EU-Mercosur-Handelsabkommen: Das bringt die größte Freihandelszone jener Welt

Was ist das Mercosur-Abkommen?

Das Handels- und Investitionsabkommen ist Teil eines umfassenden Assoziierungsabkommen der EU mit den Mercosur-Staaten, Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Bolivien ist zwar seit diesem Jahr Mitglied des südamerikanischen Staatenverbunds. Dieses Land würde aber zunächst nicht von dem Abkommen profitieren. Bis es so weit ist, werden wohl noch einige Jahre vergehen, weil Bolivien bis 2028 zunächst seine Regeln an diejenigen des Mercosur anpassen und dann separat mit der EU verhandeln muss. Das Abkommen schafft mit mehr als 750 Millionen Menschen die größte Freihandelszone der Welt.

Was sieht der Vertrag vor?

Im Kern geht es um den Abbau von Handelsschranken. Für 91 Prozent aller zwischen der EU und dem Mercosur gehandelten Waren sollen die Zölle schrittweise entfallen. Nach Berechnungen der Europäischen Kommission würden sich für europäische Exporteure dadurch jährliche Einsparungen in Höhe von ungefähr 4 Milliarden Euro ergeben.

Worüber wurde so lange verhandelt?

Eigentlich waren die EU und der Mercosur 2019 nach 20 Jahren Verhandlungen schon einmal so weit, dass sie eine Einigung verkündet haben. Dann aber stellten sich einige EU-Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, quer. Ihnen ging der Schutz des Regenwalds nicht weit genug. Das soll eine seither verhandelte Zusatzerklärung richten. Der Text des Abkommens selbst wurde nicht mehr angefasst. Die Verhandlungen über die Erklärung haben sich auch fünf Jahr hingezogen, weil die Mercosur-Staaten Gegenforderungen stellten. Dabei ging es nicht zuletzt um neue Gesetze, die die EU nach 2019 verabschiedet hat. Dazu gehört das Entwaldungsgesetz, das die Rodung von Regenwald verhindern soll. Brasilien und Paraguay trifft das stark. 70 Prozent der Ausfuhr von Paraguay in die EU sind von dem Gesetz betroffen.

Was hat ist anders als 2019?

Eine Zusatzerklärung verpflichtet die Unterzeichner, die Pariser Klimaschutzziele einzuhalten, inklusive des Schutzes des Regenwalds. Nach gravierenden Verstößen kann das Handelsabkommen ausgesetzt werden. Die Partner verpflichten sich zu einen Ende der Rodung 2030. Ein EU-Fonds von 1,8 Milliarden Euro soll die Mercosur-Staaten dabei unterstützen. Zudem erlaubt die Erklärung dem Mercosur, den Zugang zu öffentlichen Aufträgen, vor allem für Medizinprodukte, und für Fahrzeuge etwas stärker einzuschränken als zuvor. Das hatte Brasilien gefordert. Das Protokoll soll Anfang kommender Woche veröffentlich werden.

Was bringt das Abkommen beiden?

Die EU und der Mercosur ergänzen sich wirtschaftlich gut. Die Südamerikaner sind bei Agrarrohstoffen und für die Klimawende wichtigen Rohstoffen stark, die Europäer liefern Autos, Maschinen und Chemikalien. Die EU ist nach China zweitgrößter Handelspartner des Mercosur. Sie steht für 15 Prozent von dessen Handelsvolumen. Der Anteil von China liegt bei 24 Prozent. Das Handelsvolumen für Güter betrug zuletzt rund 110 Milliarden Euro. Das sind rund 2 Prozent des gesamten EU-Außenhandels. In der Rangliste der wichtigsten Handelspartner der EU liegt der Mercosur damit nur knapp vor Russland. Das wirtschaftlich mit Abstand wichtigste Mercosur-Land ist Brasilien.

Was bringt das Abkommen der EU?

Die Mercosur-Staaten gehören zu den Ländern mit den höchsten Außenzöllen. Auf Autos fallen 35 Prozent an, auf Autoteile 14 bis 18 Prozent, auf Maschinen 14 bis 20 Prozent oder auf Chemikalien bis zu 18 Prozent. Für 91 Prozent dieser Einfuhren sollen die Zölle wegfallen. Die EU schafft ihrerseits 92 Prozent der Einfuhrzölle ab. Auch die Öffnung für staatliche Infrastrukturaufträge könnte lukrativ für die EU sein. Die Südamerikaner sind hier schwach aufgestellt. Das Abkommen bringt Rechtssicherheit mit den traditionell risikoreichen lateinamerikanischen Staaten. Die Europäer profitieren auch davon, dass sie bei Post- und Logistikdienstleistungen, in der Telekom- oder Finanzindustrie Marktzugang erhalten.

