Empowerment | Bequem engagiert: Müssen wirklich alle Feministinnen sein?

Es ist nicht allzu lange her, da war das Wort „Feministin“ in der Popkultur ein Schimpfwort. Prominente Frauen, die heute als Feministinnen gelten, äußerten sich dazu in den Nuller- und 2010er-Jahren ablehnend oder zurückhaltend. 2003 wollte Madonna mit Feminismus nichts zu tun haben und bezeichnete sich als „Humanistin“. Auch Lady Gaga distanzierte sich erst vom Feminismus und akzeptierte den Titel einer Feministin erst im Jahr 2010.

Dann, 2013, sampelte die Popikone Beyoncé in ihrem Song Flawless den TED-Talk der nigerianischen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie. „We should all be feminists“, heißt es in der Rede, die Beyoncé in ihrer Empowerment-Hymne benutzt. Spätestens mit ihrem triumphalen 15-minütigen Auftritt im Folgejahr bei den MTV Video Music Awards, als sie das heikle Wort „FEMINIST“ auf die Wand hinter sich projizieren lässt, wurde Feminismus auch zum Lieblingsthema in der breiten Gesellschaft. Für Beyoncé, deren Musik thematisch immer vom Empowerment-Gedanken geprägt war, ein logischer Schritt. Für die Mainstream-Debatte: eine Wendung in der öffentlichen Meinungsbildung. Die vermeintlich männerhassende und nervige Bewegung wurde glitzernd, gegenwärtig, akzeptiert.

Bis zu diesem Zeitpunkt war „Feminist“ für die meisten Popstars eine Einschränkung ihrer Selbstdefinition und eine unnötige Provokation ihres potenziellen Publikums. Mit Beyoncés Bekenntnis wurde die Frage neu aufgerollt. Reporter fragten berühmte Frauen am roten Teppich: Sind Sie Feministin? Immer mehr prominente Frauen bekannten sich zum Feminismus, mit der Folge, dass diese zutiefst politische Bewegung zu einem immer größeren Thema wurde – auch in Medien, die sich bis dahin nicht sonderlich für politische Themen interessiert hatten.

Die Geburt des Pop-Feminismus

Der Titel „Feministin“ wurde von Frauen-Online-Magazinen wie Bustle auch Frauen verliehen, die sich nie öffentlich zu dem Thema geäußert hatten, wie die Rapperin Cardi B, die sich nie dazu bekannt hatte. Als Definition einer Feministin wurde dabei das knackige Zitat von Adichie herangezogen: „Feminist, a person who believes in the social, political and economic equality of the sexes.“ Also eine Person, die an die soziale, politische und wirtschaftliche Gleichstellung der Geschlechter glaubt. Wer könnte da dagegen sein?

Der Pop-Feminismus war geboren. Auch Influencerinnen, also Personen mit Einfluss, Ansehen und Reichweite in den sozialen Medien, nahmen das zur Kenntnis: Diese risikoarme Definition der Feministin überwältigte den Diskurs und nahm ihn ein. Was zuvor als Einschränkung der Selbstvermarktung galt, wird heute beinahe als selbstverständlich vorausgesetzt.

Dabei kratzt der sogenannte Glaube an die Gleichstellung der Geschlechter nur an der Oberfläche einer Bewegung, der es einst um Befreiung ging, die kämpferisch und radikal war. Wenn jeder Akt, der von einer Frau vorgenommen wird, feministisch ist, bloß weil eine Frau ihn vornimmt, dann wird Feminismus zu einem großen Nichts. Praktisch jede Influencerin kann sich mit dem Titel schmücken und so Sexspielzeug und Sparpläne verkaufen. An sich kein böser Gedanke: Sexuelle Befreiung und finanzielle Unabhängigkeit sind feministische Themen. Aber daraus Profit zu schlagen, das macht Feminismus zu einer Werbefläche einer geschickten Vermarkterin, die den Trend erkennt. Und dabei wäre es respektabel und in Ordnung, sich nicht Feministin zu nennen.

Kim Kardashian mag nicht

„Ich glaube nicht, dass ich eine Feministin bin. Ich mag keine Labels.“ So äußerte sich Mega-Influencerin und Vermarktungsgenie Kim Kardashian im Jahr 2016. Die Einfachheit dieses Statements macht den Schock perfekt. Kardashian führte aus: „Ich tue, was mich glücklich macht, und wünsche, dass alle Frauen selbstbewusst sind. Ich unterstütze Frauen. Aber ich bin kein Free-the-Nipple-Mädel.“ In vielen Artikeln wurde versucht, Kardashian pop-feministisch reinzuwaschen. Ihr wirtschaftlicher Erfolg wurde dabei als Inspiration vorgeführt. Doch sie lehnte den Titel ab.

