Ende jener Ampelregierung: Wir Zombies nötig haben Sonne im Herzen
Sehr komisch
eigentlich. Ausgerechnet die Regierung, die zum Beginn ihrer Regentschaft „eine Erzählung“ entwickeln wollte, eine mitreißende Erzählung
von gemeinsamen, erstrebenswerten Zielen, von gemeinschaftlichen Projekten,
die, schwer zu realisieren, sich am Ende aber als lohnenswert und gut für alle herausstellen
würden – ausgerechnet diese Regierung hat drei Jahre lang entweder gar nichts
erzählt oder so unterschiedliche Storys, dass sich das Erzählte gegenseitig
aufhob und am Ende nichts übrig blieb. Nur ein verwirrtes, verängstigtes, aufgebrachtes
Land.
Man hat jetzt
wirklich genug davon. Es braucht die guten, mitreißenden und dabei
realistischen Geschichten, die von der Zukunft erzählen. Nicht schon wieder von
den Gründen, warum die Gegenwart so dunkel, die Probleme so groß und praktisch
unlösbar sind. Viele von uns schauen doch mit einer Mischung aus
Entsetzen, Staunen, Angst und einem tief in uns verborgenen Gefühl des Neides herüber
zu dem Triumph des Meisters der Fiktionen auf der anderen Seite des Atlantiks.
Donald Trump, gestählt in Jahrzehnten der Selbstbeschwörung und
Selbstdarstellung, ist es gelungen, sich mittels der suggestiven Erzählkraft,
die die Zukunft als eine goldene Wiederholung der Vergangenheit erstrahlen
lässt, erneut zum Präsidenten wählen zu lassen.
Donald Trump kann die Lüge vor
den Augen der Welt in Wahrheit verwandeln. Er kann einen halb leeren Saal vor
den Augen seiner Zuhörer vor Ort zu einem bis auf den letzten Platz gefüllten
erklären. Und die Menschen, umgeben von leeren Plätzen, glauben ihm. Sich dann
darüber lustig zu machen, hilft überhaupt nichts. Es lässt den tollkühnen
Erzähler nur eindrucksvoller erscheinen. Spätestens in dem Moment, als er, der
König des Imperfekts, Beschwörer des „Great AGAIN„, sich im Wahlkampf mit dem
Ingenieur der Zukunft, Elon Musk, verband, war er im Grunde unschlagbar. Der Gegenkandidatin blieb nur das graue, unerfreuliche, angsteinflößende Meer der Gegenwart.
Wo ist die
Zuversicht geblieben? Was ist möglich? Versuchen wir eine kleine Reise, raus
aus dem Dunkel und hinein in mögliche helle Zukünfte. Es soll eine literarische
Reise sein, auf der Frank Schätzing begeistert von den Machern im Silicon Valley erzählen, T. C. Boyle trauern und Margaret Atwood Popcorn und
Sicherheitsgurt empfehlen wird. Richard Powers wird über den Zauber nachdenken,
der im Wort „wollen“ liegt. Und wäre das nicht eine Aussicht? Wenn wir die
Zukunft doch ein bisschen selbst in der Hand haben?
Es ist so schwer,
eine gute, überzeugende, kraftspendende Gegenerzählung gegen die Fiktionen der
Populisten zu finden und glaubhaft zu erzählen. Es gibt eine beinahe hundert
Jahre alte Geschichte, die dieses Dilemma eindrucksvoll beschreibt: Ein
Hypnotiseur in einem italienischen Badeort hat zu einer Zaubershow eingeladen.
Seine Kunst ist es, den Willen der Menschen zu brechen, sie vor den Augen der
staunenden Zuschauer seinem Willen zu unterwerfen. Er übernimmt die Macht über
die Seelen des Publikums. Die Menschen, die ihren freien Willen unter der
Hypnose verlieren, erliegen, schreibt der Erzähler, „der Negativität ihrer
Kampfposition“. Sie haben keinen Gegenzauber: „Wahrscheinlich kann man vom
Nicht-Wollen seelisch nicht leben“, heißt es in der Erzählung. „Eine Sache
nicht tun wollen, das ist auf die Dauer kein Lebensinhalt.“ So steht es in Mario und der Zauberer, Thomas Mann hat die Grundzüge davon bei einem
Familienurlaub im faschistisch regierten Italien im Jahr 1926 selbst so erlebt
und die Erzählung 1929 geschrieben.
Der Thomas Mann
jener Jahre war, unter dem Druck der politischen Ereignisse, längst ein
politischer Aktivist geworden. Er kannte die demokratiezersetzenden
Gefahren des Populismus und des aufkommenden Faschismus. In der Mario-Erzählung
gibt es nur einen Weg, sich aus dem Bann des Unterwerfers zu befreien. „Zwei
flach schmetternde Detonationen.“ Der Populist wird erschossen. Der Erzähler
nennt diese Lösung „ein befreiendes Ende“. Eine notwendige Befreiung mit
Schusswaffe, wo Wörter nichts mehr sind.
Aber was stellen wir
zivilen Ablehner des Autoritären und der Gewalt dieser enormen negativen Kraft
entgegen? Gibt es wirklich keine Gegenerzählungen oder kraftvollen Ideen einer
gute Zukunft, die den Sog ins Negative abbremsen können? Einen Umkehrschub ins
Helle?
