„Es gibt zwei Personen, die in ihrer Politik solange bis heute keine Fehler sehen: Schröder und Merkel“
In „Das Versagen“ spüren die Journalisten Katja Gloger und Georg Mascolo den Fehlern der deutschen Russlandpolitik nach. Wie sie Wladimir Putin erlebt haben, erzählen sie im Podcast „Heimspiel“. Über neue Bedrohungen aus den Gewässern klärt ein Investigativreporter bei „Ronzheimer“ auf.
Wolfgang Schäuble hat es auf einen prägnanten Satz heruntergebrochen. Als er vor drei Jahren im Interview mit dem „Handelsblatt“ über die hiesige Russlandpolitik gesprochen hat, sagte der CDU-Veteran: „Wir wollten es nicht sehen.“ Dieser Satz prangt nun mahnend auf dem Sachbuch „Das Versagen – Eine investigative Geschichte der deutschen Russlandpolitik“, in dem die langjährige Moskau-Korrespondentin des „Stern“, Katja Gloger, und der frühere „Spiegel“-Chefredakteur Georg Mascolo die deutsch-russischen Beziehungen kritisch aufarbeiten.
Wo hat die deutsche Politik im Umgang mit Wladimir Putin „zu aktiv“ weggesehen? Und wo lauern neue Eskalationsgefahren? Ein Überblick.
„Heimspiel“: „Wir haben das Ende der Eskalation noch nicht gesehen“
Nach dem 24. Februar 2022 hätten sich die politisch Handelnden erschrocken. „Viele haben sich mit großem Entsetzen die Frage gestellt, was haben wir falsch gemacht?“, erinnerte sich Katja Gloger im „Heimspiel“ des Podcasts „Apokalypse & Filterkaffee“. „Und tragen wir vielleicht so etwas wie eine Mitverantwortung?“ Ihr Ehemann und Recherchepartner Georg Mascolo lobte die selbstkritische Auskunftsbereitschaft zahlreicher Akteure. „Es war erstaunlich, wie viel Entgegenkommen es gab.“ Das Auswärtige Amt habe Akten „in Rekordgeschwindigkeit“ aus gesetzlichen Sperrfristen befreit und auch die Justiz habe ihnen Einsicht in Ermittlungsakten gegeben. „Es sind zwei Personen in Deutschland übrig, die in ihrer Russlandpolitik bis heute keinerlei Fehler erkennen können: Gerhard Schröder und Angela Merkel.“
Mit Putin selbst hatten beide Journalisten bereits in der Vergangenheit Erfahrungen gesammelt. Gloger beschrieb ihn als „sehr höflich, sehr charmant in seinem schönen, manchmal fast altertümlich anmutenden, ganz sanften Deutsch“. Ein Mann, „dem man gerne Glauben schenken möchte“. Dahinter verberge sich allerdings ein Machtanspruch, den dieser mit allen Mitteln auszuüben bereit sei. Mascolo hatte den russischen Präsidenten bei der Verleihung des St. Georgs Ordens des Semper Opernballs 2009 erlebt. Damals in Dresden „lümmelte“ sich Putin hin und klagte über die voreingenommene Berichterstattung, die die deutsch-russischen Beziehungen belaste.
Eine „Verwandlung“ Putins in den Corona-Jahren, wie es Podcast-Host Wolfgang Heim in Anlehnung an Merkels Theorie nannte, bezweifelten die Journalisten. „War er eigentlich jemand, der je ein Interesse daran gehabt hat, sein Land in Richtung Demokratie und Gewaltenteilung zu verändern? Dafür gibt es überhaupt gar keinen Hinweis“, erläuterte Mascolo. Vielmehr habe der russische Präsident mit demokratischen Elementen nie etwas anfangen können. Korruption oder die Ermordung Andersdenkender habe seit Beginn seiner Amtszeit zum „normalen Prozedere“ gehört. Olaf Scholz habe ihnen mitgeteilt, dass Putin seinem Bauchgefühl zufolge, zwei Jahre vor dem Ausbruch die Entscheidung getroffen hatte, den Krieg in der Ukraine zu führen. Die Pandemie hätte demnach keinen Einfluss ausgeübt.
Einträchtiger schien die Lage noch 2001 gewesen zu sein, als Putin seine Bundestagsrede auf Deutsch hielt. In Wahrheit habe er sich schon damals doppelgesichtig gezeigt. So habe eine Auflage für seinen Auftritt darin bestanden, im Anschluss an einer mindestens 45-minütigen Diskussion mit den Mitgliedern des Auswärtigen Ausschuss des Bundestags teilzunehmen. Im Zuge dessen habe er sich – ganz anders als zuvor in seiner öffentlichen Rede – über die Nato und Tschetschenien geäußert. „Man sieht, dass dieser Putin in der Lage ist, an ein und demselben Tag am gleichen Ort zwei unterschiedliche Botschaften zu senden“, unterstrich Mascolo. Ganz offen habe er dann 2007 dem Westen mit einer Wutrede auf der Münchner Sicherheitskonferenz den „Fehdehandschuh“ hingeworfen, wie Gloger feststellte.
