister aus den Vereinigten Arabischen Emiraten war zugeschaltet. Die haben gemeinsam eine Botschaft gesetzt – die haben mittlerweile ihre eigene Agenda. Und die waren sehr deutlich. Da fielen Aussagen wie: „Diesen grünen Neokolonialismus der EU werden wir nicht akzeptieren.“ Ich bin da zum Teil massiv angegangen worden. Die Welt stellt sich anders auf und selbständig auf. Europa wird nicht mehr als Vorbild gesehen und hat nicht mehr die Vorbildfunktion, die es lange hatte. Das ist mein Eindruck zumindest auf internationalen Konferenzen.

Wie blicken Sie auf das Thema Tierwohl? Hier ist außer warmen Ankündigungen wenig passiert.

Meine nüchterne Bewertung: Der Ball lag auf dem Elfmeterpunkt. Das Tor war leer, der Torwart hat sich an den Pfosten gelehnt. Die Vorgängerregierung hat ihn nicht versenkt. Herr Özdemir hat ihn bis jetzt nicht versenkt. Nichtsdestotrotz stehen wir zur Borchert-Kommission und kommunizieren das in Richtung Bundesregierung.

Man hatte eher den Eindruck, dass Sie vornehmlich gegen die meisten Vorschläge waren, die auf dem Tisch lagen.

Nein. Wir haben signalisiert, dass wir einer Mehrwertsteuererhöhung um zwei, drei Prozent zustimmen. Das benötigt man. Das würde für die Finanzierung reichen. Aber eine Anhebung auf den Regelsteuersatz von 19 Prozent lehnen wir ab. Die höhere Mehrwertsteuer würde Fleisch zum Luxusgut machen für Familien, die es sich nicht leisten können. Das können wir nicht akzeptieren.

Aber Sie kritisieren, dass das Geld über die Mehrwertsteuer nicht zweckgebunden wäre, also nicht bei den Bauern ankäme.

Die ideale Lösung gibt es nicht. Jeder Lösungsansatz hat kritische Punkte.

Wie blicken Sie auf die Aktionen des Lebensmittelhandels, der einige Produkte nur noch aus höheren Haltungsformen anbieten will?

Mehr Tierwohl, mehr Öko wird nur dann funktionieren, wenn der Markt es trägt. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen bereit sein, mehr Geld für Tierwohl zu zahlen. Sonst läuft das nicht.

Noch kurz zur finanziellen Situation: Zuletzt ist die Kurve des Höfesterbens abgeflacht. Wie viel Potential zum „Sterben“ gibt es noch?

Bei jedem Betrieb, der aufgibt, gibt es vielfältige Gründe. Es ist ein Verlust von Familientradition und Agrikultur. Positiv ist, dass der Strukturwandel sich abgeschwächt hat. Aber wenn ich die demographische Entwicklung anschaue: Viele der Betriebsleiter sind über 50, sind wie ich Babyboomer. Wenn meine Generation aus der aktiven Zeit rausgeht, wird sich der Strukturwandel leider deutlich beschleunigen. Das geben allein die nackten Zahlen wieder.