Erziehung zur Übergriffigkeit: „Nein“ heißt „Ja“, wenn man den Serien dieser 2000er glaubt

Ob „Dr. House“ oder „Gilmore Girls“: Die Serien der 2000er haben unseren Autor geprägt. Beim erneuten Schauen fällt jedoch auf: Sie vermitteln Männern, dass Grenzverletzungen nicht nur in Ordnung sind, sondern notwendig für wahre Liebe


Leben ein problematisches Flirtverhalten: Die Familie Gilmore aus der Serie „Gilmore Girls“

Foto: IMAGO / Allstar


In letzter Zeit schaue ich vor allem Serien aus den 2000er-Jahren. Dr. House, The Office, Gilmore Girls, so was. Dabei ist mir etwas aufgefallen, das mich über meine eigene Sozialisierung nachdenken ließ. Zwei Beispiele:

In der dritten Staffel von Dr. House haben die beiden Assistenzärzte Cameron und Chase ein kurzes sexuelles Verhältnis. Als Chase mehr will, beendet Cameron die Angelegenheit. In den kommenden Folgen erinnert Chase jedoch Cameron jeden Dienstag daran, dass er sie mag und sich eine Beziehung mit ihr wünscht. Sie lehnt immer wieder ab, die Situation ist ihr sichtlich unangenehm, doch Chase lässt sich nicht beirren. Am Ende der dritten Staffel steht Cameron vor Chases Tür – die beiden kommen zusammen.

In der fünften Staffel von Gilmore Girls wiederum sind die Großeltern, Emily und Richard Gilmore, eine Zeit lang getrennt. Gerade, als sich die beiden wieder annähern, erfährt Richard zufällig, dass Emily sich mit einem anderen Mann getroffen hat. Wenig später nehmen beide an irgendeinem dieser Reiche-Leute-Treffen teil, wo man mit dem Auto vorfährt und ein Mitarbeiter den Wagen parkt. Noch bevor Emily aussteigen kann, rammt ihr Mann sie von hinten. Beide bleiben körperlich unversehrt, doch Richard lässt seine eifersüchtige Wut auch dann noch aus, als ausgerechnet der vermeintliche Nebenbuhler dazukommt. Richard setzt seinen Anspruch als Ehemann mit Vokabeln des Besitzes durch. Dieser Vorfall löst die endgültige Aussöhnung der beiden aus.

Männer lernen Übergriffigkeit: „Nein“ heißt „Ja“ bei genug Druck

Was lernt man, wenn man als Junge am Beginn der Pubertät solche Szenen sieht? Ganz abgesehen davon, dass Dr. House ein Sexist ist, der sich aufgrund seines Ruhms als Genie Dinge herausnimmt, die jedem Normalsterblichen eine Kündigung einbringen würden – auch er kommt übrigens mit ausgerechnet jener Frau zusammen, die er Staffel um Staffel erniedrigt und beleidigend angesprochen hat – er flirtete.

Was man lernt, ist: Grenzverletzungen sind nicht nur in Ordnung, sondern die Voraussetzung von Liebe. Ein „Nein“ heißt nicht „Nein“, sondern mit genügend Druck irgendwann „Ja“. Wer eine Frau will, muss sie nur lange genug bedrängen und seinen Besitzanspruch gegenüber männlichen Konkurrenten mit drohendem oder gewalttätigem Gebaren durchsetzen. Das ist die Sozialisierung junger Männer, tief eingeschrieben in unsere Kultur. Heute gibt es andere Serien, andere Vorbilder, doch ob sich etwas grundlegend geändert hat, wage ich zu bezweifeln.

Es geht mir nicht darum, dass sich Figuren in Filmen und Serien immer korrekt benehmen sollten. Und nicht jeder, der Gilmore Girls gesehen hat, wird sich übergriffig verhalten. Aber im Sinne von Ideologiekritik ist es wichtig, sich klarzumachen, woher gewisse soziale Reflexe kommen. Wenn Frauen beklagen, Männer seien unfähig, sich ihnen respektvoll zu nähern, dann hat das gesellschaftliche Gründe, die es über die berechtige Empörung hinaus zu verstehen gilt.

Wenn Männer beklagen, der Feminismus habe das Flirten kaputt gemacht, dann haben sie insofern recht, als eben dieses Flirten, das uns die Kulturindustrie als Normalität verkauft hat, tatsächlich Gegenstand von Kritik ist – nur eben zu Recht. Zum ganzen Bild gehört indes auch, dass all diese Geschichten eine verhängnisvolle Objektwahl bei den weiblichen Figuren erzählen. Auch dieses gesellschaftliche Skript zeitigt seine Wirkung bis heute. Sich von derlei Prägungen zu befreien ist ein langer, schmerzhafter und womöglich nie abgeschlossener Prozess. Aber er lohnt sich.

Super Safe Space

Leander F. Badura ist Redakteur im Kultur-Ressort des Freitag. Er schreibt alle vier Wochen hier eine Super-Safe-Space-Kolumne