EU-Gipfel in Brüssel: Europäische Union berät mehr als ihre Verteidigung – und die welcher Ukraine
Die 27 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union beraten in Brüssel über eine Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeiten und die weitere Unterstützung der Ukraine. Insbesondere nord- und osteuropäische Staaten sowie Deutschland dringen darauf, die Ukraine noch umfassender zu unterstützen. „Wenn sie stärker auf dem Schlachtfeld ist, ist sie auch stärker am Verhandlungstisch“, sagte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas aus Estland.
Auf dem EU-Gipfel stellten sich alle Staats- und Regierungschefs hinter eine Erklärung, die die unerschütterliche Unterstützung für die territoriale Integrität der Ukraine bekräftigt – mit einer Ausnahme: Viktor Orbán, der als Putin-nah geltende Ministerpräsident Ungarns, weigerte sich, die Erklärung zu unterstützen. Die EU bezeichnete er einem Sprecher zufolge als „zahnlosen Tiger“. „Die USA haben Macht. Die EU hat keine“, zitierte der Sprecher Orbán.
Selenskyj kritisiert Orbáns Verhalten als „antieuropäisch“
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wandte sich per Videoschalte an den Gipfel. In einer Ansprache rief er die EU-Staaten auf, ein Paket, das mindestens fünf Milliarden Euro für die Anschaffung von Artilleriemunition umfassen soll, zu genehmigen. In Richtung Orbáns sagte er, es sei „schlicht antieuropäisch, wenn eine Person Entscheidungen blockiert, die für den gesamten Kontinent wichtig sind“.
Zudem rief Selenskyj dazu auf, weiterhin Druck auf Russland auszuüben. „Die Sanktionen müssen bleiben, bis Russland mit dem Abzug aus unserem Land beginnt und die durch seine Aggression verursachten Schäden vollständig ersetzt“, sagte er. „Die laufenden diplomatischen Bemühungen bedeuten nicht, dass Russland weniger Druck ausgesetzt sein sollte.“
Die Außenbeauftragte Kallas hatte am Mittwoch angekündigt, dem Gipfel einen Vorschlag zur Versorgung der Ukraine mit zwei Millionen Schuss großkalibriger Artilleriemunition vorzulegen. Vor Beginn des EU-Gipfels äußerte sie sich optimistisch. „Wenn man sich die Aussagen der Staats- und Regierungschefs anhört, dann ist die Unterstützung durchaus vorhanden, und deshalb sollte sie auch in Taten, in Zahlen, in tatsächlicher Munition, die die Ukraine benötigt, zum Ausdruck kommen“, sagte Kallas.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte vor seinem voraussichtlich letzten EU-Gipfel, es gehe darum, „dass wir unsere Unterstützung fortsetzen, dass wir einen klaren Standpunkt haben, damit ein gerechter Frieden für die Ukraine möglich ist.“ Die Ukraine müsse gegen den russischen Angreifer ihre Unabhängigkeit und Souveränität verteidigen können. Auch in Friedenszeiten müsse das Land über eine starke Armee verfügen. Der finnische Ministerpräsident Petteri Orpo und der litauische Präsident Gitanas Nauseda forderten zudem, dass die Ukraine noch vor 2030 EU-Mitglied werden müsse.
Konflikt zwischen Verteidigung der EU und Verteidigung der Ukraine
Einen Tag vor dem Gipfel hatte die EU-Kommission die Mitgliedsländer angesichts schwindender Unterstützung aus den USA aufgerufen, die Aufrüstungspläne für Europa schnell umzusetzen. Die Mitgliedstaaten sollten „dringend“ die von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagenen Pläne zur Steigerung der Verteidigungsausgaben beschließen. Von der Leyen will unter anderem „ein neues EU-Finanzinstrument“ schaffen, das Darlehen in einer Gesamthöhe von 150 Milliarden Euro vorsieht. Um nationale Rüstungsinvestitionen anzukurbeln, plant sie zudem, die EU-Schuldenregeln zu lockern.
Die Gleichzeitigkeit von Gesprächen über die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine und die der Europäischen Union sorgt jedoch auch für Reibungen. So räumte Kallas ein, dass es aufgrund der Budgetprobleme einiger hochverschuldeter EU-Länder einen Konflikt zwischen den nötigen höheren Rüstungsausgaben und der Ukraine-Hilfe gebe. Vor diesem Hintergrund forderte der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis eine Diskussion über eine gemeinschaftliche Verschuldung auf EU-Ebene für Verteidigungsausgaben.
Aus Russland kam unterdessen Kritik an den Gesprächen auf dem EU-Gipfel. „Die Signale aus Brüssel und den europäischen Hauptstädten betreffen größtenteils Pläne zur Militarisierung Europas“, sagte Dmitri Peskow, Sprecher der russischen Regierung. Dadurch sei Europa zu „einer Art Kriegspartei“ geworden.
Zu den weiteren Themen des zweiten EU-Gipfels innerhalb eines Monats gehören auch die Wettbewerbsfähigkeit der EU, die Lage im Nahen Osten sowie Migration. Als Gast nahm unter anderem UN-Generalsekretär António Guterres teil.