Margaret Atwood
Die Utopien der
Literatur von heute sind fast ausschließlich Szenarien des Untergangs, also: Dystopien
einer noch viel dunkleren Zukunft. Von der die Erfinder jetzt entsetzt
befürchten müssen, dass sie Wirklichkeit werden könnten. Wie Goethes
Zauberlehrling stehen sie fassungslos vor der Flutwelle und fragen sich: Haben wir
das etwa erfunden? Die kanadische Autorin Margaret Atwood etwa, deren
dystopischer Roman Der Report der Magd vor beinahe vierzig Jahren erschien und
seit der Verfilmung als Fernsehserie vor einigen Jahren ungeheuer populär
geworden ist. Im Buch wird von der theokratischen Männer-Diktatur Gilead erzählt, in der Frauen jegliche Rechte entzogen werden – Atwood meldete sich jetzt
auf X mit dem kurzen Kommentar: „Ich hätte lieber falschgelegen.“ Auf
direkte Anfragen von uns, zur Kraft der Fiktionen und möglichen hellen, neuen
Geschichten, antwortete sie erst einmal gar nicht. Aber weil gleichzeitig
Journalisten aus der ganzen Welt bei ihr nachfragten, kündigte sie auf X –
ironisch oder ehrlich – an: „Ich arbeite an den sibyllinischen Prophezeiungen
und hellsichtigen Einsichten, die ihr gefordert habt, oh ihr Anbeter des Hermes
(Medienleute).“ Mit ihrer Antwort sei bald zu rechnen.
Aber schließlich schrieb sie uns dann doch noch direkt per E-Mail: „Die Ereignisse überschlagen
sich, es ist schwer, mitzuhalten!“ Und fügt gut gelaunt hinzu: „Holen
Sie sich Popcorn und legen Sie den Sicherheitsgurt an – es ist eine Show! Und
auch eine holprige Fahrt!“
Sie, die Seherin
dunkelster Zukünfte, empfiehlt uns ängstlichen Beobachtern, in dem Moment, in
dem ihre Fiktionen Wirklichkeit werden könnten, den Kinosessel als idealen Ort.
Für Widerstand wäre vorher Zeit gewesen. Aber Margaret Atwood wird nicht im
Popcorn-Stadium stehen bleiben. Nur Geduld: „Ich weiß noch nicht genug, um etwas
Zusammenhängendes zu schreiben …“
T. C. Boyle
Auch T. C. Boyle,
unser Mann in Kalifornien, dessen Klimadystopie Blue Skies schon beim
Erscheinen ziemlich hart an der Gegenwart erzählt war, ist noch in
Schockstarre. Unsere Anfragen beantwortete er per Mail in dieser Reihenfolge
so:
- „Ich trauere.“
- „Tut mir leid, lieber Freund. Ich trauere
immer noch. (Und werde weiter trauern, solange mein Aufenthalt auf dieser Erde
währt).“ - „Ich habe Selbstmord begangen.“
Und auf die Bitte hin, wenigstens aus dem Himmel eine letzte Reportage
herabzuschicken, fragt er, worum es genau gehen solle darin. Wir lassen
ihm freie Hand, waren ja noch nicht da. Schließlich lässt er die
Pressesprecherin seines deutschen Verlags endgültig absagen. Es gibt
nichts zu schreiben. Die Gegenwart nur abzulehnen ist keine Erzählung.
Vom Nicht-Wollen kann keiner leben, und man kann auch nicht immer wieder
davon erzählen, ohne die letzten Kraftreserven zu verbrauchen.
Richard Powers
Und dann gab es
letzte Woche einen ziemlich traurigen Moment in Berlin. Im historischen
Sendesaal des rbb, in dem schon Thomas Mann einst gelesen hatte, trat Richard Powers auf. Einer der besten, hierzulande noch viel zu wenig anerkannten und
bekannten amerikanischen Autoren der Gegenwart, der mit Das große Spiel
gerade ein großartiges Epos der bedrohten Welt unserer Zeit veröffentlicht hat,
mit einem überraschenden, guten, hoffnungsvollen Ausblick am Ende. Powers, 67,
antwortete auf der Bühne in Berlin auf die Frage, ob er jetzt eigentlich noch
Hoffnung habe, mit zitternder Stimme einfach „Nein“.
Nur als kleines
Beispiel nennt er, dass nun, infolge der Wahl Donald Trumps, fünfzig Jahre
mühevollsten Ringens um Klimaschutzregeln und Maßnahmen zur Bewahrung der Welt ausgelöscht werden, durch einen Federstrich. Powers – ein verzagter Riese
im Scheinwerferlicht. Doch dann, es war, als sei er sich seiner Verantwortung zu
Optimismus und Helligkeit plötzlich wieder bewusst geworden, nahm er sich
zusammen und sagte, umso mehr komme es jetzt auf jeden Einzelnen von uns
an. Jeder könne den Unterschied machen.
Sehr komisch
eigentlich. Ausgerechnet die Regierung, die zum Beginn ihrer Regentschaft „eine Erzählung“ entwickeln wollte, eine mitreißende Erzählung
von gemeinsamen, erstrebenswerten Zielen, von gemeinschaftlichen Projekten,
die, schwer zu realisieren, sich am Ende aber als lohnenswert und gut für alle herausstellen
würden – ausgerechnet diese Regierung hat drei Jahre lang entweder gar nichts
erzählt oder so unterschiedliche Storys, dass sich das Erzählte gegenseitig
aufhob und am Ende nichts übrig blieb. Nur ein verwirrtes, verängstigtes, aufgebrachtes
Land.