EU blamiert sich 2000 mit Strafmaßnahmen gegen Regierung Schüssel in Ostmark

Als die konservative Volkspartei ÖVP mit der rechtsnationalistischen FPÖ koaliert, wollen 14 EU-Staaten ein Exempel statuieren. Strafmaßnahmen gegen Österreich sind die Folge. Wie sich zeigt, haben sich die Urheber über- und verschätzt


Attacken aus dem Ausland war er schon von früher gewöhnt: Jörg Haider bei einem Auftritt in Bonn, 1994

Foto: Ullstein


Im Oktober 1999 waren die Wahlen geschlagen. Trotz Verlusten blieben die österreichischen Sozialdemokraten von der SPÖ unangefochten Erster, der Koalitionspartner, die konservative Volkspartei ÖVP, wurde hingegen lediglich Dritter, knapp geschlagen von der durch Jörg Haider geführten FPÖ. Vorerst verlief alles in obligaten Bahnen. Zumindest schien es so. Die Regierungsbildung zwischen SPÖ unter Kanzler Viktor Klima und seinem Vizekanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) befand sich schon in der Phase der Finalisierung, bevor sie an einem untergeordneten Punkt platzte und der bei den Wahlen nur drittplatzierte Schüssel plötzlich mit Haider und den Freiheitlichen gemeinsame Sache machte.

Diese Regierungsbildung war aber nicht von langer Hand vorbereitet. Primär war sie den Ambitionen des ÖVP-Vorsitzenden geschuldet. Es war so etwas wie seine letzte Chance, politisch im Geschäft zu bleiben. Schüssels Karriere neigte sich im Herbst 1999 bereits dem Ende zu, immerhin hatte er für die ÖVP das bisher schlechteste Wahlergebnis in der Zweiten Republik abgeliefert. Doch der Coup sollte ihn retten. Die freiheitliche Karte sicherte sein Überleben. Wolfgang Schüssel war ein gewiefter Taktiker, ein „Blitzgneißer“. Da hatte sich etwas angeboten, was er nicht ausschlagen wollte. Kurzerhand wurde energisch zugegriffen. Ohne Schüssels Entschlossenheit und seinen Mut zum Übermut hätten sich in der Volkspartei zweifellos die Großkoalitionäre der alten Schule durchgesetzt. Die Schüssel’sche Logik ging so: Der Erste ist der Verlierer, der Zweite ist der Gewinner, aber der Dritte ist der Sieger. Und der Dritte, das bin ich.

Mit dieser bemerkenswerten Unverfrorenheit – noch dazu gegen jedes Wahlversprechen – hatten vor allem die regierenden Sozialdemokraten nicht gerechnet. Zur Strafe wurden sie sechs Jahre in die Opposition geschickt, und ihr Parteiobmann Viktor Klima verschwand ins argentinische Exil. Wolfgang Schüssel aber hievte sich 2000 nicht nur ins Kanzleramt, er nutzte Haiders psychische Schwächen auch beinhart aus, indem er 2002 an dessen Tiefpunkt wählen ließ und seinen einzigen, wenn auch beachtlichen Wahlsieg feiern konnte. Selbst 2007 war es ihm – nach verlorener Wahl gegen Alfred Gusenbauer (SPÖ) – noch vergönnt, trotz Niederlage die Koalitionsverhandlungen fulminant zu gewinnen und quasi im Abgang eine Ressortverteilung ganz nach seinen Vorstellungen zu basteln. Diese Jahre werden wohl einmal als „Schüsseliade“ in die Geschichtsbücher eingehen.

Die Vereidigung des neuen Kabinetts ÖVP/FPÖ erfolgte im Januar 2000. Bundespräsident Thomas Klestil gab der Regierung eine Präambel mit auf den Weg und agierte bei der Zeremonie in der Hofburg mit eisiger Miene. Der Regierungseintritt der FPÖ sorgte für ziemliche Aufregung. Im Ausland mehr als im Inland. So sprach sich das Europaparlament Anfang Februar mit deutlicher Mehrheit gegen eine Regierungsbeteiligung der FPÖ aus. Dazu beschlossen vierzehn EU-Regierungen, die bilateralen Beziehungen zur Bundesregierung in Wien auf ein Mindestmaß zu beschränken. Das Elend des Kanzlers und seiner Minister lag darin, auf zwischenstaatlicher Ebene weder eingeladen noch besucht zu werden. Ab und zu wurde ein Handschlag verweigert oder zwischendurch der Raum verlassen. Ansonsten nahm allerdings alles seinen gewohnten Gang. Auf Kontakte innerhalb der Europäischen Union hatte das keine Auswirkungen.