Auf Deutschland habe sich die russische Aggression ab 2014 erhöht, als die Föderation die Reaktionen auf die Krim-Annexion als undankbar empfunden habe. „Wir schenken den Deutschen die Wiedervereinigung. Und jetzt wiedervereinen wir uns mit der Krim – und ausgerechnet die Deutschen verhängen Sanktionen“, gab Mascolo die russische Sichtweise wieder. Anschließend erhöhte sich die Bedrohungslage etwa durch Hackerangriffe. Heute stimme er der Lesart zu, dass sich Deutschland und Russland weder im Krieg noch gänzlich im Frieden befänden. Russland teste und verunsichere die deutsche Bevölkerung mit Drohnen und Brandbomben. „Und ich glaube, dass wir das Ende dieser Eskalation noch nicht gesehen haben.“
„Ronzheimer“: „Die Dimension unter Wasser ist extrem wichtig“
Eine bislang weniger beachtete Eskalationsvariante verortete Florian Flade in den Ozean. Der WDR-Investigativjournalist gab bei „Ronzheimer“ Einblicke in die Unterwasserspionage. „Die Dimension unter Wasser ist extrem wichtig“, betonte er. „Wenn man da militärisch agieren kann, dann hat man einen entscheidenden strategischen Vorteil.“ U-Boote und Unterwasserdrohnen ließen sich im Wasser verstecken, da Satelliten und Flugzeuge daran scheitern, sie aufzuspüren. Russland habe in diesen Bereich seit dem Ende des Kalten Krieges stark investiert und in den vergangenen Jahren mit Spionageschiffen die Weltmeere vermessen und hochpräzise Unterwasserkarten angelegt.
Bei seinen Recherchen sei er auf „Mostrello Commercial“ gestoßen, ein zypriotisches Unternehmen, das „ziemlich sicher eine Tarnfirma der Russen“ sei. Über zehn Jahre habe besagte Firma für viele Millionen Euro in ganz Europa, Nordamerika und Japan Technik eingekauft und konspirativ nach Russland weitergeleitet. Im Zentrum hätten dabei Gerätschaften für die Arbeit unter Wasser gestanden wie Schiffe, Glasfaserkabel, hochsensible Sonare sowie Unterwasserroboter und -antennen. Selbst die vergleichsweise seltenen Kabelverlegeschiffe, die für harmlose Arbeiten wie die Verlegung von Internetkabeln genutzt werden könnten, aber eben auch für Spionage und Sabotage, seien so nach Russland gelangt.
Die aktuelle Folge RONZHEIMER gibt es hier zu hören: Putins Geheim-Operation in der Ostsee. Mit Florian Flade
Als eine Art Übungsgelände für das russische Militär solle das Wrack der „Estonia“ dienen, eine Ostseefähre, die 1994 auf dem Weg von Tallinn nach Stockholm gesunken war. 852 Menschen starben damals. Das Schiff liegt in der Wirtschaftszone von Finnland. Gemeinsam mit Schweden und Estland hat der Staat entschieden, den Bereich um das Wrack zum Sperrgebiet zu erklären, wo die Totenruhe und damit ein Tauchverbot gelte. Laut Nato-Erkenntnissen mache sich Russland diesen Umstand zunutze und ignoriere das Verbot. Schon vor Jahren solle deren Militär mit Drohnen am Wrack geübt und Unterwassermikrofone verbaut haben.
Doch welchen Vorteil bietet es etwa, Schiffe unter Wasser abzuhören? „Ein ganz individueller Sound“ gehe von jeder Schiffsschraube aus, erläuterte Flade, quasi ein „akustischer Fingerabdruck“, an dem sich gegnerische Schiffe und vor allem U-Boote erkennen ließen. Von diesen Sounds würden möglichst viele eingesammelt und in ein Detektionssystem eingespeist, eine Art „Unterwasser-Alarmanlage“. Mit diesen Daten ließen sich zudem Waffen wie Seeminen bestücken. „Es gibt Unterwasserdrohnen, die kannst du programmieren auf genau diesen Sound. Die liegen wie ein Rochen im Meer, irgendwo versteckt in einem Canyon, am Meeresgrund“, führte der Journalist aus. „Und die wachen nur auf, wenn sie diesen einen Sound hören – und steuern dann auf dieses Schiff zu.“
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Source: welt.de