Energieversorgung in dieser Ukraine: Der nächste Winter wird rigide

Nacht für Nacht nehmen die russischen Streitkräfte die ukrainische
Energieversorgung ins Visier. Mit Kamikazedrohnen, Raketen und
Marschflugkörpern versuchen sie, Kraft- und Umspannwerke zu treffen. In der Nacht
zum Donnerstag trafen die Russen in den Gebieten Mykolajiw und Iwano-Frankiwsk mehrere
Energieanlagen. Sie verursachten dadurch Stromausfälle. Erst zum Beginn der
Woche hatte eine groß angelegte Attacke die Energieinfrastruktur in der Umgebung
der Stadt Poltawa zerstört.

Zu ähnlichen Attacken kommt es in den vergangenen Monaten
sehr regelmäßig. Seit März dieses Jahres greifen die russischen Streitkräfte gezielt
die Energieversorgung in der Ukraine an. Ihr Ziel ist, vor dem Winter möglichst
viele Kraft- und Umspannwerke zu zerstören, um den Menschen in dem angegriffenen
Land eine harte Frostperiode zu bescheren. Die Ukraine gehe geschwächt in
den nächsten Winter, warnt die Internationale Energieagentur (IEA). Sie rechnet
damit, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer vor dem schlimmsten Kriegswinter seit Februar 2022
stehen. 

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat bei seinem aktuellen
Besuch in den Vereinigten Staaten vor Vertretern der Energie-, Finanz- und
Versicherungsindustrie um Investitionen in Kraft- und Stromwerke geworben. „Die
Hauptaufmerksamkeit galt der Vorbereitung des ukrainischen Energiesystems auf
den Winter“, schrieb der Staatschef in sozialen Netzwerken. Auch seine
Regierung geht wegen der Kriegsschäden in diesem Winter von Stromausfällen aus.

Ausfälle treffen vor allem die Privatverbraucher

Seit Kriegsbeginn sind bereits über 80 Prozent der
ukrainischen Kraftwerkskapazitäten von Russland okkupiert, angegriffen oder
zerstört worden, was Stromabschaltungen nötig gemacht hat, stellte das Helmholtz-Zentrum
Berlin in einer Studie aus dem Sommer fest.

Wenn beschädigte Kraftwerke nicht repariert werden, könnten
die Ukrainer im Winter bis zu 90 Prozent des Tages ohne Strom bleiben. Momentan
finden bereits Stromabschaltungen in einzelnen Regionen statt. Das trifft vor
allem die Privatverbraucher, denn Organisationen und Unternehmen, die für die
Verteidigung und Stromversorgung zuständig sind, werden bevorzugt, darunter
befinden sich die Streitkräfte. Doch die Angriffe der Russen gehen weiter – die
Stromproduktion sinkt.

Schon jetzt seien Produktionsanlagen, die vier bis fünf
Gigawatt Strom lieferten, zerstört. Wenn noch mehr der Energieinfrastruktur bei
russischen Attacken zerstört wird, könnte der Strom für bis zu 18 Stunden
am Tag ausfallen, sagt Susanne Nies vom Helmholtz-Zentrum, die dort das
Projekt Green Deal Ukraina leitet. „Das ist eine unmögliche Situation, wenn
man bedenkt, dass auch ohne Strom keine Heizung, keine Wasserversorgung
funktioniert. Hunderttausende Menschen werden gezwungen sein, zu fliehen.“