Ende welcher Bürgergeldreform: Warum die neue Grundsicherung ein Geschenk z. Hd. die AfD ist

Der größte Sozialkahlschlag seit der Agenda 2010 genießt in Deutschland breite Zustimmung. Laut einer Yougov-Umfrage vom Oktober halten mehr als die Hälfte der Befragten die neue Grundsicherung für gerechter als das aktuelle Bürgergeld. Für die Bundesregierung ist das politisch und medial transportierte Framing, die „Fleißigen“ müssten zugunsten Arbeitsloser zurückstecken, offenbar aufgegangen.

Womöglich glauben viele, die derzeit noch Arbeit haben, mit dem neuen Grundsicherungssystem nie in Kontakt zu kommen. Eine Hoffnung, die sich als Trugschluss herausstellen könnte. Vor allem für Industriefacharbeiter ist die Gefahr eines Jobverlusts durchaus real – und mit den Neuregelungen in der Grundsicherung werden viele von ihnen künftig nicht einmal Anspruch auf Grundsicherung haben. Und müssen stattdessen ihr Erspartes ausgeben.

Der Grund dafür sind die Neuregelungen beim sogenannten Schonvermögen. Denn nicht jeder hat Anspruch auf Hartz IV, beziehungsweise Bürgergeld, beziehungsweise Grundsicherung – es zählt die soziale Bedürftigkeit. Und die verneinen die Jobcenter, wenn Betroffene über Vermögen verfügen. Damit verhindert der Staat, dass Yachtbesitzer oder Ferrari-Fahrer soziale Hilfen beziehen, doch das „Schonvermögen“, das nicht auf den Bezug der Grundsicherung angerechnet wird, ist weit geringer, als vielen Beschäftigten klar sein dürfte.

Noch 5.000 Euro darf ein junger Mensch behalten

Bisher galt für Neu-Betroffene von Bürgergeld, dass zumindest in den ersten zwölf Monaten des Leistungsbezugs (Karenzzeit) 40.000 Euro Vermögen für den Leistungsbezieher und 15.000 Euro pro weiterem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft (etwa Partner und Kinder) anrechnungsfrei blieben. Auch das sind bereits relativ niedrige Beträge.

Laut Referentenentwurf des Bundesarbeitsministeriums, den das Bundeskabinett am Mittwoch verabschieden will, fallen die Regelungen künftig wesentlich strenger aus. Für jede Person in der Bedarfsgemeinschaft gilt dann je nach Lebensalter ein Schonvermögen zwischen 5.000 Euro (für unter 31-Jährige) und 20.000 Euro (ab dem 51. Lebensjahr). Wer zum Beispiel mit Mitte Vierzig seinen Job verliert und allein zwei Kinder großzieht, darf maximal 22.500 euro Vermögen angespart haben. Nicht angerechnet werden unter anderem selbst genutztes Wohneigentum, ein „angemessenes“ Kraftfahrzeug und die Altersvorsorge.

Das Medianvermögen in Deutschland beträgt laut dem Kölner Institut der deutschen Wirtschaft mehr als 100.000 Euro, bei den 55- bis 64-Jährigen knapp 241.000 Euro. Jeder ältere Facharbeiter, dem in näherer Zukunft die Kündigung droht, kann ja selbst einmal einen Kassensturz machen und ausrechnen, ob er nach der Neuregelung des Schonvermögens überhaupt Grundsicherung erhalten würde. Die Antwort könnte Teile der Bevölkerung verunsichern.

Volkswagen, Bosch, ThyssenKrupp: Es drohen Massenentlassungen

Und tatsächlich ist das Szenario eines entlassenen Facharbeiters, der innerhalb der Maximalbezugsdauer für das Arbeitslosengeld I (je nach Alter zwischen sechs und 24 Monate) keinen neuen Job findet, leider realistisch. Knapp 100.000 Arbeitsplätze sind in der Industrie allein im vergangenen Jahr weggefallen, darunter knapp 45.000 allein in der Automobilbranche.

Und die großen Konzerne planen weitere Massenentlassungen. Volkswagen will 35.000 Stellen streichen, Bosch 22.000, bei ThyssenKrupp fallen 5000 Stellen weg. Das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit (IAB) rechnet 2025 im produzierenden Gewerbe mit einem Rückgang von knapp 130.000 Beschäftigten und mit weiteren 70.000 im kommenden Jahr – und die Chancen, dass der Arbeitsmarkt diese Menschen zeitnah auffangen kann, sind gering. Ein breiter industrieller Aufschwung ist nicht absehbar.

Interessanterweise geht der Referentenentwurf nur von Einsparmöglichkeiten von zusammen 75 Millionen Euro jährlich durch die Abschaffung der Karenzzeit und die Absenkung des Schonvermögens aus. Zusätzlich heißt es im Entwurf: „Es wird damit gerechnet, dass Personen infolge der Gesetzesänderungen von einer Antragstellung Abstand nehmen. Bei laufendem Leistungsbezug wird davon ausgegangen, dass die Änderung einen Arbeitsanreiz bietet.“

Zynisch interpretiert heißt das: Man hofft, dass die Sorge ums Ersparte Menschen dazu veranlasst, erst gar keinen Grundsicherungsantrag zu stellen – oder schneller einen neuen Job anzunehmen. Doch lukrative Jobs im erlernten Beruf könnten rar werden. Heißt im Zweifel: Fachkräfte landen womöglich in niedrigqualifizierteren Beschäftigungen.

Die Neuregelung des Schonvermögens wird Wasser auf den Mühlen der AfD

Man braucht wenig Fantasie, um zu erahnen, welchen sozialen Sprengstoff eine solche Entwicklung erzeugen würde. Qualifizierte Arbeitnehmer, teils mit Jahrzehnten Berufserfahrung, müssen ihr hart erspartes Vermögen aufbrauchen, um Hilfe vom Staat zu bekommen. Hilfe übrigens, die Zuwanderer, die jetzt schon knapp die Hälfte der Bürgergeld-Empfänger stellen, ohne „Abschmelzen“ bekommen, weil sie meist über kein nennenswertes Vermögen verfügen. Welche Partei würde von einer solchen Entwicklung wohl profitieren?

Die Neuregelung des Schonvermögens wird Wasser auf die Mühlen der AfD sein, die schon jetzt von der Verunsicherung der Mittelschicht profitiert. Die Bundesregierung sollte sich überlegen, ob ein paar läppische Millionen Einsparungen breite soziale Verwerfungen rechtfertigen – oder zugeben, dass die Verunsicherung der Mittelschicht das eigentliche Ziel der Verschärfungen bei der Grundsicherung ist.

Wer Angst hat, innerhalb kurzer Zeit nach einem Jobverlust bis ans untere Ende der Gesellschaft durchgereicht zu werden, überlegt sich vielleicht zweimal, ob er streikt, sich mit dem Chef anlegt oder sich mit schlechten Arbeitsbedingungen zufriedengibt. Am Ende droht nämlich nicht „nur“ die Arbeitslosigkeit, sondern der Verlust von fast allem, was man sich im Leben erarbeitet hat.

Dieser Text zuerst erschienen am 16. Dezemeber 2025