Was hat Deutschland davon?

Die EU-Staaten profitieren sehr unterschiedlich von dem Vertrag. Deutschland zählt zu den Hauptgewinnern, da es mehr Autos, Maschinen, Chemie- und Medizinprodukte ausführen kann. Das Handelsvolumen für Güter von Deutschland und dem Mercosur lag zuletzt bei 24 Milliarden Euro. Das entspricht dem Handel mit Kanada. 85 Prozent der deutschen Ausfuhr sind Industriegüter. Die Zollerleichterungen würden den deutschen Unternehmen Einsparungen von 400 bis 500 Millionen Euro im Jahr bringen. Nach Angaben der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) exportieren 12.500 Unternehmen aus Deutschland in den Mercosur, 72 Prozent davon sind kleine und mittlere Unternehmen. Diese Exporte sicherten 244.000 Stellen in Deutschland. Deutschland hofft auch, von der Öffnung des Dienstleistungssektors zu profitieren, im IT-Sektor, Hafenbetrieb oder dem Speditionswesen.

… und wieso ist Frankreich skeptisch?

Die französischen Wirtschaftsbeziehungen zu Mercosur sehen ganz anders aus als die deutschen. Das Handelsvolumen liegt nur bei 10 Milliarden Euro. Der Handel ist viel stärker vom Agrarsektor geprägt. Autos etwa exportiert die französische Industrie kaum in den Mercosur.

Was bringt der Freihandelsdeal den „normalen Menschen“?

Der Vorteil für die Verbraucher ist, dass die Produkte aus Südamerika billiger werden. Das sind vor allem Agrarprodukte wie Rindfleisch und Geflügel. Auch der Wein aus den Mercosur-Staaten dürfte günstiger werden. Unabhängig davon wird das Abkommen auf beiden Seiten des Atlantiks die Wirtschaft ankurbeln. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hebt hervor, dass es neue Arbeitsplätze schaffen wird. Schon heute hängen in der gesamten EU 855.000 Arbeitsplätze am Export in den Mercosur. Der Ökonom Gabriel Felbermayr hat – bei allen Vorbehalten gegenüber solchen Zahlen – 2019 geschätzt, dass der positive Effekt für das deutsche Bruttoinlandsprodukt auf lange Frist bei 0,15 Prozent liegen werde. Das wären bezogen auf 2023 immerhin mehr als 6 Milliarden Euro oder 75 Euro je Kopf.

Wer ist gegen das Abkommen?

Umwelt- und Klimaschützer sowie die Grünen lehnen das Abkommen ab. Sie argumentieren, dass das Mercosur-Abkommen die Rodung des Regenwalds fördert und die Sozial- und Umweltstandards in Südamerika zu niedrig sind. Sie kritisieren auch, dass für Gen-Soja Regenwald gerodet wird. Soja wird allerdings schon heute zollfrei im großen Stil in die EU eingeführt. Zweitens sind die Landwirte – auch der Deutsche Bauernverband – gegen die Öffnung des Markts der EU. Sie fürchten die zusätzliche Konkurrenz beim Rindfleisch, Zucker und Geflügel. Staaten mit einer starken Agrarlobby wie Frankreich, die Niederlande, Polen und, zuletzt weniger klar, Irland sind deshalb gegen das Abkommen. Der Widerstand in Österreich wird von beiden Gruppen getragen.

Ist die Kritik von Klima- und Umweltschützern gerechtfertigt?

Die Europäische Kommission betont, dass die EU-Verbraucherstandards für den Handel mit Südamerika gelten. Zudem wurden mit dem Abkommen schon 2019 internationale Arbeitsstandards und auch ein Bezug zum Pariser Klimaabkommen vereinbart. Es sei sichergestellt, dass kein Stück Rindfleisch auf Tellern in der EU lande, für das Regenwald gerodet wurde, wiederholt der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europaparlament, Bernd Lange (SPD), seit Monaten. Die Kommission betont zudem, dass die Europäische Union nun zumindest Einfluss nehmen kann. Denn brasilianische Erze und Fleisch finden in China und anderswo weniger kritische Abnehmer. EU-Standards für Lebensmittel sind im Abkommen klar vorgegeben, das „Vorsorgeprinzip“ gilt. Die EU kann die Einfuhr potentiell gefährlicher Produkte verbieten.