Die Maßnahmen erinnerten mehr an eine partielle Quarantäne denn an Sanktionen, an kleinere Schikanen und größere Unfreundlichkeiten. Der Begriff der Sanktion war zweifelsfrei maßlos übertrieben, aber innenpolitisch zweckmäßig, um Österreich als Opfer darzustellen. „Österreich soll dem Ausland wie ein Mann gegenüberstehen“, so Jörg Haider. Die Sanktionen sind „bedingungslos aufzuheben“, forderte die als „Haiders Kobra“ bekannte freiheitliche Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer (pikanterweise die spätere Ehefrau des aktuell ausscheidenden österreichischen EU-Kommissars Johannes Hahn von der ÖVP). Zuerst versuchte Österreichs Diplomatie die Lage zu beruhigen. Der Kanzler selbst begab sich in Europa auf eine Promotion-Tour. Er garantierte vor laufender Kamera, dass Jörg Haider jetzt all das befürworte, wofür die ÖVP schon immer gewesen sei. Sogar für die EU und gegen Ausländerfeindlichkeit habe er sich ausgesprochen: „Das haben wir auch gleich schriftlich festgehalten.“ Das fruchtete indes wenig.

Im Frühjahr 2000 verschärften die Wiener Koalitionäre die Gangart gegenüber der Brüsseler EU-Zentrale. Sie bedienten sich der Erpressung und des Ultimatums: Sollten die EU-14 die Sanktionen nicht baldigst aufheben, werde man eine Volksbefragung anzetteln und durch diesen Akt patriotischer Aufstachelung das Ende jener Strafmaßnahmen herbeiführen. Punkt eins des vorliegenden Referendumstextes lautete: „Soll die Regierung im Zuge der bevorstehenden Reform des EU-Vertrages mit allen geeigneten Mitteln sicherstellen, dass die von den anderen Mitgliedsstaaten der EU gegen Österreich ungerechtfertigt verhängten Sanktionen sofort aufgehoben werden?“ Spätestens mit der angedrohten Volksbefragung, bei der die Österreicher ihre entschiedene Missbilligung der Sanktionen durch die willfährige Beantwortung von Aha-Fragen ausdrücken sollten, war die Wiener Regierung in der Offensive. Jenes Plebiszit war in besonderer Weise ein Anliegen von Wolfgang Schüssel, der sich in dieser Frage auch gegen nicht wenige Parteigranden wie EU-Kommissar Franz Fischler und diverse Landeshauptleute durchsetzte. Was anfänglich nach einem glatten 14 : 1 zugunsten der EU ausgesehen hatte, endete in einem für Brüssel blamablen 0 : 1. FPÖ-Klubchef Peter Westenthaler sprach von einem „Golden Goal“, das man der EU durch die Volksbefragung schießen werde.

Wie sollten die EU-Staaten reagieren? Mit der Installation eines „Weisenrates“, der Österreichs Regierungstätigkeit überprüft und das Wesen der FPÖ beurteilt, glaubte man einen Ausweg gefunden zu haben. Der Ausstieg aus den Sanktionen war programmiert, und zwar so: Die Weisen werden – legen sie die Standards der anderen EU-Länder als Beurteilungskriterien zugrunde – nichts anderes tun können, als Österreich weißzuwaschen. Sie werden feststellen, dass – so potent der Rassismus auch ist – weder die Fremdenfeindlichkeit hier größer ist als anderswo, noch, dass die Regierung Maßnahmen gesetzt hat, die außerhalb der europäischen Werte liegen. Genau so ist es gekommen. Haider wurde bestätigt, was er stets betonte, dass er sich in seiner Ausländerpolitik nicht von der eines Tony Blair oder Otto Schily unterscheide. Tatsächlich, die Differenz bestand in der rabiaten Begleitpropaganda, sie war nie substanziell.

Peinliche Schmach

Die Bestellung des Weisenrats unter Leitung des ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari zur Prüfung der Situation in Österreich demonstrierte, dass die maßgeblichen EU-Politiker mit ihrer Weisheit schlicht am Ende waren. Nicht anders kann die Delegierung einer politischen Frage an ein Expertengremium gedeutet werden. Mit den Weisen wollte man sich offensichtlich aus der Verantwortung stehlen. Die EU-14 waren in ein klassisches Dilemma geraten; sie hatten sich in eine Sackgasse manövriert – sowohl die Aufhebung als auch die Aufrechterhaltung der Sanktionen erschienen kontraproduktiv. Letztlich gab wohl den Ausschlag, dass man ein Nachgeben gegenüber Österreich für klüger hielt, als sich weiteren Konflikten auszusetzen. So kam, was kommen musste: Der ÖVP wurde ein Unbedenklichkeitszertifikat ausgestellt, und der FPÖ zumindest eine Regierungstauglichkeitsbescheinigung. So mussten die EU-Regierungschefs legitimieren, was sie doch nie legitimieren wollten, und was sie ohne Sanktionen nie hätten legitimieren müssen. Schwarz-Blau erhielt im September 2000 den europäischen Sanctus.

Die Attacke der EU-14 auf die FPÖ war gescheitert. „Es kann festgestellt werden, dass die Einwanderungspolitik der österreichischen Regierung zeigt, dass sie für die gemeinsamen Werte eintritt“, hieß es im Report des Weisenrates. Das Schlimme war, dass genau das stimmt. Der wahre Schrecken bestand ja nicht darin, dass Österreich anders als Europa war, sondern Europa wie Österreich. Eine peinliche Schmach, gelinde gesagt war es eine unabsichtliche Selbstentlarvung, als man nicht nachweisen konnte, dass diese Wiener Koalition grundsätzlich anders tickte als die Europäische Union selbst. Eigentlich hätte man es wissen können.