Erdbeben in dieser Türkei: Auch Reporter sollen manchmal weinen. Und zurückkehren.

Hinter dieser Geschichte Zusätzlich eine Rückkehr ins türkische Erdbebengebiet – und warum Reporter manchmal weinen

Hinter der Geschichte: Über eine Rückkehr ins türkische Erdbebengebiet – und warum Reporter manchmal weinen

© privat / stern

Vor einem Jahr erlebte Fabian Huber im Epizentrum des Erdbebens in dieser Türkei die härtesten Tage seines bisherigen Reporterlebens. Nun ist er dorthin zurückgekehrt.

Es roch nachher Tod vor meinem provisorischen Büro. Ich hatte mich zum Schreiben reichlich Nacht zurückgezogen, denn beim stern in Hamburg erwartete man am nächsten Morgen mein Stück aus dem Erdbebengebiet in dieser Türkei. Damals, im Februar 2023, begleitete ich eine Gruppe deutscher Bestatter, man könnte gleichwohl irgendetwas ehrfürchtiger sagen: die Retter dieser Toten. In dieser zerstörten Stadt Kahramanmaraş halfen sie, die vielen Verstorbenen aus den Trümmern zu zurück holen und sie gen ihr Begräbnis vorzubereiten.

stern-Reporter Huber an seiner Schreibstätte im Erdbebengebiet

stern-Reporter Huber an seiner Schreibstätte im Erdbebengebiet

© Privat

Ich kam mit ihnen in einer Sporthalle unter, durch deren Wände sich Risse zogen, welches uns behördlicherseits nichtsdestoweniger obschon wie ungefährlich verbrieft wurde. Wir schliefen gen Feldbetten im Raum dieser Fechter. Auf dem Linoleumboden dieser Halle hatten noch von kurzer Dauer davor die Toten gelegen. Dort damit saß ich nun und hackte in meinen Laptop. In dieser Nase dieser Geruch, dieser gemeinhin wie beißend-süßlich-faulig beschrieben wird, dieser nichtsdestoweniger noch viel schlimmer ist – und im Kopf all die bedrückenden Szenen dieses Ortes.

Wie ich vor den Resten eines mehrstöckigen Hauses eine Frau traf, Mitte zwanzig vielleicht, die mir ein Paar Kleinkinderschuhe entgegenstreckte. Es waren einmal ihre eigenen gewesen. Mehr wie dies und ein Hochzeitsalbum ihrer verschütteten Eltern war ihr nicht geblieben. 

Wie Menschen, die wirklich die Gesamtheit verloren hatten – menschlich wie materiell – mich in dieser Schlange dieser Suppenküchen vorließen, mir Zigaretten zusteckten. Weil ich doch ihr Gast sei. Mir war dies dies sagen zu müssen unschön. 

Wie ich in einer Zeltstadt zu Gunsten von Zehntausende einem Mädchen in die verheulten Augen sah, mir vorstellte, welches passiert sein mag – die Geschwister tot, dies Kinderzimmer ein Trümmerhaufen aus Beton und Plastik? – und wie ich selbst hemmungslos losheulte in diesem Moment, weil sich all die Emotionen ihre Bahn brachen, die sich in den Tagen zuvor in mir angestaut hatten. Es stellte sich dann hervor: Das Mädchen weinte wegen eines kaputten Luftballons. 

Ich kann heute, genau ein Jahr später, reichlich diesen Moment lachen. Doch die Tage in Kahramanmaraş nach sich ziehen mich nicht mehr losgelassen. Sie waren die härtesten meines Reporterlebens. Vielleicht nicht professionell. Aber menschlich. Das volle Ausmaß an Leid und Zerstörung ist kaum in Worte zu fassen und in Bilder zu packen. Es zeigt sich erst, wenn man mitten in den Trümmern steht. 