Woher kommt die Erwartungshaltung, dass sich Influencerinnen, ob mit geringer oder hoher Zahl an Follower*innen,zum Feminismus bekennen? Die Fans fordern in den Kommentaren, dass sich Kardashian zu feministischen Themen äußert. Infografiken sollen geteilt, ihre Spenden offengelegt werden. Ihr Instagram-Auftritt solle ihre Werte widerspiegeln. Wenn sie zu einem Thema etwas sagt, wird ihr vorgeworfen, ein anderes zu ignorieren. Sie muss sich zum Feminismus bekennen, und selbst dann wird gemutmaßt, dass sie nicht genug tut, sagt, bewirkt.

Diese Erwartungshaltung findet ihre Wurzeln in einer Vermischung aus Politik und Moral. Die risikoarme Definition des Feminismus macht aus einem komplexen politischen Thema eine simple Moralfrage. Der Wunsch, ein moralisch korrekter Mensch zu sein, ist nachvollziehbar. Den eigenen Moralkompass trägt man durch das Konsumverhalten nach außen. Mein Kaffee? Fairtrade. Mein Strom? Grün. Meine Influencerin? Feministin – klar! Wenn sich die Influencerin selbst als Feministin bezeichnet, genügt das, um den konsumierten Content als moralisch akzeptabel abzuhaken. Weitere Nachforschungen zum Thema wären unbequem.

Denn was würde es über einen aussagen, wenn man unreflektiert Content konsumieren würde? Was früher als „Guilty Pleasure“, also heimliches Vergnügen existierte, mutierte heute in eine Kultur der Gewissensbisse. Wir können es nicht einfach ruhen lassen, dass Kim Kardashian „einfach nur“ ein Marketinggenie ist. Sie muss für „Girl Power“ stehen, ihre Existenz feministisch erklärt werden, ihr kapitalistischer Erfolg frauenpolitisch gerechtfertigt sein. Unternehmen wissen das auch.

Der Wunsch nach gleichen Werten

So gibt es heute Firmen, die sich allein dem Thema „Diversity“ oder „Empowerment“ widmen, mal in Form einer Eventfirma, mal als Beratungsunternehmen. Sie waschen Produkte und Unternehmen pop-feministisch rein. Was der Kunde bekommt? Eine Pause von den Gewissensbissen. Auch wenn dieser Textilkonzern Frauen und Kinder ausbeutet. Aber die CEO ist immerhin eine Frau!

Warum verlangen wir von der Influencerin ein feministisches Bekenntnis? Das beruht zum Teil auf der parasozialen Beziehung gegenüber der Influencerin, also unserer einseitigen emotionalen Investition in diese fremde Frau. Eine Person, deren Leben man meint, gut zu kennen, wird zwangsläufig als vertraut wahrgenommen. Der Wunsch, die gleichen Werte zu teilen, wie mit einer Freundin, ist dann nicht mehr weit. Vor allem, wenn einem eingeredet wird, eine „Feministin“ trüge kein schwereres Kreuz, als bloß an die Gleichstellung der Geschlechter zu glauben. Indem dieser Titel jeder Frau hinterhergeschmissen wird – und jede Frau ihn annimmt, die nicht von ihrer eigenen naturgegebenen Unterlegenheit ausgeht –, wird der Feminismus gezwungen, jede Interpretation als eine Ausprägung seiner selbst zu inhalieren.

Mittelständische Hausfrauen, die als Statussymbol für ihren Ehemann die Arbeitswelt verlassen haben, werden unter dem Deckmantel der „Wahl“ als Feministinnen legitimiert. Auch kosmetische Eingriffe werden als Ausdruck der Entscheidungsgewalt der Betroffenen gefeiert.

Ein Feminismus aber, der Entscheidungen von Frauen nicht kritisch hinterfragt, ist substanzlos. Wer profitiert aber von der Inflation an Ausdifferenzierungen bei der Frage, was Feminismus ist? Er wird massentauglich gemacht, weil er nichts abverlangt. Ein entleerter Feminismus ist die perfekte Werbefläche für Verkaufstalente, die ihn mit Werbe-Links füllen. Und wenn Kim Kardashian ein Nacktselfie postet, dann ist das nicht politisch. Kim Kardashian hat recht, sie ist keine Feministin. Sie hat aber auch das Recht, keine Feministin zu sein.

Anđela Čagalj ist freie Autorin, schreibt über Pop-Feminismus und lebt in Berlin