Ist die Kritik der Bauern berechtigt?

Allenfalls teilweise. Der europäische Markt für Rindfleisch, Geflügel, Zucker und auch Ethanol wird nicht vollständig geöffnet. Für Rindfleisch ist die Einfuhr auf 99.000 Tonnen im Jahr begrenzt. Das ist 1,2 Prozent des Verbrauchs in der EU. Zudem werden auch die europäischen Landwirte profitieren, weil sie mehr Käse oder Wein ausführen können. Tatsächlich haben bei verarbeiteten Agrarprodukten eher die Südamerikaner Anlass zur Sorge. Das Problem für die europäischen Landwirte ist dabei jedoch, dass von den Gewinnen, die mit verarbeiteten Produkten erzielt werden, nur ein Bruchteil bei ihnen ankommt. Weiter werden in Südamerika mit dem Deal rund 350 Herkunftsbezeichnungen für europäische Erzeugnisse wie Parmaschinken, Champagner oder Münchner Bier geschützt. Die Kommission hat unabhängig davon bereits 2019 einen mit 1 Milliarden Euro ausgestatteten Hilfsfonds für die Landwirte in Aussicht gestellt.

Ist das Mercosur-Abkommen damit beschlossen?

Nein. Die Unterschriften vom Freitag besiegeln nur das politische Ende der Verhandlungen. Es muss in der EU noch vom Europaparlament und dem Ministerrat angenommen werden. Die Kommission wird über den Handelsteil wohl separat abstimmen lassen. Für dessen Annahme ist im Ministerrat eine qualifizierte Mehrheit nötig, es müssen 15 Staaten zustimmen, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Eine Ratifizierung durch die Parlamente der EU-Staaten ist nicht nötig. Bis es so weit ist, werden aber noch einige Monate, eher ein halbes Jahr vergehen. Zunächst müssen die Texte juristisch umfassend geprüft und übersetzt werden.

Was können die Gegner noch tun, um den Deal zu verhindern?

Das Europaparlament muss mit einfacher Mehrheit zustimmen. Das ist angesichts der Schwäche des politischen Zentrums kein Selbstläufer. Die Grünen dürften ebenso dagegen sein wie Landwirten nahestehe Vertreter. Im Ministerrat müsste der Hauptgegner, der französische Präsident Emmanuel Macron, eine „blocking minority“ organisieren. Dazu müssen mindestens vier Mitgliedstaaten, die 35 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, dagegen sein. Bisher steht diese Blockademinderheit nicht. Wenn sich aber neben Frankreich, Polen, den Niederlanden und Österreich auch noch Italien gegen den Vertrag stellt, ist er gescheitert. Das Land gilt als Wackelkandidat. Auf der anderen Seite hofft die Kommission, dass sich Polen nach der Präsidentschaftswahl dort im Mai 2025 flexibler zeigt.

Wird Deutschland dieses Mal der Einigung zustimmen?

Das hängt vom Ausgang der Bundestagswahl im Februar ab, ist aber sehr wahrscheinlich. SPD und Grüne haben vehement für den Abschluss geworben – zuletzt in dieser Woche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Die FDP ist ohnehin dafür. Die CDU auch. Selbst die ehemalige Agrarministerin Julia Klöckner hat sich für Mercosur ausgesprochen.

Was hat das alles mit China und den USA zu tun?

Für die Kommission ist das Abkommen ein Bekenntnis zum regelbasierten Handel und damit eine Botschaft an Donald Trump, der am 20. Januar wieder das Amt des US-Präsidenten übernimmt. Er hat eine auf Abschottung der Märkte und die Verhängung von Zöllen ausgerichtete Politik angekündigt. Tatsächlich galt auch die Einigung 2019 als Botschaft an Trump in dessen erster Amtszeit. Die Kommission will zudem nicht länger China das Feld in Südamerika überlassen. Peking hat seinen wirtschaftlichen und politischen Einfluss dort in den vergangenen 25 Jahren systematisch ausgebaut. Ein Handelsabkommen mit Uruguay ist faktisch unterschriftsreif. Aufmerksamkeit hat zuletzt die Eröffnung eines unter chinesischer Leitung stehen „Mega-Hafens“ in Peru erregt.