Einigung im Kontext Bürgergeld, Rente & Co: Ich könnte mich freuen, bin im Kontrast dazu schockiert

Politik wie aus den 80ern: Während Rentner kurz jubeln dürfen, trifft den Rest des Landes harte Realität: Kürzungen, Rückschritt und Stillstand. Selbst unser verrenteter Autor ist entsetzt – obwohl er eigentlich von den Plänen profitiert


Friedrich Merz (CDU), Lars Klingbeil (SPD), Marcus Söder (CSU) und Bärbel Bas (SPD)

Foto: Bernd Elmenthaler/Imago Images


Beginnen wir ausnahmsweise mit ein paar Angaben zur Person: Dieser Text wird von einem Rentner verfasst. Und, mal ganz egoistisch: Dieser Rentner könnte sich freuen über alles, was die Koalition aus CDU/CSU und SPD am Mittwochabend beschlossen hat.

Die Honorare, die der Teilruheständler über seine Rente hinaus verdient (zum Beispiel mit diesem Text), muss er künftig bis zu einer Höhe von 2.000 Euro nicht mehr versteuern. Arbeitslos kann er nicht mehr werden: Was scheren ihn also die verschärften Sanktionen gegen die winzige Minderheit der Menschen ohne Job, die den Zwang zur Arbeit um fast jeden Preis nicht ertragen können oder wollen.

Konkret sieht die Realität der neuen „Grundsicherung“ ab dem 1. Januar 2026 so aus: Wer als Empfänger einen Termin im Jobcenter versäumt, soll eine sofortige Kürzung der monatlichen Zahlung um 30 Prozent erhalten. Bleibt er auch dem zweiten Termin fern, soll die Leistung erneut um 30 Prozent reduziert werden. Wird zudem ein dritter Termin nicht wahrgenommen, sollen die Geldleistungen vollständig eingestellt werden. Aber wie gesagt, was juckt es einen Rentner?

Von den zusätzlichen drei Milliarden Euro für den Straßenausbau wird er profitieren, wenn er Auto fährt. Klingt schön, oder? Es gibt da nur ein Problem: Wenn er liest, was kommt, macht der Rentner sich ernsthafte Sorgen.

Was bei den Reformen von Union und SPD auf der Strecke bleibt

Nicht nur um seine Kinder und Enkel, die zu spüren bekommen werden, wie sich die weitgehende Verweigerung von Klimapolitik und eine Rentenpolitik, die für künftige Generationen keine Ideen hat, einmal auswirken werden. Nein, er macht sich auch Sorgen um die gleichaltrigen Bekannten, die vielleicht weniger Rente beziehen als er – und eigentlich gerne noch erleben würden, wie das Zwei-Klassen-System in der Gesundheitspolitik, das Reiche begünstigende Steuersystem, das Verweigern eines klaren Vorrangs für die Schiene oder eine Wirtschaftspolitik, die vor allem Unternehmen begünstigt, überwunden werden.

Unser Rentner, könnte man sagen, ist in doppelter Hinsicht ein „Boomer“: Einerseits gehört er jener vielköpfigen Generation an, die von den vergleichsweise gemütlichen Verhältnissen der alten Bundesrepublik fast ein Leben lang profitiert hat. Andererseits gehört er innerhalb dieser Generation zu den Privilegierten, die so auskömmliche Rentenansprüche erwerben konnten, dass sie alles Mögliche brauchen, nur keine 2.000 Euro steuerfreien Zuverdienst.

Anders gesagt: Die Politik, mit der die Regierung von Friedrich Merz (CDU) und Lars Klingbeil (SPD) die Verhältnisse umzuformen beginnt, stellt ein einziges Dementi der Märchen dar, die sie darüber erzählen.

Warum ist die Regierung derart rückschrittlich?

Was sie den Leuten versprechen, ist die Rückkehr in vermeintlich bessere Zeiten, in denen alle fleißig arbeiteten, in einer schönen bezahlbaren Wohnung saßen, im Sommer die Koffer in den Kombi packten und winters im Keller die Ölheizung schnurren ließen. An Weihnachten spendeten sie für die Armen im Süden der Welt, die auch prompt „da unten“ blieben, und außerdem hieß die Wurst nur Wurst, wenn Fleisch drin war (andere Wurst gab es ja gar nicht).

Was aber die Leute, also wir alle, bekommen werden, ist die Wirklichkeit einer Welt, die schon in nostalgisch verklärten Zeiten ignoriert und zugleich ausgebeutet werden musste, um den relativen Wohlstand bei uns zu erwirtschaften. Eine Welt, die nicht warten wird, bis wir die noch zu mildernden Klimafolgen der alten und jetzt wieder neuen Politik bekämpfen. Eine Welt, in der auf Normalarbeitsverhältnissen basierende Sozialsysteme nicht mehr funktionieren und unbedingt radikal reformiert werden müssten. Eine Welt, in der es sich viele Menschen aller Abschottung zum Trotz nicht nehmen lassen werden, dorthin zu gehen, wo die Wohlstandsversprechen noch nicht vollständig einkassiert sind.

Nein, unser Rentner freut sich nicht, er erschrickt. Derart rückschrittlich hat er sich nicht einmal diese Koalition ausgemalt.