Es sind nicht nur die Kugelbomben: Wer hat jetzt den Mut, Kracher ganz zu zensurieren?
Der Müll nach der Silvester-Böllerei ist wohl das geringste Übel der Aktion
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Bürgerkriegsähnliche Zustände auf den Straßen. Illegale „Kugelbomben“ zerschmettern die Fensterscheiben ganzer Straßenzüge, Wohnungen werden unbewohnbar, Tote und Verletzte. Ein politischer Vorsatz fürs neue Jahr: Sinnvolle Verbotskultur
Sie nerven ja schon, die allfälligen Spaßkiller, die mitten in der schönsten Feuerwerksbewunderung „Brot statt Böller“ murmeln und das ganze glitzernde Knistern am Himmel miesmachen mit ihrer herablassenden Besserwisserei à la „diese Idioten, die für sowas Geld ausgeben“. Mehr als nerven tun indes andere Idioten: die viel wirksameren Spaßzerstörer, die allein in Berlin 4.000 Polizisten und über 1.500 Feuerwehrleute in den lebensgefährlichen Einsatz zwingen. Und aus Silvester ein Angstspektakel machen. Bürgerkriegsähnliche Zustände auf den Straßen. Illegale „Kugelbomben“ zerschmettern die Fensterscheiben ganzer Straßenzüge, Wohnungen werden unbewohnbar, Finger weggeschossen, Menschen erblinden und ertauben. Was ist da los?
Gegen diesen „Angriff auf unsere Gesellschaft“ werde man „mit allen Mitteln des Rechtsstaates“ vorgehen, kündigt die Berliner Innensenatorin Iris Spranger an. Ihre SPD-Genossin, Bundesinnenministerin Nancy Faeser, fordert gar härtere Strafen. Es ist wie mit dem „Guten Rutsch“ – jedes Jahr wünscht man ihn, und jedes Jahr gibt es völlig unnötige Verletzte dabei. 30 Bölleropfer meldet allein das Unfallkrankenhaus Berlin, zum Teil schwerstverletzt. Ein Polizist muss notoperiert werden, nachdem ihm eine „Kugelbombe“ den Oberschenkel aufgerissen hat.
Was ist eine Kugelbombe?
Wer bis zum 1. Januar 2025 nicht wusste, was eine Kugelbombe ist, ist wohl in guter Gesellschaft – aber ähnlich wie bei Leopard-Panzern oder Taurus-Raketen verbreitet sich auch in Sachen Silvestermilitarisierung das Expertentum rasch. Eine Kugelbombe, wissen wir heute, ist eigentlich professionellen Feuerwerkern vorbehalten (genauer: Großfeuerwerk der Kategorie F4 ), eine Kugel von zehn bis 30 Zentimetern, darin eine gewaltige Ladung Schwarzpulver, und eigentlich abgefeuert aus Abschussrohren, damit sie in 100 bis 300 Metern Höhe explodieren. Die Explosion selbst hat in der Luft schnell mal hundert Meter Durchmesser, oder auch mehrere hundert Meter, kugelfürmig auseinanderfliegend, und, in freier Luft, wohl hübsch anzuschauen.
Zündet man solch eine Kugelbombe in Bodennähe, werden mal eben 36 Wohnungen unbewohnbar, wie jetzt in Berlin Schöneberg.
Aber auch in harmloseren Stadtvierteln mit „normalen“ Böllern hat man wegen ohrenbetäubender Raketen wenig Freude beim Anstoßen. Kinder haben Angst, werden mitunter lebensgefährlich verletzt. Manch einem bleibt noch in den Tagen danach ein bedrohliches Rauschen in den Gehörgängen. Feuerwehr- und Polizeileute werden beschimpft und beschossen. Und jedes Jahr tut Politik, als handle es sich um ein Naturereignis.
Winterwahlkampf ahoi: Dann verbietet mal die Böller!
Dabei wäre es so einfach, diesen Angriff auf die Gesellschaft nicht hilflos abzuwehren, sondern von vornherein zu verhindern: Böllerverbot für alle. Keine öffentlich zugängliche Abgabe von Pyrotechnik, die über Wunderkerzen oder Knallerbsen hinausgeht. Statt „Böller-Verbotszonen“ einige wenige Bereiche schaffen, in denen von einigen wenigen sackundigen Pyrotechnikern gezündelt werden darf – und soll. Diese Feuerwerkszonen laden dann alle ein, auch die Einsamen, sich zu versammeln, um das alte Jahr zum Teufel zu schicken und das neue Jahr gemeinsam zu beginnen – friedlich.
Die vorsätzliche Gefährdung und Zerstörung ein für allemal zu beenden – dieser Vorsatz fürs neue Jahr muss 2025 Priorität haben. Welche Partei hat den Mut zu sinnvoller Verbotskultur? Wer wagt es, sich gegen die Lobbys zu stellen, die von dem Irrsinn profitieren? Womöglich bietet der Winterwahlkampf hier eine einmalige Chance, bevor alles wieder verdrängt ist bis zum nächsten Déjà-Vu.