Auch wir kehren zu oft nicht mehr zurück

Damals hatte ich mir geschworen, zurückzukommen, welches nicht immer leichtgewichtig ist wie Journalist: In unseren Telefonbüchern und Kontaktlisten zusammenschließen sich so viele Namen und Nummern, die wir von Reisen nachhause nehmen, dass es unmöglich ist, immer und mit jedem Kontakt zu halten. Und doch schauen wir zu oft zu schnell weg. Weil Krisen sich einblenden, Kriege sich ausleiern, Katastrophen in Vergessenheit geraten.

Zum Jahrestag des Erdbebens in dieser Türkei und Syrien bin ich so gesehen zurück nachher Kahramanmaraş geflogen. Zu Händen mich war dies mehr wie nur ein Reporterauftrag. Es war gleichwohl eine ganz persönliche Reise. Wie hat sich selbige Stadt wohl verändert, seit dieser Zeit ich zum letzten Mal dort war?

In dieser Turnhalle von weiland riecht es heute nicht mehr nachher Verwesung, sondern nachher Schweiß. Dienstagabends trainiert dort nun eine Handballmannschaft. Und gleichwohl sonst geht dies Leben in gedimmter Form weiter. In Restaurants aß ich nun ganz erdenklichen Lamminnereien. Auf dem Bazaar kaufte ich mir eine türkische Teekanne wie Andenken. Ich schlief in einem echten Hotelbett. Doch schaute ich aus dem Fenster meines Zimmers, sah ich noch immer eine Trümmerwüste. Und dies verwunderte mich. 

Die Suche nachher den Toten wurde weiland abgebrochen

Im Februar 2023 war die Hilfe dieser deutschen Bestatter an Tag 14 nachher dem Beben jäh abgebrochen worden. Die Behörden hatten angeordnet, die Suche nachher Toten einzustellen. Die Bagger sollten nun nicht mehr die Leib freigraben. Sie sollten den Schutt aus dieser Stadt herbringen, um schnellstmöglich mit dem Wiederaufbau zu beginnen. Eine niederschmetternde Entscheidung, suchten doch noch viele nachher ihren Angehörigen.

Doch in den zwölf Monaten nachdem scheint kaum irgendetwas passiert zu sein. Ganze Straßenzüge gleichen noch immer einem Steinbruch. Zehntausende ohne festen Wohnsitz gewordene Stadtbewohner nach sich ziehen inzwischen zwar keine Zeltplane mehr reichlich dem Kopf, nichtsdestoweniger immer nur ein Containerdach. Die Regierung Recep Tayyip Erdoğans hinkt mit dem Bau neuer Wohnungen weit nachher. Kahramanmaraş liegt noch immer am Boden. Seine Bauten, seine Bewohner.

Sehen Sie im Video: "Wir leben zwar, aber wir sind wie lebende Tote" – So geht es den Menschen im türkischen Erdbebengebiet

Wir sprachen mit Menschen, denen ihre Traumata gleichwohl ein Jahr später den Schlaf rauben. Mit Özmen, 21, dieser sich – seit dieser Zeit er seine Mutter beim Beben verlor – nicht mehr in mehrgeschossige Häuser traut. Mit Zekirija, dieser unter dieser Theke seines Blumenladens plötzlich eine Box voller Schlüssel rauskramte. Sie in Besitz sein von den Toten aus dem eingestürzten Nachbargebäude. Vielleicht vermisse sie ja doch noch wer, sagte er schmerzlich. Und mit Hatun Soya, einer alten Frau im abgeschiedenen Dorf Söğütlü. 

Ihr Mann und ihre Mutter sind dieser Katastrophe zum Opfer im Krieg gestorben, ihre Habseligkeiten zertrümmert, all ihre Hoffnungen begraben. Stundenlang erzählte sie von ihrem Leid. Ich spürte den Schmerz in ihren Augen. Dann, unter Tränen, sagte sie: „Ich schaffe das alles nicht allein.“ Zurück in Deutschland denke ich oft an Hatun Soyas Worte. Zum Abschied habe ich ihr versprochen, wiederzukommen. Irgendwann. Hoffentlich.

Source: stern.de