Einfach zusammensetzen: Der Gebäudetyp E verspricht zu viel
Um den Wohnungsbau anzukurbeln, setzt die Bundesregierung neben dem beschlossenen Bauturbo auf den Gebäudetyp E. Die Bezeichnung ist ein Synonym für einfaches oder experimentelles Bauen und steht für die Hoffnung auf günstigen Wohnraum. Woher kommt diese Zuversicht? Seinen Ursprung hat der Gebäudetyp E in Bad Aibling im oberbayerischen Landkreis Rosenheim. Dort wurden 2020 drei Experimentalbauten mit mehreren Wohnungen als Forschungsprojekt der Technischen Universität München unter Leitung des Architekten Florian Nagler errichtet. In landschaftlich reizvoller Umgebung entstanden im Auftrag eines privaten Bestandshalters Zinshäuser mit einem spröden, puristischen Charme.
Seither ist Bad Aibling zur Pilgerstätte der Graswurzelbewegung für einfaches Bauen geworden. Dem liegt die Idee einer Rückbesinnung auf althergebrachte Grundprinzipien des Bauens zugrunde. Die Sehnsucht nach einer Rückwendung zum Ursprünglichen geht mit einem Verzicht auf übertriebene Komfortstandards einher, die aber zu den heute allgemein anerkannten Regeln der Technik zählen.
Nach diesem Leitbild ließ Nagler drei ähnliche Mehrfamilienhäuser errichten und probierte hierbei unterschiedliche Baumaterialien aus (Ziegel, Holz, Beton). Äußerlich kennzeichnend sind massive Außenwände mit verhältnismäßig kleinen, hochsitzenden Fenstern. Im Inneren entfiel der klassische Deckenaufbau mit Estrich, Trittschalldämmung und Parkett oder Laminat. Stattdessen ließ Nagler Sisalteppich auf die rohe Betondecke legen. Die Wärmeversorgung erfolgt über ein örtliches Nahwärmenetz. Ansonsten wurde auf haustechnischen Komfort weitestmöglich verzichtet.

In der Folge ergriff die Bayerische Architektenkammer die Initiative und warb öffentlich für die bundesweite Zulassung des Gebäudetyps E durch eine Anpassung des rechtlichen Rahmens. Diese Kampagne, der sich später auch die Bundesarchitektenkammer anschloss, verlief bislang erfolgreich. Der einfache Teil der Übung bestand darin, in den Landesbauordnungen Möglichkeiten einzurichten, um leichter von bauordnungsrechtlichen Vorgaben abzuweichen und damit einen Gebäudetyp E anzugehen.
Hierzu enthält die aktuelle Musterbauordnung eine Klausel, wonach die Bauaufsichtsbehörden Abweichungen vom Bauordnungsrecht „insbesondere“ für Vorhaben zur Erprobung neuer Bauformen und Wohnformen zulassen sollen. Diesem Textvorschlag sind viele Bundesländer gefolgt. Die Innovationsklausel steht auch in der neuen Fassung der Hessischen Bauordnung, die im Oktober 2025 in Kraft getreten ist.
Was sind die anerkannten Regeln der Technik?
Das liest sich zwar gut, ist aber reine Semantik. Inhaltlich sind Abweichungen unverändert dann zuzulassen, wenn das jeweilige Schutzziel des Gesetzgebers auf andere Weise als im Bauordnungsrecht erreicht wird. Ob solche Abweichungen auch dazu dienen, neue Bauformen zu erproben, ist für die behördliche Entscheidung am Ende egal.
Deutlich herausfordernder ist die Rechtslage im zivilen Bauvertragsrecht: Dabei geht es um das Verhältnis zwischen der Bauherrschaft und den beauftragten Planern und Bauunternehmen. Hier gilt der Grundsatz, dass eine Wohnung einen werkvertraglichen Sachmangel aufweist, wenn sie nicht den anerkannten Regeln der Technik entspricht. Dazu zählen alle heute im Neubau üblichen Komfortausstattungen.
Vor diesem Hintergrund fordern die Architektenverbände eine Reform des Bürgerlichen Gesetzbuchs, um diesen Goldstandard durch individuelle Vereinbarungen rechtssicher zu unterschreiten. Streng genommen müsste auch das Mietrecht angepasst werden, damit ein Haus des Gebäudetyps E in der Praxis auch ohne Risiken vermietet werden kann.
Schon die Ampelregierung wollte den Gebäudetyp E zivilrechtlich absichern. Hierzu legte der damalige Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) einen ersten Gesetzentwurf vor, den das Bundeskabinett am 6. November 2024 beschloss. Doch am Abend zerbrach die Ampel und der Entwurf blieb am Ende liegen. In der Sache aber sah sich der damalige Gesetzesvorschlag Kritik ausgesetzt: Einmalig ist, dass Richter des für das Werkvertragsrecht zuständigen Zivilsenats beim Bundesgerichtshof dem Justizministerium in einem juristischen „Standpunkt“ öffentlich vorwarfen, den werkvertraglichen Mangelbegriff grundlegend verkannt zu haben.
Die Regierung setzt auf den Gebäudetyp E
Trotz dieser Schelte hält auch die aktuelle Bundesregierung daran fest, ein Gebäudetyp-E-Gesetz auf den Weg zu bringen. Hierzu verabredeten die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag, diese Form des einfachen Neubaus zivilrechtlich abzusichern, indem das Bauvertragsrecht mit den technischen Baubestimmungen der Bundesländer verknüpft wird. Auf diese Weise soll ein geschuldeter Mindeststandard für Gebäude im Werkvertragsrecht definiert werden.
Das verkennt, dass die technischen Baubestimmungen der Länder gerade keinen einfachen Mindeststandard formulieren, sondern im Gegenteil ausufernd und detailverliebt sind. In Hessen umfasst die zuletzt im November 2025 aktualisierte einschlägige Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen insgesamt 599 Seiten und einen Anhang mit 15 technischen Regelwerken auf mehr als 400 Seiten. Die Vorgaben sind teilweise inhaltlich unbestimmt und widersprechen sich in technischen Details. In anderen Bundesländern ist die Rechtslage vergleichbar. Mit einer Anknüpfung des Bauvertragsrechts an das bestehende Sammelsurium technischer Normen wäre für das einfache Bauen nichts gewonnen.

Abhilfe könnte die Föderale Modernisierungsagenda schaffen, die Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) mit Vertretern der Bundesländer am 4. Dezember 2025 verabschiedet hat. Die Politiker haben unter anderem verabredet, sämtliche Verweise auf technische Normen im Baubereich bis zum 30. Juni 2026 zu überprüfen. Solche Verweise sollen nur beibehalten werden, wenn der jeweilige Standard unverzichtbar ist. Insbesondere sollen die Länder ihre bautechnischen Bestimmungen auf Verzichtbarkeit prüfen. Es ist anzunehmen, dass dadurch das Regelwerk auf Landesebene an Umfang verliert. Das ist aber Zukunftsmusik und wird angesichts von Umfang und Detailtiefe der betroffenen Regelwerke dauern.
Oft ist das Postulat zu hören, dass Bauen einfach werden soll. Für den Gebäudetyp E ist das leicht gesagt, aber in der Umsetzung komplex und nicht zu Ende gedacht. Das erklärt, warum das federführende Bundesjustizministerium im November 2025 nur unverbindliche Eckpunkte vorgelegt hat, auf deren Grundlage es erst ein neues zivilrechtliches Vertragsmodell entwickeln will. Dafür hat sich Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) ein Jahr Bedenkzeit auserbeten. Der angekündigte Gesetzentwurf soll erst Ende 2026 vorliegen.
Ohne einen bundesweiten Systemwechsel im Bauvertragsrecht haben die Wohnungsbauträger kein Interesse, neue Eigentumswohnungen nach dem Gebäudetyp E zu errichten und zu vermarkten. Sie fürchten zu Recht langwierige und teure Gewährleistungsklagen. Ihre Sorge ist, dass auch der angekündigte Gesetzentwurf für einen Gebäudetyp E die Bauträger nicht wirksam schützen wird. Diese Bedenken sind berechtigt: Bislang agiert der Gesetzgeber hilflos und zögerlich, die Richter des Bundesgerichtshof hatten den ersten Gesetzentwurfs sogar verrissen.
Nur eine exotische Nische
Auch Wohnungskäufer, die finanzierenden Banken und die Gebäudeversicherungen werden im Neubau unverändert auf die anerkannten Regeln der Technik bestehen. Mit Blick auf die Zukunft gilt dies besonders für den höchsten energetischen Standard des Effizienzhauses 40, der sich nach Einschätzung des Architekten Nagler auf einer Veranstaltung des Bundes Deutscher Architekten mit seinem Gebäudetyp E derzeit nicht erreichen lässt.
Als Marktsegment für den Gebäudetyp E bleibt damit nur die exotische Nische idealistischer Bestandshalter ohne Fremdfinanzierungsbedarf, die Spaß daran haben, ihre subjektiven Vorstellungen vom einfachen Bauen in individuell geplanten Architektenhäusern umzusetzen wie in Bad Aibling geschehen. Nur die Architektenverbände werden den Gebäudetyp E unverändert dufte finden. Aber die gesellschaftlichen und sozialen Nöte des komplizierten und teuren Neubaus bleiben ungelöst: Wer sich den aktuellen Goldstandard eines Neubaus nicht leisten kann, muss vom Wohnungskauf Abstand nehmen oder sich mit einer deutlich kleineren Wohnung begnügen. Das Modell des Gebäudetyps E taugt weder für die Masse noch ist es zukunftsfähig.
Der Autor des Gastbeitrags ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Geschäftsführer der FPS Rechtsanwaltsgesellschaft in Frankfurt und Mitglied der Kommission „Innovation im Bau“ des hessischen Wirtschaftsministeriums.